Ermittlungen in Genua Riss eines Tragseils verursachte womöglich Brückeneinsturz

Genua · Bei dem Brückeneinsturz in Genua starben Dutzende Menschen. Die Ursache für das Unglück ist noch immer unklar. Aber es gibt erste Hinweise.

Brückeneinsturz in Genua: Hunderte Retter im Dauereinsatz
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Hunderte Retter im Dauereinsatz

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Foto: dpa/Luca Zennaro

Der Einsturz der Autobahnbrücke in Genua könnte nach Einschätzung eines Experten möglicherweise durch den Riss eines Tragseils verursacht worden sein. „Dies ist eine ernste Arbeitshypothese, aber nach drei Tagen ist es nur eine Hypothese“, sagte der Professor für Stahlbetonbau an der Universität Genua, Antonio Brencich, am Freitag vor Journalisten.

Brencich gehört einer vom Verkehrsministerium eingesetzten Unfallkommission an. Es gebe Zeugenaussagen und Videos, die in Richtung Tragseile wiesen, sagte er laut Nachrichtenagentur Ansa. Dagegen schloss er eine Überlastung der Brücke als Grund aus. „Der Regen, der Donner, die Überlastung sind fantasievolle Hypothesen, die nicht einmal in Erwägung gezogen werden.“

Andere Experten meinen dagegen, dass eine ganze Reihe von Faktoren für den Einsturz in Genua verantwortlich gewesen sein können - angefangen vom Wetter bis hin zum Verkehr, der weit über dem gelegen habe, für was die Brücke ausgelegt war. „Genua ist eine Hafenstadt, das Meeresklima hat einen Einfluss, ebenso die Tatsache, dass es sich um eine Industriemetropole handelt, wo Luftverschmutzung den Beton beeinträchtigen kann“, sagte Neil Hawkins, emeritierter Professor für Ingenieurtechnik an der Universität von Illinois und Experte für Betontechnik.

Brückeneinsturz in Genua: Drama in der italienischen Hafenstadt
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Autobahnbrücke in Genua stürzt ein

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Foto: dpa/-

Die Brücke war vom italienischen Ingenieur Riccardo Morandi entworfen und 1967 gebaut worden. Der vierspurige, etwa 1200 Meter lange Polcevera-Viadukt in Genua setzt sich aus drei Einzelbrücken zusammen, von denen eine am Dienstag einstürzte. Die von den Pylonen zum Fahrbahnträger reichenden Stahlseile sind in eine Betonummantelung eingeschlossen. Diese soll vor Korrosion schützen. Das ist eine eher ungewöhnliche Konstruktion. Üblich sind reine Stahlseil-Konstruktionen. Zwei weitere Brücken, die der in Genua ähneln, stehen noch in Libyen und in Venezuela.

Die Zeitung „La Repubblica“ schrieb, dass eine Studie des Polytechnikums Mailand schon 2017 Schwächen an den Seilen entdeckt habe. Die Zeitung zitierte außerdem Augenzeugen des Unglücks, die gesehen hätten, wie die Spannseile nachgaben. „Ich war am Steuer meines Autos und habe gesehen, wie die Seile an der Seite nachgaben. Gleich danach begann der Asphalt unter mir zu zittern wie bei einem Erdbeben“, sagte die Ärztin Valentina Galbusera der Zeitung.

Die Autobahnbrücke war am Dienstag eingestürzt. Bisher wurden 38 Tote geborgen. Rettungskräfte suchten auch am Freitag in den tonnenschweren Trümmern nach weiteren Opfern. Feuerwehrleute erklärten, sie hofften, dass sich unter den Trümmern Hohlräume befänden, in denen noch Überlebende gefunden werden könnten. Man sei noch nicht zu allen verschütteten Autos vorgedrungen und gebe die Hoffnung nicht auf. Bis zu 20 Menschen werden noch vermisst.

Das italienische Verkehrsministerium leitete eine Untersuchung der privaten Betreibergesellschaft Autostrade per l'Italia ein. Sie forderte sie am Donnerstagabend auf, binnen 15 Tagen nachzuweisen, dass sie all ihren Instandhaltungspflichten nachgekommen sei. Die Gesellschaft müsse außerdem bestätigen, dass sie den Viadukt auf eigene Kosten vollständig wiederaufbauen werde. Der Präsident der Region Ligurien, Giovanni Toto, und Verkehrsstaatssekretär Edoardo Rixi erklärten laut Nachrichtenagentur Ansa, Genua werde schon nächstes Jahr eine neue Autobahnbrücke haben. „Die Gesellschaft Autostrade wird sie bezahlen. Wer sie baut, werden wir abwägen“, sagte Rixi.

Am Samstag findet in Genua eine Trauerfeier statt, an der Ministerpräsident Giuseppe Conte und Genuas Erzbischof, Kardinal Angelo Bagnasco, teilnehmen. Laut Presseberichten wollen aber die Angehörigen von 17 der 38 Opfer aus Verärgerung über die Regierung der Feier fern bleiben, weitere sieben hielten sich die Absage offen. „Es ist der Staat, der dies verursacht hat, die sollen sich hier nicht sehen lassen. Das Schaulaufen der Politiker war eine Schande“, zitierte die Turiner Zeitung „La Stampa“ die Mutter eines Opfers. „Wir wollen hier keine Farce von einer Beerdigung, sondern eine Feier zuhause“, sagte ein Vater.

(wer/dpa/AP)
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