Papier zu Ehe, Familie und Moral Papst macht wiederverheirateten Geschiedenen Hoffnung

Rom · Der Vatikan hat das mit Spannung erwartete nachsynodale Schreiben von Papst Franziskus zu Ehe, Familie und Moral veröffentlicht. Geschiedenen Katholiken gibt es Anlass zur Hoffnung. Homosexuellen weniger.

Papst Franziskus feiert die Karsamstagsmesse im Petersdom
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Der Papst feiert die Karsamstagsmesse im Petersdom

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Foto: dpa, frr bjw

Seit Tagen schon melden sich hohe Würdenträger zu Wort mit der Bitte, an das apostolische Schreiben von Papst Franziskus nicht allzu hohe Erwartungen zu knüpfen. Zumindest diese Erwartungen sind mit "Amoris Laetitia — Über die Liebe in der Familie" erfüllt worden. Denn auf den über 300 Seiten, in denen das Oberhaupt der katholischen Kirche die Abschlussdokumente der sogenannten Familiensynode vom vergangenen Herbst aus seiner Sicht bewertet, werden vermeintliche Reformschritte nur angedeutet, ohne Reformen tatsächlich auch einzuleiten.

Schon während der beiden Synoden 2014 und 2015 hatte der Papst die Rolle des Hörenden eingenommen. Daran hat sich auch jetzt nichts geändert — spannenderweise. Selbst sein nachsynodales Schreiben hat mehr einen suchenden und forschenden als einen letztgültig bestimmenden Charakter. Von der vielzitierten, in der Kirchengeschichte aber so gut wie nie angewendeten Unfehlbarkeit des Papstes ist auch dieses nachsynodale Schreiben — gottlob — weit entfernt.

Vielleicht liegt genau darin das Neue und die eigentliche Sprengkraft des Textes: Papst Franziskus gibt in vielen strittigen Fragen der katholischen Morallehre die Verantwortung an die Ortsbischöfe und die Gemeinden zurück. Das trifft im Besonderen auf die Frage zu, ob wiederverheiratete Geschiedene (die nach der Kirchenlehre in Sünde leben) das Abendmahl feiern dürfen. Franziskus betont nun, dass die Gemeinden die Geschiedenen nicht alleine lassen dürfen. "Es geht darum, alle einzugliedern; man muss jedem Einzelnen helfen, seinen eigenen Weg zu finden, an der kirchlichen Gemeinschaft teilzuhaben, damit er sich als Empfänger einer unverdienten, bedingungslosen und gegenleistungsfreien Barmherzigkeit empfindet." Und weiter: "Niemand darf auf ewig verurteilt werden, denn das ist nicht die Logik des Evangeliums! Ich beziehe mich nicht nur auf die Geschiedenen in einer neuen Verbindung, sondern auf alle, in welcher Situation auch immer sie sich befinden."

Das ist ein neuer, vor allem offener Ton in der katholischen Kirche, die sich unter Franziskus auch in der Glaubenslehre nicht mehr als eine ausschließlich verbotsorientierte Kirche zeigt. Es geht nunmehr um dynamische Entscheidungen, es geht dem Papst auch um die Betrachtung von Einzel- und Sonderfällen und den Versuch, diesen gerecht zu werden. Nach besonderer Prüfung soll dies auch für wiederverheiratete Geschiedene gelten.

Am deutlichsten wird diese Öffnung gegen Ende des Textes. Denn nach den Worten des Pontifex dürfe sich "ein Hirte nicht damit zufrieden geben, gegenüber denen, die in 'irregulären' Situationen leben, nur moralische Gesetze anzuwenden, als seien es Felsblöcke, die man auf das Leben von Menschen wirft. Das ist der Fall der verschlossenen Herzen, die sich sogar hinter der Lehre der Kirche zu verstecken pflegen".

Und schließlich: "Die Kirche ist keine Zollstation, sie ist das Vaterhaus, wo Platz ist für jeden mit seinem mühevollen Leben."

Diese Öffnung als eine Art Einladung zum Gespräch ändert natürlich nichts an den grundsätzlichen Lehren vor allem vom Eheverständnis als Sakrament; sie ist weder eine "gesellschaftlichen Konvention" noch ein "leerer Ritus". Für ihn sind Eheleute "eine ständige Erinnerung an das, was am Kreuz geschehen ist; sie sind füreinander und für die Kinder Zeugen des Heils, an dem sie durch das Sakrament teilhaben."

Aber da gibt es gegen Ende der Schrift auch noch die Aufforderung der Priester, in Sonderfällen zu erkennen, dass die "Wirkungen einer Norm nicht notwendig immer dieselben sein müssen", wie es heißt. Und dazu steht in einer vielsagenden Anmerkung, dass dies auch auf die "Sakramentenordnung" zutreffen kann. Der Spielraum, so scheint es, ist für die Ortskirchen größer geworden.

Und dies betrifft dann die gesamte katholische Glaubenswelt mit ihren so unterschiedlichen Lebens- und auch Moralvorstellungen. Der Papst öffnet die Kirche und schenkt den Gemeinden offenbar mehr Verantwortung und damit Eigenständigkeit. Anders dürfte auf Dauer ein Zusammenhalt der sehr vielfarbigen Kirche ohnehin nur schwer denkbar sein. Vor allem die europäischen Gläubigen hatten sich auf den Familiensynoden konzentriert auf diese beiden Themen: den Umgang ihrer Kirche mit Homosexuellen und mit wiederverheirateten Geschiedenen — eine Engführung, die in anderen und auch größeren Teilen der katholischen Glaubenswelt keine oder nur marginale Rolle spielen. So eingehend sich Franziskus mit den Geschiedenen und Krisen einer Ehe auseinandersetzt, so rigoros bleibt er in seiner Meinung zu Homosexuellen. Wie er betont, gibt es "keinerlei Fundament", die Verbindungen zwischen homosexuellen Personen der

Ehe gleichzustellen und eine Analogie zum "Plan Gottes über Ehe und Familie" herzustellen — "auch nicht in einem weiteren Sinn". Und es hört sich beinahe wie die Beschreibung einer Art ansteckenden Krankheit an, wenn er um Toleranz bittet: "Darum möchten wir vor allem bekräftigen, dass jeder Mensch, unabhängig von seiner sexuellen Orientierung, in seiner Würde geachtet und mit Respekt aufgenommen werden soll und sorgsam zu vermeiden ist, ihn in irgendeiner Weise ungerecht zurückzusetzen oder ihm gar mit Aggression und Gewalt zu begegnen."

Nach einer Umfrage unter weltweit allen Gläubigen und nach zwei Synoden liegen nun Ergebnisse vor, die im Grunde keine Ergebnisse sind. Dabei wurden die Beratungen über Ehe, Familie und Morallehre als ein Prüfstein angesehen, an dem sich der Erfolg des gesamten Pontifikats ablesen lasse. Das ist sie nicht geworden. Die Familiensynode kann eine Etappe werden, die jetzt weitere Schritte verlangen wird. Nicht mehr, aber eben auch nicht weniger. In welche Richtung der Weg der katholischen Kirche führen wird? Vielleicht wird sich insgesamt das Gesicht der katholischen Kirche in der Welt verändern. Das nachsynodale Schreiben mit seinen Fragen und Nachfragen sowie der Übertragung von Verantwortung ist aber ein Beleg dafür, dass die katholische Kirche unter Papst Franziskus weiter in Bewegung geblieben ist.

Das Schreiben von Papst Franziskus, "Amoris Laetitia" erscheint in deutscher Sprache am 20. April im Herder-Verlag in zwei Ausgaben: Gebunden und als Taschenbuch — mit Einführungen von Reinhard Kardinal Marx (München und Freising), Franz-Josef Bode (Osnabrück) und Heiner Koch (Berlin) sowie einem ausführlichen Stichwortverzeichnis.

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