Coronavirus in Italien Wo ständig Totenglocken läuten

Rom · Die Menschen sterben ohne Angehörige „wie die Hunde“, erzählen Einwohner. Die Krematorien kommen nicht mehr nach. Sogar mehr Corona-Tote als China zählt Italien inzwischen. Die Region um Bergamo ist Europas Epizentrum der Krise. Auch weil Fehler begangen wurden.

 In der Lokalzeitung „Eco di Bergamo“ erstrecken sich die Todesanzeigen am 17. März über mehrere Seiten.

In der Lokalzeitung „Eco di Bergamo“ erstrecken sich die Todesanzeigen am 17. März über mehrere Seiten.

Foto: AP/Luca Bruno

Für all die Toten ist seit Tagen kein Platz mehr. Das Militär muss die Särge in Krematorien anderer Städte schaffen. Denn in Bergamo weiß man sich nicht mehr zu helfen. Hier in der Gegend um die 120.000-Einwohner-Stadt bei Mailand liegt das Epizentrum der Krise des Coronavirus-Ausbruchs in Europa. Hier erleben die Menschen Tag für Tag, dass das Virus keine ferne Bedrohung ist. Und hier machen sie die bittere Erfahrung, was es bedeutet, wenn man zu lange wartet und die Gefahr unterschätzt.

Nicolas Facheris hat seit Tagen nicht mehr geschlafen, er arbeitet rund um die Uhr. Er ist Bestatter in dem Ort Madone in der Provinz Bergamo. „Am Montag hatte ich einen Nervenzusammenbruch“, erzählt er der Nachrichtenagentur Ansa. „Wir sehen kein Ende. Und wir leben in der Angst, dass das Telefon wieder klingelt.“ Auf Nachfrage, selbst mit ihm zu sprechen, sagt er: „Ich habe jetzt leider keine Zeit.“

In Bergamo gibt es mehr als 4300 erkannte Infizierte, so viele wie in keiner anderen Provinz in Italien. „Alleine letzte Woche hatten wir in der Stadt Bergamo 300 Tote“, sagt Gloria Zavatta, Präsidentin der Hilfsorganisation Cesvi, der dpa. „Wir haben einen dramatischen psychologischen Stress.“ Die Familien könnten ihre Lieben im Krankenhaus nicht besuchen und sie beim Sterben nicht begleiten.

Bürgermeister Giorgio Gori geht davon aus, dass viel mehr Menschen mit dem Virus infiziert sind. Und dass viel mehr an ihm gestorben sind, aber gar nicht im Krankenhaus behandelt werden können.

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Foto: dpa/Arne Dedert

Er hat das kommunale WLAN ausgestellt, damit sich die Leute an den Plätzen nicht versammeln. Er hat die Bürger ein ums andere Mal zum Zuhausebleiben aufgerufen. Er hat die Spielautomaten in den Tabakläden, die noch öffnen dürfen, geschlossen - damit die Menschen nicht aus Langeweile vor Automaten zocken und sich gegenseitig anstecken. Es hat nichts genutzt. „Die Öfen der Krematorien laufen ununterbrochen, Beerdigungen werden nicht mehr gefeiert und wir machen jede halbe Stunde eine Bestattung. Es ist unvorstellbar“, sagte er der Zeitung „La Repubblica“.

Die Regierung in Rom hat zwar die nahe liegende Provinz Lodi gleich nach Bekanntwerden der ersten Fälle dort nach dem 21. Februar zur Sperrzone erklärt und das Gebiet abgeriegelt. Dort hat sich die Lage mittlerweile etwas stabilisiert. Doch Bergamo gehörte nicht zur „Zona Rossa“. Die Ansteckungen explodierten wenig später förmlich. Die Einwohner wurden erst im Zuge der landesweiten Sperren am 10. März unter Quarantäne gestellt. Zu spät. Die Leichen mussten nun sogar in Kirchen deponiert werden. Die Lokalzeitung „Eco di Bergamo“ hatte unlängst elf Seiten Todesanzeigen. Bürgermeister Gori ruft daher auch die Verantwortlichen im Ausland auf, nicht die gleichen Fehler wie in Italien zu machen. Will heißen: Zu lange mit drastischen Sperrmaßnahmen warten.

Ärzte in Bergamo schlugen schon Anfang März Alarm – so zum Beispiel Daniele Macchini mit einem Brandbrief auf Facebook. „Ich verstehe, dass es notwendig ist, keine Panik zu machen“, schrieb er. „Aber (...) wenn ich immer noch Menschen höre, die sich einen Dreck um die Empfehlungen scheren, und Menschen, die andere um sie herum versammeln und sich beschweren, dass sie nicht ins Fitnessstudio gehen oder Fußballturniere spielen können, dann erschaudere ich.“ Auch jetzt halten sich viele Italiener immer noch nicht an die rigiden Ausgehsperren, finden Ausreden, doch nach draußen zu gehen.

Der Arzt Stefano Fagiuoli vom Krankenhaus Papa Giovanni XXIII. in Bergamo richtet nun eine englische Video-Nachricht an die Welt. „Erste Botschaft: Bleibt zuhause.“ Die zweite: Das Krankenhaus sucht „verzweifelt“ Krankenschwestern, Pfleger und Ärzte. Einige haben sich aus China auf den Weg gemacht. Doch das reicht nicht. Außerdem ruft er zu Spenden für und von Beatmungsgeräten und Schutzkleidung für das medizinische Personal auf. Schon der Regionalpräsident der Lombardei, Attilio Fontana, hatte gewarnt, dass es bald keine Möglichkeiten mehr für die Behandlung aller Patienten gebe.

„Alle sterben wie die Hunde“, erzählt Roberta Zaninoni in einem Videoappell. Ihr Vater ist eines der Hunderten Opfer der Provinz Bergamo. „Er war nicht alt und er war nicht krank.“ Auch jüngere Menschen würden sterben. Sie hätte das alles auch am Anfang unterschätzt. Ironische Videos und Witze über das Virus seien nicht angebracht. Doch nun: „Hier hört man nur noch Sirenen der Ambulanzen und Totengeläut.“

(c-st/dpa)
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