Washington Arktische Kälte lässt Nordamerika zittern

Washington · Die Menschen im Mittleren Westen der USA sind an eisige Tage gewöhnt. Doch die gegenwärtige Kältewelle lässt selbst Hartgesottene bibbern. Teilweise erreichen die Temperaturen gefühlte minus 48 Grad. Und die Kälte soll andauern.

Es passiert nicht oft, dass Amerikas Wettermänner vor einer heranziehenden Kältewelle warnen wie vor einer nahenden Katastrophe. Diesmal tun sie es, und zwar in so dramatischen Tönen wie sonst nur vor einem Hurrikan. "Wenn Sie nicht unbedingt nach draußen müssen, lassen Sie es bleiben", rät Paul Douglas, ein Meteorologe aus Minneapolis, der seit gut 30 Jahren vor der Wetterkarte steht. "Nehmen Sie frei. Ich schreibe Ihnen eine Entschuldigung. Grund: strenger Winter."

Normalerweise ist Minneapolis, hoch im Norden der USA, keine Stadt, deren Bewohner sich von einem Kälteeinbruch leicht beeindrucken lassen. Gestern war das anders, da verfügte Mark Dayton, der Gouverneur des Bundesstaats Minnesota, den Schulunterricht buchstäblich auf Eis zu legen, was zum letzten Mal während eines Blizzards 1997 geschah. "Ich habe diese Entscheidung getroffen, um Kinder vor den gefährlich niedrigen Temperaturen zu schützen", begründete er das. Schuld ist ein Schwall arktischer Luft, der aus Kanada nach Süden schwappt. Meteorologen sprechen von der schlimmsten Kältewelle seit 20 Jahren.

In Minneapolis wurden gestern Morgen minus 31 Grad Celsius gemessen, im eisigen Wind sogar gefühlte minus 48 Grad. Rekord ist das nicht, der datiert vom 22. Januar 1936, als die gefühlte Temperatur bei minus 55 Grad lag. Aber es reichte der Kommune, sämtliche Parks zu sperren, schon um etwaigen Langlauftouren auf Skiern vorzubeugen. Falls nackte Haut der klirrenden Kälte ausgesetzt werde, fügte Paul Douglas warnend hinzu, könne es innerhalb von fünf Minuten zu Erfrierungen kommen.

Reporter von CNN wiederum haben sich darauf spezialisiert, angeblich kochendes Wasser aus kleinen Bechern gen Himmel zu schleudern, um marktschreierisch kundzutun, dass es im Nu gefriert. Heute strömt die arktische Luft bis in den tiefen Süden, bis nach Atlanta in Georgia, wo das Quecksilber dann niedrigere Werte anzeigen dürfte als in Anchorage in Alaska. Betroffen wird auch die Ostküste sein, wo man sich nach einem Schneesturm drei Tage nach Silvester gerade erst freigeschaufelt hat. Kurzum, nach Prognosen der Commodity Weather Group könnte der heutige Tag im amerikanischen Durchschnitt als kältester Tag seit dem 19. Januar 1994 in die Annalen eingehen.

An zahlreichen Flughäfen zwischen Atlantikküste und Mittlerem Westen sind verspätete oder abgesagte Flüge bereits seit Tagen die Norm. Allein in Chicago O'Hare, einem der wichtigsten Luftkreuze des Landes, wurden am Sonntag 1200 Verbindungen gestrichen, das ist fast die Hälfte des gesamten Routenplans. Auf dem New Yorker Kennedy-Airport rutschte eine aus Toronto kommende Maschine bei einem Schwenk nach der Landung über die glatte Rollbahn. Sie kam in einer Schneewehe zum Stehen, worauf der gesamte Flugverkehr für zwei Stunden unterbrochen wurde.

Dann sind da noch die Football-Spieler mit ihrem Harte-Männer-Image, die sich von ein bisschen Frost noch lange nicht aus der Bahn werfen lassen. Am Sonntagabend stand in Green Bay, einer Industriestadt am Michigansee, das Match zwischen zwei Traditionsteams der National Football League auf dem Kalender, den Green Bay Packers und San Francisco 49ers. Wer erwartet hatte, dass die Partie abgeblasen würde, sah sich getäuscht. Bei rund zwanzig Grad unter null kamen 77 000 Zuschauer, volles Stadion, beste Stimmung, Winter in Wisconsin eben, nichts, worüber man lange jammert. Gewonnen haben die Gäste vom Pazifik, was umso bemerkenswerter ist, weil San Francisco als klimaverwöhnte Metropole des ewigen Frühlings gilt.

Insgesamt sind über 140 Millionen Amerikaner von der Kältewelle betroffen – mehr als ein Drittel des Landes. Meteorologen sagen voraus: Die Kaltfront wird mindestens bis Mitte der Woche andauern – und es dürfte noch kälter werden. Sogar im Sonnenstaat Florida müssen Winterflüchtlinge mit Kälte rechnen – aber wohl nur vorübergehend.

(RP)
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