Massaker von Orlando "Das Trauma wird bleiben"

Orlando · Das Massaker in dem Schwulenclub Pulse hat das Leben in der Party- und Touristenmetropole Orlando gelähmt. Die Bewohner sind verängstigt und ratlos. Doch vor der Gewalt kapitulieren wollen sie nicht.

Amoklauf in Orlando: Mindestens 50 Tote bei Schießerei in Disko
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Orlando: Mindestens 50 Tote bei Schießerei in Nachtclub

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Macht euch nichts vor, sagt Chris Enzo. "Das Trauma wird bleiben, das hier werden wir lange nicht abschütteln können, es muss erst noch einsickern, wir stehen doch ganz am Anfang." An Laternenmasten, in Schaufenstern, an der McDonald's-Reklame, überall in Orlando sieht man bereits die Parole, die helfen soll, den Blick nach vorn zu richten: "Orlando strong" - "Orlando ist stark".

Mit der Parole will die Stadt die Seite umblättern, wie es in Amerika im Moment einer Tragödie oft heißt. Enzo weiß, im Moment ist es Wunschdenken, ein Pfeifen im Walde. Er jedenfalls will gar nicht verhehlen, dass er unter Schock steht, nervös, verunsichert, fahrig ist. "Unsere Gemeinschaft ist ja so klein. Man hat das Gefühl, wir waren alle Zielscheiben", sagt Enzo.

Der 25-Jährige, der regelmäßig in einem Schwulenclub kellnert, um sein Studium zu finanzieren, erzählt von seinem Freund Rodney Sumter. Der stand in dem Moment, als der Angreifer Omar Mateen das Feuer eröffnete, im Pulse hinterm Tresen. Die Frau, für die er gerade einen Drink mixte, fiel vor seinen Augen zu Boden, wahrscheinlich tot, er weiß es nicht genau.

Selber von Kugeln an der Schulter und am Ellbogen getroffen, ging Sumter in Deckung, bevor er es irgendwie nach draußen schaffte. So hat er es Enzo erzählt, der es Wort für Wort wiederholt. Der Freund wird durchkommen, weiß Enzo. Was bleiben wird, sind die seelischen Wunden, gepaart mit dem Gefühl, als Gruppe ins Visier gewaltbereiter Fanatiker geraten zu sein. "Es sind ja immer dieselben Leute, die diese Clubs besuchen. Jeder kennt jeden, es ist, als hätte es deine Familie getroffen", sagt Enzo.

Gespenstische Nacht in der Partystadt

Trauer und Solidarität nach Massaker in Orlando
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Trauer und Solidarität nach Massaker in Orlando

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Es ist spät am Abend, rund 20 Stunden nach dem Blutbad. Enzo muss reden, um das Geschehene zu verarbeiten. Er ist dorthin gekommen, wo die Reporter warten, Grant Street/Ecke Orange Avenue, drei Straßenecken vom Tatort entfernt. Das Reklameschild eines Heimwerkerladens flackert im Dunkeln, Polizisten achten darauf, dass niemand das gelbe Plastikband passiert, auf dem "Crime Scene" steht - "Schauplatz des Verbrechens". Irgendwo dahinter, zwischen einfachen Cafés und billigen Imbissbuden, liegt das Pulse.

Es ist eine gespenstische Nacht in Orlando, der Partystadt, der Touristenstadt, der Stadt, die Walt Disney und Harry Potter opulente Themenparks widmet und die ihre Besucher schon am Flughafen mit dem Versprechen begrüßt, dass sich Freizeit und Fantasie in Orlando aufs Trefflichste mischen werden. Überall die rot-blauen Lichter der Polizeiautos, überall Absperrbänder. Die Innenstadt, das Areal rings ums Pulse, lässt an einen Kriegsschauplatz denken. Hubschrauber knattern am Himmel.

Die Menschen sind verzweifelt, manche wissen auch 30 Stunden nach der Tat noch nicht, wie es ihren Kindern, ihren Geschwistern, ihren Cousins geht, ob sie leben oder nicht. Eine Frage ist es, die an der Grant Street/Ecke Orange Avenue zwangsläufig in fast jedem Gespräch gestellt wird: Was ist passiert mit dem 29-jährigen Omar Mateen? Mit dem Mann, dessen Name sich für viele mit einem zweiten 9/11 verbindet, mit einem Terrorakt, der ähnliche Spuren hinterlässt wie die Attentate am 11. September 2001, auch wenn die Opferzahl deutlich kleiner ist?

Mateen, so viel scheint klar, muss das Blutbad geplant haben. Die Waffen, aus denen er im Pulse feuert, eine Pistole der Marke Glock und ein Sturmgewehr vom Typ AR-15, konnte er so mühelos erwerben, wie andere einen Autoreifen kaufen. Rodney Sumter, so schildert es dessen Freund Chris Enzo, hat Mateen als kaltblütigen Profi erlebt.

Der Täter, dessen Namen er nicht nennen werde, das wäre zu viel der Ehre, sagt Enzo, soll seine Opfer niedergemäht haben, als wäre ein Roboter am Werk. "Kalkuliert" ist das Wort, das der Student immer wieder gebraucht. So schnell hintereinander seien die Schüsse gefallen, dass manche Tatzeugen noch immer glauben, zwei Schützen hätten den Club überfallen.

2013 nahm das FBI den in New York geborenen Sohn afghanischer Eltern erstmals näher unter die Lupe. Damals soll er ins Visier der Bundespolizisten geraten sein, nachdem er gegenüber Kollegen mit angeblichen Kontakten zur Terrorszene geprahlt hatte.

Im fernen New York hat Donald Trump via Twitter gepoltert, dass er Recht habe mit seiner Sicht auf den "radikalen Terrorismus", während sich die Frage stelle, wann Präsident Barack Obama endlich die Worte "radikaler islamischer Terrorismus" ausspreche: "Wenn er es nicht tut, sollte er unverzüglich in Schande zurücktreten." Ob Trump im Wahlkampf profitieren wird von dem Blutbad? Paul Sandman, ein Unternehmer der Schwulenszene, der sich auf Stretch-Limousinen spezialisiert hat, quittiert die Frage mit einem Augenrollen. Herr Trump, sagt er, möge bitte sehr nach Orlando kommen und sich umhören, bevor er das große Wort führe. "Er muss einfach mal spüren, wie sich das hier anfühlt. Diese Ratlosigkeit."

Auf die Frage, ob sich das Land nun wohl zu schärferer Waffenkontrolle durchringen werde, antwortet Enzo mit skeptischen Blicken, bevor er nach kurzem Nachdenken erwidert, dass dies ja wohl wenig Sinn ergebe. "Wenn einer unbedingt töten will, wenn er es sich dermaßen in den Kopf gesetzt hat, dann glaube ich nicht, dass ihn ein schärferes Gesetz aufhalten kann." Ähnlich sieht es Andrew Sybert, 27 Jahre alt, ein Afroamerikaner aus dem ländlichen Alabama, der im toleranten Orlando einen Ort gefunden hat, an dem er sich offen zu seiner Homosexualität bekennen kann. Man wisse einfach nicht, was man mit solchen Gesetzen bewirken könne. "Du weißt einfach nicht, was du mit solchen Gesetzen damit bewirkst". Es klingt nach Resignation.

Auch Sybert spricht von der Angst, die nun in ihm stecke. Seine Mutter habe angerufen und ihn gebeten, für eine Weile keinen Schwulenclub mehr zu betreten. Den Gefallen hat er ihr nicht getan. In der Nacht zum Montag trifft sich Sybert geradezu demonstrativ in einer stadtbekannten Bar mit seinen Freunden, im Stonewall im Zentrum Orlandos, benannt nach der berühmten New Yorker Kneipe in der Christopher Street, die in der Geschichte der Homosexuellen-Bewegung eine so herausragende Rolle spielte. Sie wollen ein Zeichen setzen, sie wollen zeigen, so sagt es Syberts Kumpel Keith Vega, dass die Gewalt nicht siegen wird. "Wir wären doch nie so weit gekommen, wären wir bei jeder Sache vor lauter Angst auf die Knie gefallen." Im Stonewall, fügt er mit dröhnend lauter Stimme hinzu, wird nicht kapituliert.

(RP)
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