Tag 1 im Prozess gegen Norwegens Attentäter Breivik gesteht und gibt sich kämpferisch

Oslo · Anders Behring Breivik hat sich zu Prozessauftakt in Oslo am Montag kämpferisch gegeben. Nachdem ihm im Gerichtssaal die Handschellen abgenommen wurden, streckte der geständige norwegische Attentäter die geballte Faust in die Luft. Staatsanwälte und Gerichtsmitarbeiter begrüßte er per Handschlag. Von den Angehörigen der Opfer war er durch dicke Glasscheiben getrennt.

Er wiederholte am Montag sein Geständnis, am 22. Juli vergangenen Jahres 77 Menschen getötet zu haben. Allerdings halte er sich im juristischen Sinne für nicht schuldig. "Ich gebe die Taten zu, aber nicht die juristische Schuld", sagte Breivik. Er habe Norwegen vor einer Islamisierung schützen wollen, erklärte er zuvor.

Breivik zündete im Sommer 2011 zunächst eine Bombe im Regierungsviertel von Oslo und richtete dann auf der Insel Utöya unter den Teilnehmern eines Jugendlagers der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei ein Massaker an. Er ist wegen Terrorismus und vorsätzlichen Mordes angeklagt.

Zweifelt Legitimität des Gerichtes an

Breivik zweifelte gleich zum Auftakt die Autorität des Osloer Bezirksgerichts an. "Ich erkenne norwegische Gerichte nicht an, weil sie ihr Mandat von norwegischen politischen Parteien erhalten, die den Mulitikulturalismus unterstützen", sagte Breivik. Außerdem stellte er die Unabhängigkeit von Richterin Wenche Elisabeth Arntzen infrage, da sie mit der Schwester der ehemaligen Ministerpräsidentin und Chefin der Arbeiterpartei, Gro Harlem Brundtland, befreundet sei.

Mit versteinerter Mine und ohne erkennbare Regung verfolgte Breivik, wie Staatsanwältin Inga Bejer Engh die Anklageschrift gegen ihn verlas. Engh beschrieb, wie jedes einzelne Opfer bei dem Doppelanschlag ums Leben kam. Emotionen zeigte Breivik, als die Staatsanwaltschaft ein antimuslimisches Video zeigte, das er vor den Anschlägen auf die Internetplattform Youtube gestellt hatte. Mit zitternden Händen wischte er sich Tränen aus den Augen.

Auf die Frage der Richterin nach seiner Beschäftigungssituation bezeichnete sich Breivik als Schriftsteller, der derzeit im Gefängnis arbeite. Das rechtsradikale Netzwerk "Tempelritter", auf das sich Breivik beruft, existiert nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft nicht. Die Polizei habe keine Hinweise auf eine solche Organisation gefunden, sagte Staatsanwalt Svein Holden beim Prozessauftakt. Breivik habe bei dem Doppelanschlag von Oslo und Utöya im vergangenen Sommer allein gehandelt.

Widerstandskämpfer der "Tempelritter"

Zuvor hatte er den Ermittlern gesagt, er sei ein Widerstandskämpfer der "Tempelritter", die sich am Vorbild des christlichen Ordens zur Zeit der Kreuzzüge orientierten. Breivik trug beim Prozessauftakt einen schwarzen Anzug mit hellbrauner Krawatte und lächelte, als ihm im Gerichtssaal die Handschellen abgenommen wurden.

Im Mittelpunkt des für zehn Wochen angesetzten Prozesses dürfte die Diskussion über den psychischen Gesundheitszustand des Angeklagten stehen. In einem ersten Gutachten wurde er für unzurechnungsfähig erklärt, in einem zweiten bescheinigten die Experten ihm geistige Gesundheit. Breivik will seinerseits beweisen, dass er nicht geisteskrank ist. Er will rechtsradikale, aber auch radikalislamische Zeugen hören lassen, um zu beweisen, dass andere Personen seine Ansichten teilen.

Breivik wolle so seiner Ansicht Nachdruck verleihen, wonach in Europa Krieg herrsche, sagte sein Anwalt Geir Lippestad vor Gericht am Montag. Zudem wolle sein Mandant sein Bedauern äußern, dass er nicht noch mehr Menschen tötete. Im Falle einer Verurteilung droht dem Angeklagten die Höchststrafe von 21 Jahren Haft, eine zusätzliche Sicherheitsverwahrung ist möglich.

Die Polizei riegelte zum Prozessauftakt die Straßen rund um das Gerichtsgebäude in Oslo ab. Rund 200 Journalisten, Überlebende der Anschläge und deren Angehörige verfolgten den ersten Verfahrenstag in einem Gerichtssaal, der extra für den Breivik-Prozess gebaut worden war. Der norwegische Fernsehsender NRK wird Teile des Gerichtsprozesses übertragen. Die Aussage von Breivik durfte nicht gezeigt werden.

Verteidiger: Breivik muss angehört werden

Der Verteidiger Breiviks hat das "fundamentale Recht" seines Mandanten auf eine Aussage betont. Breivik müsse angehört werden, seine Worte seien "das wichtigste Beweismittel", sagte Anwalt Geir Lippestad am Ende des ersten Verhandlungstages in Oslo. Sein Weltbild sei schwierig zu verstehen.

Der geständige Attentäter soll von diesem Dienstag an fünf Tage lang das Wort erhalten. "Er hat den Wunsch, als zurechnungsfähig verurteilt zu werden", betonte Lippestad. Zwei psychiatrische Gutachten waren zu unterschiedlichen Schlüssen darüber gelangt, ob Breivik straffähig ist oder nicht. Mit der Stellungnahme des Verteidigers endete der erste Prozesstag.

Mädchen bricht zusammen

Zu Beginn des Prozesses hat die Anklagevertreterin die Namen der Opfer der beiden Attentate vorgetragen. Staatsanwältin Inga Bejer Engh beschrieb in allen Einzelheiten, wie die Menschen beim Bombenanschlag im Regierungsviertel von Oslo starben, wie die Jugendlichen auf der Ferieninsel Utoya eiskalt erschossen wurden.

Die grausamen Details nehmen die Überlebenden des Massakers und die Angehörigen der Opfer extrem mit. Ein junges Mädchen brach am Montag in der Prozesspause zusammen und musste betreut werden. Während Staatsanwältin Engh die Anklage verlas, flossen bei vielen im Gerichtssaal Tränen. Die Überlebenden der beiden Attentate vom vergangenen Sommer mussten ihre wohl schrecklichsten Momente noch einmal durchleben, andere hören, wie ihre Angehörigen starben.

"Der Angeklagte hat sehr schwerwiegende Verbrechen in einem Ausmaß begangen, das wir in unserem Land in heutigen Zeiten noch nicht erlebt haben", sagte Engh. Auf Utoya habe Breivik "Furcht und Panik" unter den Teilnehmern des Sommerlagers der regierenden Arbeiterpartei verbreitet. "Er schoss auf Menschen, die flüchteten und sich zu verstecken versuchten." Die meisten der Todesopfer waren zwischen 14 und 20 Jahren alt.

Schwer verdauliches Tonmaterial

Die Tonaufnahme eines Notrufs von der Insel Utøya hat die Angehörigen und Zuhörer im Prozess schockiert. Auf dem Band, das die Anklage am Montag vorspielte, ist zu hören, wie ein Mädchen während des Amoklaufes im vergangenen Sommer minutenlang die Polizei um Hilfe bat. "Kommt schnell, kommt schnell", sagt das Mädchen in der Aufnahme - im Hintergrund Schüsse und Schreie. Breivik zeigte keine Gefühle, atmete allerdings tief durch. Staatsanwalt Svein Holden hatte die Angehörigen im Gerichtssaal zuvor vor "kräftigem Tonmaterial" gewarnt und ihnen Gelegenheit gegeben, den Raum zu verlassen.

Entscheidung über Schuldfähigkeit steht aus

In dem auf zehn Wochen angesetzten Verfahren in der norwegischen Hauptstadt wird es vor allem darum gehen, ob der 33-Jährige zum Tatzeitpunkt zurechnungsfähig war und damit wegen "Terrorakten" zu der in Norwegen geltenden Höchststrafe von 21 Jahren verurteilt werden kann. Die Richter müssen noch über die Schuldfähigkeit Breiviks entscheiden. In einem ersten Gutachten wurde er für unzurechnungsfähig erklärt, in einem zweiten bescheinigten die Experten ihm geistige Gesundheit.

Breivik darf vor Gericht fünf Tage lang über seine rechtsradikalen Motive sprechen. Die Norweger erwarten schockierende Aussagen. Es wird erwartet, dass Breivik die Verhandlung als Plattform nutzen wird, um seine ausländerfeindliche Ideologie zu verbreiten.

Das Urteil wird im Juli, also ungefähr ein Jahr nach der Tat vom 22. Juli 2011, erwartet. Das Gericht will rund 150 Zeugen hören. Als Nebenkläger treten rund 770 Überlebende und Hinterbliebene auf. Das internationale Medieninteresse ist groß: Etwa 800 Journalisten werden vor Ort erwartet. Breivik soll ab Dienstag sprechen. Die Verteidigung hat 29 Zeugen geladen, darunter Islamisten und rechte Blogger.

(AFP/dpa/dapd/REU)
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