Prozess um Bombenanschlag Angeklagter spurlos verschwunden

Halle (AP). Einer der beiden Angeklagten im Prozess um das Bombenattentat auf ein Lokal in Merseburg ist spurlos verschwunden. Der 28-Jährige, dessen Haftbefehl im Oktober vergangenen Jahres außer Vollzug gesetzt worden war, erschien am Dienstag nicht zur Verhandlung vor dem Landgericht Halle. Ihm wird vorgeworfen, die Straftat als Mitwisser nicht angezeigt zu haben. Dem 32 Jahre alten Hauptangeklagten wird versuchter Mord in 20 Fällen, die Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion und Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz, das Waffengesetz sowie das Betäubungsmittelgesetz zur Last gelegt.

Er hat die Vorwürfe in Vernehmungen vor Prozesseröffnung bestritten, verweigerte in dem Verfahren aber bisher die Aussage. Sein Mitangeklagter wurde am Dienstag von der Polizei gesucht, jedoch nicht gefunden. Das Gericht folgte daraufhin einem Antrag der Staatsanwaltschaft, den Haftbefehl gegen den früheren Betreiber des betroffenen Lokals "Desperado" wieder in Vollzug zu setzen. Die Richter setzten für den 3. und 7. August zwei neue Verhandlungstermine an. Sollte der nun per Haftbefehl Gesuchte bis zum kommenden Montag nicht gefunden worden sein, muss der Prozess gegen ihn abgetrennt werden, oder das gesamte Verfahren droht zu platzen.

Der 28-Jährige hatte am Dienstag vergangener Woche vor Gericht ausgesagt, dass dem Bombenattentat von Merseburg vor einem Jahr gewaltsame Anschläge und Streitereien im Rotlichtmilieu vorausgegangen seien. So habe es kurz zuvor einen Überfall auf den Truckstopp-Imbiss eines Nachtclubbesitzers sowie einen weiteren Anschlag auf das Hauptquartier des Motorradclubs "Vampires" in Leuna gegeben habe, dessen Anführer der Hauptangeklagte war. Der Auftraggeber des zweiten Überfalls - ebenfalls ein Bordellbetreiber - war am Tatabend auch unter den Gästen im "Desperado" und wurde bei dem Anschlag erheblich verletzt. Zudem sei es wegen Geldproblemen zu Spannungen zwischen dem Hauptangeklagten und dem anderen Nachtclubbesitzer gekommen. Zur eigentlichen Tat sollte er am (heutigen) Dienstag vernommen werden.

Der folgenschwere Anschlag von Merseburg gilt bei den Ermittlern als Racheakt unter rivalisierenden Gruppen, die Teile des Rotlichtmilieus in der Region kontrollierten. Der 32-Jährige soll in der Nacht zum 27. Juni 1999 die Bombe mit Zeitzünder in einem Blumenkübel auf der Terrasse des Lokals "Desperado" deponiert haben. Sie explodierte um 01.29 Uhr. Der Sprengsatz wirkte wie eine Splitterbombe und verletzte 20 Menschen zum Teil schwer. Eine 23-jährige Frau, die bei dem Prozess als Nebenklägerin auftritt und als Zeugin vorgesehen ist, verlor beide Beine. Einem jungen Mann musste der Fuß teilweise amputiert werden.

Wenige Tage nach dem Attentat wurde der mutmaßliche Täter im polnischen Zgorzelec festgenommen. Der 28-Jährige soll bereits von den Anschlagsplänen gewusst, jedoch aus Angst vor dem 32-Jährigen keine Anzeige erstattet haben. Er war knapp eine Woche nach der Bluttat gefasst worden. Unklar ist bisher, ob der Hauptangeklagte die Bombe selbst gebaut und deponiert hat oder ein Unbekannter im Spiel war. Er betrieb den Angaben zufolge den auch als Bordell bekannten Nachtklub "For ever" in Leuna und war Anführer der Motorradclique "Vampires".

(RPO Archiv)
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