Erschossener Junge auf Spielplatz in Cleveland Das Motiv ist meistens Angst

Cleveland · Tamir Rice (12) hantierte mit einer täuschend echten Pistole herum, als die US-Polizei ihn erschoss. Ein grausames Versehen. Aber in den USA keine Seltenheit. Die Polizei greift in der Regel hart und unerbittlich zu. Aus gutem Grund.

 Der zwölfjährige Tamir Rice kam ums Leben, weil er mit einer Druckluftpistole herumfuchtelte.

Der zwölfjährige Tamir Rice kam ums Leben, weil er mit einer Druckluftpistole herumfuchtelte.

Foto: ap

Auf der einen Seite ein Zwölfjähriger auf einem Spielplatz mit einer Druckluftpistole. Auf der anderen zwei Polizisten mit echten Waffen. Der Junge macht den Beamten zufolge eine verdächtige Bewegung. Sie feuern auf ihn. Der Junge aus in Cleveland im US-Bundesstaat Ohio stirbt einen Tag später im Krankenhaus.

Es ist ein grausiger Fall, aber die Nachricht vom Wochenende schlägt in den USA vergleichsweise kleine Wellen. Zu häufig kommt Ähnliches vor in dem Land, in dem die tödliche Anwendung von Staatsgewalt an der Tagesordnung ist. Ein "sehr, sehr tragischer" Vorfall sei es, sagt der stellvertretende Polizeichef von Cleveland, Ed Tomba. Aber er verteidigt das Vorgehen seiner Männer: "Sie machten ihren Job."

30.000 sterben jährlich durch Waffen

 Seine Waffe ist von einer echten kaum zu unterscheiden.

Seine Waffe ist von einer echten kaum zu unterscheiden.

Foto: ap

"Wir müssen annehmen, dass jede Waffe echt ist", erläutert der Chef der Vereinigung der Streifenpolizisten in Cleveland, Jeff Follmer, der örtlichen Zeitung "Plain Dealer". "An dem Tag, an dem wir das nicht tun, werden wir nicht mehr nach Hause zurückkehren."

Die Begründung macht deutlich: Es ist die bloße Angst, erschossen zu werden, die sie auf den Abzug drücken lässt. Ganz unverständlich ist das nicht in den USA, wo mehr Schusswaffen im Umlauf sind, als es Einwohner gibt. Jedes Jahr sterben durch sie rund 30.000 Menschen, sei es gezielt, bei Unfällen oder durch Suizid. Mit Schüssen ermordet wurden 2013 rund 9000 Menschen, darunter 30 Polizisten.

Jeder Fall ist anders, wie der nun in Cleveland zeigt: Denn tatsächlich lässt sich eine Softair-Pistole, wie der Zwölfjährige sie trug, in der Regel kaum von richtigen Waffen unterscheiden. Doch reicht das als Begründung für die tödliche Reaktion? Ein Augenzeuge, der die Polizei am Samstag überhaupt erst zu dem Spielplatz gerufen hatte, soll bei seinem Anruf klar mitgeteilt haben, dass die Waffe wohl nicht echt und dass der Verdächtige ein Jugendlicher sei.

Tragende Rolle spielt die soziale Spaltung

Die tödliche Polizeigewalt in den USA scheint recht hoch.Verlässliche Zahlen gibt es zwar kaum. Aber die Bundespolizei FBI zählte 2012 insgesamt 409 Fälle, in denen ein Polizist rechtens einen Verdächtigen erschoss. Die Statistik ist alles andere als komplett:
Landesweit gibt es etwa 17 000 unterschiedliche Polizeibehörden. Nur ganz wenige geben überhaupt Daten an die Bundesbehörden weiter.

Aber laut dem Magazin "Economist" starben laut jüngsten Daten in einem Jahr nur acht Menschen in Deutschland durch Polizeischüsse. In Großbritannien und Japan waren es danach null. "Wenn Amerika nicht entweder seine kolossale Zahl der Waffenbesitzer senken oder seine tiefen sozialen Probleme lösen kann, werden sich die Todesschüsse auf Zivilisten sicher fortsetzen", kommentiert das britische Magazin.

Fotos vom bewaffneten Amerika
10 Bilder

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Die tiefen sozialen Probleme - damit meint der "Economist" den Rassismus in den USA. In vielen Fällen ist es so, dass ein weißer Polizist einen unbewaffneten Schwarzen erschießt. Laut einer Studie des John Jay College für Kriminologie in New York hat das selten juristische Konsequenzen. In 21 untersuchten Fällen zwischen 1994 und 2009 sei es 7 Male zu einer Anklage gekommen. In drei Fällen wurden die Beamten schuldig gesprochen.

Viele Bürger stärken der Polizei den Rücken

Viele Bürger wiederum verteidigen die Gesetzeshüter. "Kein Polizist geht auf die Straße, um jemanden zu erschießen, sei es eine bewaffnete oder unbewaffnete Person", schrieb der Professor für Heimatschutz an der Colorado Tech University, Sunil Dutta, in der "Washington Post". Polizisten würden häufig angebrüllt oder bedrängt. "Wenn sie Gewalt anwenden, dann um ihre eigene oder die öffentliche Sicherheit zu verteidigen."

Doch in vielen Staaten werden Todesschüsse durch Polizisten gar nicht erst durch unabhängige Behörden oder Gerichte geprüft. Häufig werden die Fälle einfach zu den Akten gelegt. Auch in den Kleinstadt Ferguson in Missouri wäre das fast passiert, nachdem ein weißer Polizist den unbewaffneten schwarzen Teenager Michael Brown erschossen hatte.

Erst nach Demonstrationen und Ausschreitungen in der Stadt wurde der Fall einer Geschworenenjury übergeben, die demnächst entscheidet, ob der Polizist angeklagt wird. Anders als in Ferguson ist in Cleveland von einem rassistischen Hintergrund keine Rede. Nicht um schwarz und weiß gehe es in dem Fall, sagt der Anwalt der Familie des ebenfalls schwarzen Jungen dem Sender CNN, "sondern richtig und falsch".

(dpa)
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