Interview mit Alfred Biolek Auf zu neuen Ufern

Düsseldorf (RP). Alfred Biolek zieht sich nach 43 Jahren aus dem Fernsehen zurück. Seine Erlebnisse hat er zu einem Bühnen-Programm verarbeitet. Ein Gespräch über die Sucht nach Applaus und über Fast Food - auf dem Bildschirm sowie in der Küche.

Sie sind derzeit auf Tour mit Ihrem Bühnenprogramm "Mein Theater mit dem Fernsehen". Wie empfinden Sie das Tourleben?

Biolek Interessant und spannend. Neu und anders. Meine Sendungen habe ich immer am selben Platz gemacht, also in Köln. Jetzt lerne ich verschiedene Städte kennen, in denen ich niemals war. Wie Rostock zum Beispiel. Und dann lerne ich Mentalitäten kennen. Das Publikum in großen oder kleinen Städten reagiert ganz unterschiedlich.

Haben Sie bei den Reisen eine Alternative zu Ihren Wohnsitzen in Berlin und Köln gefunden?

Biolek Nein, in keiner der Tour-Städte möchte ich gerne leben. Das spricht nicht gegen diese Städte. Ich bin einfach ein Großstadttyp. Schon Köln war mir zu klein. Ich bin immer weg: nach New York, London und Paris. Jetzt lebe ich teils in Köln, teils in Berlin - wunderbar.

Provinz ist nichts für Sie?

Biolek Das hat nichts mit Mentalität zu tun, sondern schlicht mit der Größe. Das Verrückte ist nur, dass man das Angebot einer Metropole gar nicht nutzen kann. Aber das Gefühl, es zu können, fasziniert mich.

Rostock, Freiburg, Augsburg - bei Ihrer Tour lernen Sie wohl viele regionale Küchen kennen.

Biolek Nach der Vorstellung gehe ich oft mit meinem Team essen. Aber die exzessive Zeit der regionalen Küche ist vorüber. Alles ist internationaler. Der Einfluss von Italien ist sehr stark. Man isst mehr Fisch als früher. In Rostock habe ich zuletzt fantastischen Zander gegessen.

Fühlt sich die Bühne anders an als ein Auftritt im Fernsehstudio?

Biolek Ja. Ganz anders. Im Studio arbeite ich in erster Linie für die Kamera. Und das Publikum ist nicht ausschließlich wegen mir gekommen, sondern will auch diese Atmosphäre erleben. Wohingegen ins Theater kommen die Menschen ja nur meinetwegen. Im Laufe eines Abends entsteht zwischen mir und ihnen eine Einheit wie sonst im Fernsehen mit mir und der Kamera.

Und Sie bekommen die Reaktionen hautnah mit.

Biolek Ja, im Fernsehen arbeite ich ja vornehmlich für die Millionen, die zu Hause an den Schirmen sitzen. Ich weiß nicht, ob die auch wirklich Interesse haben oder wegschalten. Die Theaterbesucher kommen, bleiben und wollen mich sehen. Es ist anders. Das hat mir auch Harald Schmidt gesagt. Er hat prophezeit, ich würde süchtig werden nach der Atmosphäre. Er hat Recht.

Dann sind Sie mittlerweile süchtig nach der Bühne und dem Applaus. Kommen Sie davon nicht los?

Biolek Davon kommt man nie los. Andererseits kann man ja auch ein trockener Alkoholiker werden. Wenn man älter wird, weiß man, dass man nicht mehr jeden Tag auf die Bühne kann. Im Übrigen hat man auch Applaus im kleinsten Rahmen: Wenn man für Freunde kocht, ist das etwas Vergleichbares.

Gibt es einen Lebensplan, ein Datum, an dem Sie sagen: Jetzt sitze ich nur noch auf der Bank, lese Bücher und trinke guten Wein?

Biolek Ich trinke seit jeher guten Wein. Dafür muss ich nicht alt werden. Irgendwas wird immer passieren. Vor drei Jahren wusste ich auch nicht, dass ich nun ein Bühnenprogramm mache.

Wäre eine Karriere wie die Ihre heute noch möglich?

Biolek Nein. Dafür hat sich das Medium Fernsehen zu sehr verändert. Wenn ich mich kritisch über das Fernsehen äußere, dann ist das keine Kritik an denen, die es machen, sondern an der Art des Mediums. Ein Beispiel: Dass eine Talkshow fünf Mal die Woche läuft, finde ich absurd. Wir hatten es bei "Boulevard Bio" schon schwer gehabt, einmal die Woche gute Gäste zu haben. Alles muss gehypet werden. Aber in einer Gesellschaft, die sich wegen Knut fast überschlägt, wird es eben so gemacht.

Ein Problem für Sie?

Biolek Ich finde das nicht schrecklich - ich muss ja nicht mehr mitmachen. Das Fernsehen ist ein bisschen wie Fast Food. Aber es gibt nicht nur schlechtes Essen, sondern auch gute Restaurants und die Möglichkeit, zu Hause zu kochen. Wir können ins Kino oder Theater gehen, Abende mit Freunden verbringen. Wir sind dem Hamburger und schlechtem Fernsehen doch nicht ausgeliefert.

Sie haben immer wenig ferngesehen.

Biolek Das liegt nicht daran, dass ich das Fernsehen schlecht finde. Ich habe einfach so viele andere Sachen zu tun. Was tagsüber läuft, ist nicht erhebend. Abends gibt es bei 3Sat oder Arte tolle Sachen. Dann habe ich allerdings Gäste, meine Tour-Abende, bin eingeladen - wie heute bei einer Konzertpremiere oder morgen bei Winzern.

Wie bewerten Sie die Programme der Öffentlich-Rechtlichen?

Biolek Das ist ein Problem. Die sehe ich kritisch, weil ich glaube, dass sie ihren Auftrag nicht erfüllen - zumindest was die Unterhaltung angeht.

Die Quote regiert.

Biolek Vor Jahren haben die Verantwortlichen einen Fehler gemacht. Als die Privatsender kamen, hätten sie sagen müssen: "Bei uns wird die Quote abgeschafft. Wir fangen erst gar nicht an, uns zu vergleichen." Jetzt sind sie in einem Wettbewerb, der wirklich schwierig ist.

Was Sie angepackt oder erfunden haben, war ein Erfolg. Gab es auch Misserfolge?

Biolek Keine großen. Es gab keine Formate oder Sendeformen, die ein Flop waren. Das einzige, was ich nach zwei Jahren aufgehört habe, war "Bei Bio". Im Rückblick war ich damals zu früh dran. Die Idee war, Künstler ohne Glamour zu zeigen. Das hätte funktioniert, wenn wir es wöchentlich gemacht hätten. Aber wöchentlich gab es damals noch nicht. Natürlich waren einzelne Sendungen mal nicht gut oder einzelne Gäste.

Sie wurden dafür kritisiert, dass Sie zu nett sind. Haben Sie mal gedacht, Sie müssten sich ändern?

Biolek Nein. Ich hätte mich nicht ändern können. Ich war nie Journalist und habe nie Interviews gemacht, sondern Gespräche geführt - das ist ein großer Unterschied. Meine Gespräche mit Politikern wie Strauß, Kohl, Putin oder Schröder hätte ich nicht anders führen können. Aus der Distanz sage ich heute: Vielleicht hätte ich bei meinem Stil bestimmte Politiker nicht einladen dürfen.

Hat Ihr Respekt vor der Privatsphäre anderer auch mit Ihrer eigenen Zurückhaltung zu tun?

Biolek Durchaus. Obwohl ich mit meiner Art oft mehr herausbekommen habe als andere. Meine Gespräche waren ja kein oberflächliches Geplänkel, auch wenn das die Kritiker immer schreiben. Es war eben nicht der Sensationsjournalismus, der heute gang und gäbe ist.

Haben neue Ideen immer weniger Chancen, realisiert zu werden?

Biolek Ja. Es kann aber auch eine Art Flashback geben, eine Art Rückbesinnung auf höhere Werte im Fernsehen. Das weiß niemand. Vielleicht kommt ein Kanal, der den ganzen Tag Qualität sendet für all diejenigen, die das jetzige Fernsehen nicht mehr so toll finden.

Jeder ist frei in seiner Wahl.

Biolek Ja, wie beim Essen. Wir haben den Trend zum Fast Food und zu Fertigprodukten wie Tiefkühlpizza. Andererseits entstehen ständig neue Bio-Supermärkte, wie bei mir um die Ecke derzeit der größte Europas. Die Leute gehen auf den Markt und kaufen frische Sachen. Es gibt immer mehr gute Restaurants. So ist es auch beim Fernsehen: Es wird Programme geben, die man konsumiert ohne Rücksicht auf Qualität. Aber auch Anspruchsvolles - vielleicht auch verstärkt.

Für Sie ein Aufgabenfeld?

Biolek Könnte sein. Erstmal habe ich im Fernsehen nichts vor. Aber wenn da ein Angebot käme und das wäre spannend - warum nicht?

Mit "Alfredissimo" haben Sie den Kochboom im Fernsehen begründet. Glauben Sie, der bringt die Zuschauer an den Herd?

Biolek Nein. Die Menschen schauen sich das an und schieben eine Tiefkühlpizza in den Ofen.

Warum ist dann nach zwölf Jahren Schluss?

Biolek Es war einfach an der Zeit. Es gibt für alles einen richtigen Zeitpunkt. Dafür hatte ich bislang immer ein gutes Gespür. Ich habe nie gezögert, mutig Neues zu beginnen, und nie damit gewartet, etwas zu beenden. Wenn man älter wird, gibt es zwei Sätze, die man hört: entweder "Schade, dass Sie das nicht mehr machen" oder "Machen Sie das immer noch?". Und ich möchte den ersten Satz hören.

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