Hinter Gittern Alpenknast in Österreich ist europaweites Vorbild

Leoben · Tief in Österreich liegt eines der liberalsten Gefängnisse Europas. Die Gefangenen sollen in dem kunstvollen Bau in der Steiermark vor allem menschlich behandelt werden. Das Konzept könnte Schule machen.

Europaweites Vorbild - der Knast in Loeben
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Europaweites Vorbild - der Knast in Loeben

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Sanft schmiegt sich das helle Gebäude in die österreichische Berglandschaft. Im Hintergrund erstrecken sich Wiesen und Wälder, davor erhebt sich über der Stadt die Justizanstalt von Leoben.

Der zweitgrößte Ort der Steiermark hat etwa 24.000 Einwohner, einige Industriebetriebe, malerische mittelalterliche Bauten im Stadtzentrum - und ein Aufsehen erregendes "Designer-Gefängnis".

An der Mauer neben der Eingangstür des von luftigen Glas- und Holzkonstruktionen dominierten Bauwerks prangt Artikel 10 des UN-Menschenrechtsabkommens: "Jeder, dem seine Freiheit entzogen ist, muss menschlich und mit Achtung vor der dem Menschen innewohnenden Würde behandelt werden."

Klaus Pichler: Tätowierungen von Häftlingen
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Der Eingangsbereich dahinter, den jeder Besucher auf dem Weg zu den Insassen passiert, wirkt teilweise wie das Wartezimmer eines Kinderarztes: Weiche Sofas und Stühle, bunte Kunstblumen, eine Spielzeugkiste.

"Wir wollen Inhaftierte hier nicht einfach wegsperren", sagt Friedrichs Wolfslehner. Der 46-Jährige - kurze braune Haare, Kinnbart, ruhige Stimme - ist stellvertretender Leiter der 2004 gebauten Einrichtung. "Der Kontakt zur Außenwelt ist sehr wichtig."

Bei der Eröffnung des vom österreichischen Architekten Josef Hohensinn entworfenen Baus vor knapp zehn Jahren gab es einige Kritik. Zu schick, mit etwa 25 Millionen Euro Baukosten zu teuer, hieß es teilweise aus der Bevölkerung. Seit den 1970er Jahren war dies der erste Gefängnisneubau der Alpenrepublik.

Ironische Postkarten-Ansichten

Im Internet kursierten ironische Postkarten-Ansichten der 60 Kilometer von Graz im "grünen Herzen" Österreichs gelegenen Anstalt. Mittlerweile hatte Leoben zumindest für einige andere Gefängnisse in Österreich aber auch in Deutschland Vorbildcharakter.

In dem mit hellen Parkettboden ausgekleideten Besuchsbereich sprechen gerade zwei Frauen durch eine Glaswand getrennt miteinander. Ein paar Meter weiter sitzen sich zwei ältere Männer direkt an einem kleinen Holztisch gegenüber. Besucher können sich teilweise ohne Termin beim Empfang melden, der Häftling wird benachrichtigt und kann kurze Zeit später mit seinen Angehörigen zusammenkommen - in der Regel mindestens einmal pro Woche.

Doch auch hinter sämtlichen verschlossenen Türen sollen in Leoben die Insassen so "normal" wie möglich behandelt werden. Bis zu 18-monatige Haftstrafen verbüßen sie hier. Teilweise werden aber auch Gefangene mit höheren Haftstrafen von anderen Gefängnissen überstellt und sitzen dann deutlich länger in Leoben.

So sieht es im Hoeneß-Gefängnis aus
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Foto: ap

"Das Konzept lautet: Nach außen so sicher wie möglich, nach innen so offen wie möglich", sagt Wolfslehner. Ringsum ist die Anstalt von einer sechs Meter hohen Mauer mit Stacheldraht und Kameras umgeben. Im Inneren herrscht jedoch eine Atmosphäre beinahe sonntäglicher Gelassenheit.

Schlendert man durch die lichtdurchfluteten Hallen und Flure in den Zellentrakten, fällt vor allem die Stille auf. Kein Geschrei, keine hallenden Schritte, keine schweren Tore, die ins Schloss fallen. Stattdessen schalldämpfende Böden, Wände, Decken. "Das wirkt sich positiv auf die Psyche der Häftlinge aber auch der Mitarbeiter hier aus", ist Wolfslehner überzeugt. "Jeder Mitarbeiter ist ja länger im Gefängnis als die Insassen."

Die Häftlinge - derzeit 211 - sind in der Regel in Einzelzellen mit Fernseher und Duschgelegenheit untergebracht. Sie leben in "Haft-Gemeinschaften" mit maximal 18 Insassen. In den offensten Abteilungen teilen sie sich Küchen und Gemeinschaftsräume, besitzen Schlüssel, mit denen sie sogar ihre eigenen Einzelzellen von innen abschließen können.

"Das ist eine Luxusanstalt"

In einem der Gemeinschaftsräume im vierten Stock sitzt Günther M. auf einem hellen Sofa, die massigen Hände vor dem Bauch gefaltet. Mit seinen 54 Jahren gehört der grauhaarige Mann zu den Oldies in Leoben, die meisten Insassen sind zwischen 20 und 30 Jahre alt. Hinter M., jenseits der großzügigen vergitterten Fensterfront, leuchten die Baumwipfel auf den Alpen-Ausläufern in der Nachmittagssonne.

"Seit viereinhalb bin ich hier", erzählt er mit brummiger Stimme. Wegen Wirtschaftsbetrug habe er insgesamt zehn Jahre Haft bekommen, die zweite Hälfte davon dürfe er in Leoben absitzen. "Das ist eine Luxusanstalt", meint M..

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"Man ist eingesperrt, und das ist eine psychische Belastung. Aber alles ist hier viel leichter." Die Häftlinge können regelmäßig Sport treiben, es gibt Tischkicker, Krafträume, Tischtennisplatten, Hallen für sämtliche Ballsportarten und Sportplätze im Freien. Dazu eine Bibliothek, einen Multimediasaal und einen Andachtsraum für alle Konfessionen.

Im Haftalltag sind die Gefangenen zu großen Teilen für sich selbst verantwortlich: Essen wird nicht in einem Speisesaal portioniert serviert. Stattdessen bekommen die einzelnen Wohngruppen Vorräte. Die Insassen müssen selbst kochen und sich selbst versorgen.

Die Häftlinge dürfen außerdem ihre eigene Kleidung tragen. Auf den Fluren begegnet man vielen in Jeans und Hemden, aber auch Trainingshosen und Badelatschen. Ihre Privatkleidung müssen die Insassen selbstständig waschen und trocknen. In Werkstätten oder in der Küche haben sie zudem regelmäßige Arbeitstage.

"Wie soll ein Gefangener lernen, wieder für sich zu sorgen, wenn wir ihm hier drinnen alles abnehmen?", fragt Wolfslehner. "Ich habe woanders schon Häftlinge erlebt, die vor dem ersten Freigang-Tag Angst hatten, weil sie glaubten, sich nicht mehr zurechtzufinden.
Dabei sollen sie doch resozialisiert werden."

"Die Haftanstalt in Leoben ist europaweit modellhaft und ziemlich einmalig", sagt der Gründungsdirektor des Deutschen Instituts für Sozialwirtschaft in Kiel und Resozialisierungsexperte Professor Bernd Maelicke. "Im Gegensatz zu vielen notdürftig modernisierten alten Bauten ist das Konzept hier sehr resozialisierungsorientiert."

"Der ideale Strafvollzug ist in Wohngruppen, in denen vom Kochen bis zum Wäschewaschen alles selbst gemacht wird", sagt auch der Kriminologe und Resozialisierungsexperte Professor Thomas Feltes von der Ruhr-Universität Bochum. Die negativen Folgen der Haft sollten so gering wie möglich gehalten werden.

"Haft ist immer Haft", meint der 32-Jährige Markus L.. Seit sieben Monaten sitzt er in Leoben, 16 hat er noch vor sich. Er arbeitet in der Gefängnisküche und der Kantine, serviert Wärtern und Mitarbeitern kleine Imbisse, hantiert mit schweren Töpfen und Metallbesteck. "Man vergisst nicht, dass man im Gefängnis ist", sagt er. Abgesehen von kleinen Reibereien sei die Atmosphäre in dem Alpengefängnis jedoch vergleichsweise angenehm.

Doch nicht nur die Häftlinge profitieren anscheinend von dieser entspannteren Atmosphäre: "Für jeden einzelnen Mitarbeiter ist es hier auch sicherer", sagt ein 52 Jahre alter Anstaltswärter. Der hagere Mann arbeitet seit 32 Jahren als Justizbeamter. "Wir haben viel Kontakt mit den Insassen, man kennt fast alle zumindest vom Sehen", sagt er. In Konfliktsituationen oder auch einfach zum Dolmetschen gebe es dadurch etliche Häftlinge, auf deren Hilfe man sich verlassen könne.

Schlimme Zustände in Niederösterreich

Geht man weiter durch die großzügigen Gänge des Gefängnisses, fällt auf, dass sich nirgendwo Zeichen von Vandalismus, Schmierereien oder kaputte Möbel finden. Ob es jedoch auch außerhalb der Anstalt einen "Leoben-Effekt" gibt, ist unklar. Mit den zur Verfügung stehenden Daten lasse sich nicht sagen, ob Leoben sich positiv auf die Rückfälligkeit von Insassen auswirke oder ob die dortige Rückfallquote unter dem österreichischen Durchschnitt liege, heißt es beim Justizministerium.

Einen Ausbruchsversuch hat es nach Angaben der Anstaltsleitung bislang nicht gegeben. In anderen Gefängnissen Österreichs gab es in der Vergangenheit zudem zumindest offensichtlichere Missstände.

Im Mai war beispielsweise der Fall eines schwer vernachlässigten Häftlings in der Justizanstalt Stein in Niederösterreich bekannt geworden. Ein 74 Jahre alter Insasse soll von den Wärtern erst versorgt worden sein, als aus der Zelle bereits Gestank strömte. Der Mann hatte eingetrocknete Bandagen an den Füßen, zentimeterlange Zehennägel und eitrige Geschwüre. Mehrere Gefängnismitarbeiter wurden vorübergehend suspendiert.

"Hier wird man angesprochen, wenn man nicht gut drauf ist", erzählt Markus L. in Leoben, während er Salzstreuer und die letzten Teller in der Anstaltskantine abräumt. Er blickt kurz um sich. "Wenn man wieder draußen ist, wird man nichts von hier vermissen", meint er. "Aber bis dahin war es für die Psyche in jedem Fall einfacher."

(dpa)
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