Reportage Bella Italia steckt tief im Morast

Genua · Italien ist schon von Wirtschaftskrise, Mafia und wuchernder Bürokratie gezeichnet. Jetzt kommt auch noch die launische Natur hinzu.

 Ein Mann versucht in Genua sein Lokal vom Schlamm zu befreien.

Ein Mann versucht in Genua sein Lokal vom Schlamm zu befreien.

Foto: afp, mlm

Es ist noch ein bisschen früh für eine Portion Spaghetti mit selbst gemachtem Pesto. Also bietet der alte Bauer, der dem Gast die Tür geöffnet hat, einen Espresso an. Er selbst nippt an einem Glas Rotwein, das appetitlich auf dem Küchentisch steht. Unten am Hang liegt das glitzernde Meer. Italien könnte in diesem Moment so schön sein.

Ist es aber nicht. Italien, in diesem Fall die ligurische Küste bei Genua, bietet einen abscheulichen Anblick. Der Schlamm klebt dem alten Mann an den Bergschuhen. Unten am Hang brausen die Autos über die Autobahn, und direkt darüber zeigt sich das Desaster in seiner ganzen Größe. Der Hang, auf dem der alte Mann und sein junger Kollege Sebastiano Cambiaso ihre Kräuter anbauen, ist abgerutscht. Von den vier idyllischen Terrassen für den Anbau ist eine einzige geblieben. Viele der Gewächshäuser, in denen die Bauern von Prà das exklusivste Basilikum der Welt anbauen, der für das berühmte Pesto Genovese verwendet wird, sind wie Kartenhäuser in sich zusammengefallen. Der süße, frische Duft der kleinen grünen Blätter verliert sich im Morast.

Jetzt kreist laut knatternd ein Helikopter über dem Hang. Der Nieselregen weicht den Boden auf. Drei Männer in gelben Regenoveralls bedienen einen geologischen Tiefenbohrer, um festzustellen, ob der Hang immer noch in Bewegung ist. Neben ihnen versucht Sebastiano Cambiaso mit einer Harke, dem ablaufenden Wasser den Weg frei zu graben. Von vier Basilikumfeldern ist Cambiaso ein einziges geblieben. Das Feld ist sein letztes Kapital. "Maschinen kann man in diesen Lagen kaum benutzen, es ist schon ein täglicher Kampf, wenn nichts passiert", sagt er. "Wenn dann auch noch so etwas geschieht, ist es wie ein Krieg."

2000 Familien wurden obdachlos

300 größere und kleine Erdrutsche hat es in den vergangenen Wochen in der Umgebung von Genua-Prà gegeben. 7000 in ganz Ligurien. In Italien sind allein in diesem Herbst bislang 15 Menschen ums Leben gekommen, ertrunken, erstickt oder verschüttet. 2000 Familien in Italien sind obdachlos geworden, der staatliche Entschädigungsfond für Ernteschäden war schon vor Monaten ausgeschöpft. Auf insgesamt vier Milliarden Euro wird der Schaden geschätzt, den der Regen dieses Jahr in Italien angerichtet hat. Der Regen in Italien? In diesem von der Wirtschaftskrise, der Mafia, von Politik und Bürokratie gebeutelten Land gab es bis vor kurzem eine letzte Sicherheit: das schöne Wetter. Jetzt scheint auch diese Garantie dahin.

Nicht nur in Ligurien, das wegen seiner sonst so malerischen Steilküsten besonders anfällig für Schlammlawinen ist, schüttet es. Die Lombardei ist ebenso betroffen, in Mailand standen Straßen unter Wasser, in Turin trat der Po über die Ufer. In Venetien und im Friaul kamen sie mit dem Auspumpen ihrer Keller kaum hinterher. Hochwasser in Venedig. In der Toskana wurden ganze Landstriche von Unwettern verwüstet. Mal fegte ein Wirbelsturm über Apulien hinweg, und am nächsten Tag erwischte es Sizilien.

"Das Klima in Italien hat sich in den vergangenen 50 Jahren verändert", erklärt Marina Baldi vom Institut für Biometeorologie in Florenz. Die Temperaturen seien insgesamt leicht angestiegen. Lange Trockenzeiten würden sich mit langen Regenzeiten abwechseln, obwohl sich die Menge an Niederschlägen insgesamt nicht verändert habe. "Aber wir haben es mit immer heftigeren Regenfällen zu tun", sagt die Meteorologin. Manche sprechen bereits vom "italienischen Monsun".

"Ein Land in einem inakzeptablen Zustand"

Es gibt zahlreiche Gründe für das Desaster. Die Flucht der Bauern aus dem bergigen Hinterland an die Küste hat etwa in Ligurien viele verwahrloste Ländereien mit sich gebracht. Das Wasser sucht sich seinen eigenen Weg. In ganz Italien hat die Bauwut der 70er Jahre zur Folge, dass sich der Regen nicht mehr über das Land verteilt, sondern konzentriert abfließt und ganze Straßenzüge mit sich reißt. Die Regierungen in Rom taten ihr Übriges, indem sie auf der Jagd nach Wählerstimmen immer wieder illegal errichtete Gebäude legalisierten, ohne auf die Folgen für die Umwelt und die Unversehrtheit der Menschen zu achten.

"Wir sind das letzte europäische Land in diesem inakzeptablen Zustand, das ist für ein modernes und industrialisiertes Land nicht hinnehmbar." So sagt es selbstkritisch Staatssekretär Erasmo D'Angelis, der von der italienischen Regierung angesichts des dauernden Notstandes mit Sanierungsarbeiten beauftragt wurde. Neun Milliarden Euro will die Regierung bis 2020 für Infrastrukturmaßnahmen zum Schutz vor Regen, Überschwemmungen und Erdrutschen ausgeben.

Wirtschaftskrise und Rezession haben viele Italiener bereits in die Knie gezwungen. Mit dem Regen geht es bei vielen jetzt endgültig den Bach herunter. Besonders die italienische Landwirtschaft und mit ihr die weltweit geschätzten Spitzenprodukte sind betroffen. Wegen des schlechten Wetters ging die Weinernte landesweit um 15 Prozent zurück. Bei der Olivenernte gab es wegen des Befalls durch die Feuchtigkeit liebende Olivenfruchtfliege einen Rückgang von insgesamt 35 Prozent, in manchen Landesteilen gar von 80 Prozent. Die Preise steigen, die Öl-Panscherei ebenso. Weil sie dieses Jahr so wertvoll sind, werden Oliven massenhaft gestohlen.

"Ich habe dieses Jahr gar kein Öl", sagt Giancarlo Bernardi, der im toskanischen Vinci, dem Geburtsort des großen Leonardo, einen kleinen Anbaubetrieb hat. Erst machte die Fruchtfliege auch seine Olivenernte zunichte. Im September versanken Vinci und das Chianti-Anbaugebiet dann auch noch in einem Hagelsturm, dessen Spuren noch an der Fassade des Hauses von Bernardi abzulesen sind. 50 Prozent seines Weinbergs wurden zerstört. Die Preise kann er nicht erhöhen, sonst verliert er seine Kunden, unter denen auch viele Touristen aus Deutschland sind. "In 80 Jahren habe ich so ein Desaster nicht erlebt", sagt er.

(RP)
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