Studie zu AKW-Notfall im Grenzgebiet Behörden auf möglichen Reaktorunfall schlecht vorbereitet

Den Haag/Aachen · Deutschland, Belgien und die Niederlande sind nicht gut für einen Atomunfall im Grenzgebiet gerüstet. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung aus den Niederlanden. Vor allem die Menschen in der Region Aachen dürfte das alarmieren.

Menschenkette von Aachen nach Tihange
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Menschenkette von Aachen nach Tihange

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Foto: dpa, pat

Den Bericht hat der niederländische Untersuchungsrat zu Sicherheitsfragen am Mittwoch in Den Haag vorgelegt. Demnach sind die drei Länder ungenügend auf einen Reaktorunfall im Grenzgebiet vorbereitet. Die Verfasser der Studie kritisieren vor allem folgende Punkte:

  • Die Katastrophenpläne der Länder seien lückenhaft und schlecht aufeinander abgestimmt. Sie berücksichtigten zu wenig, dass die Folgen eines Reaktorunfalls grenzüberschreitend wären und somit eine Zusammenarbeit erforderlich sei. Die Weitergabe von Informationen sei zwar vereinbart, funktioniere jedoch nicht so wie gewünscht.
  • Im Fall der Fälle würden auf der einen Seite der Grenze andere Maßnahmen zum Strahlenschutz ergriffen als auf der anderen, etwa was Evakuierung, Unterschlupf oder die Einnahme von Jodtabletten angeht.

  • Widersprüchliche Informationen aus den einzelnen Ländern könnten im Notfall die Bevölkerung verunsichern und verwirren. Dabei sei es gerade im Falle eines Reaktorunglücks wichtig, dass die Menschen klare, eindeutige Anweisungen erhalten.
  • Es habe kaum gemeinsame Übungen gegeben, die Behörden hätten somit wenig Erfahrung in der grenzüberschreitenden Krisenbewältigung sammeln können. Dabei sind nach Ansicht der Autoren Praxis-Übungen entscheidend, um zu prüfen, ob Krisenpläne und die Zusammenarbeit der Behören funktionieren. So sei zum Beispiel unklar, ob Sprachprobleme auftreten würden. Dass im Katastrophenfall mehrere Behörden aus unterschiedlichen Ländern involviert wären, könne eine koordinierte Krisenbewältigung sogar behindern, warnen die Autoren.
  • In allen drei Ländern veröffentlichten die Atomaufsichtsbehörden und AKW-Betreiber nach jedem Störfall Informationen über die Ereignisse auf ihren Webseiten. Diese Informationen seien zwar leicht zu finden, für die meisten Bürger jedoch nur schwer verständlich. Den Behörden gelinge es nicht, die Sorgen der Einwohner zu erkennen und entsprechend darauf einzugehen.

Die Autoren der Studie empfehlen den Ländern, die Krisenpläne für einen nuklearen Unfall zu überarbeiten und stärker auf die grenzüberschreitenden Aspekte auszurichten. Zudem seien gemeinsame Übungen und Simulationen sowie eine einheitliche Krisenkommunikation nötig.

Anlass der Untersuchung waren Pannen bei zwei belgischen Atomkraftwerken im Grenzgebiet, die Bürger und Kommunen in der Region aufgeschreckt hatten. Die Sicherheit dieser Reaktoren war jedoch nicht Gegenstand des Berichts. Vor allem die belgischen Kraftwerke Tihange bei Lüttich und Doel bei Antwerpen gelten als marode.

Die Sorge vor einem Atomunfall in Belgien ist in NRW besonders bei den Menschen in der Region Aachen groß. Keine 70 Kilometer liegen zwischen Aachen und dem umstrittenen Kernkraftwerk Tihange. Deshalb gibt es Zweifel, ob im Ernstfall die Zeit reicht, um die Bevölkerung mit hoch dosierten Jodtabletten auszustatten. Mehr als 123.000 Menschen in der Aachener Region haben sich 2017 bei einer Verteilaktion mit kostenlosen Jodtabletten versorgt. Das ist etwa jeder fünfte anspruchsberechtigte Bürger. Andere Bürger hatten sich schon zuvor rezeptfreie Jodtabletten gekauft.

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hatte im Dezember deutlich gemacht, dass er auf eine Abschaltung des "Pannenreaktors" Tihange drängt. Die neue Bundesregierung müsse sich stärker als bisher für eine Abschaltung engagieren. Die Städteregion Aachen geht im Schulterschuss mit anderen Kommunen juristisch gegen das Kernkraftwerk Tihange vor. Zwei Klagen in Belgien sind anhängig.

Der Protest gegen die Reaktoren macht an der Grenze nicht halt. Im Juni 2017 demonstrierten Zehntausende Atomkraftgegner aus Deutschland den Niederlanden und Belgien. Sie bildeten eine Menschenkette vom Atommeiler Tihange bis nach Aachen.

Mit Material der dpa.

(oko)
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