Urteil in Virginia Das Spektakel um Amber Heard und Johnny Depp schadet #Metoo

Meinung · Der Prozess um das Hollywood-Pärchen und seine gegenseitigen Missbrauchsvorwürfe verlief mit besonderer Fallhöhe: Die Livestreams brachten beiden Beteiligten enorme Aufmerksamkeit. Doch gerade das wird im Umgang mit sexualisierter Gewalt nicht helfen.

„Nichts ist einfach an diesem Fall“, antwortet Johnny Depp auf die Bitte der gegnerischen Anwälte, ihre einfache Ja-Nein-Frage zu beantworten. Sein Stirnrunzeln, das Schmunzeln, dazu noch etwas Hintergrundmusik: Direkt landet der schlagfertige Spruch aus dem Kreuzverhör als Clip im Internet. „Justice for Johnny“, fordert die Netzgemeinde. Depp hat recht: Nichts ist einfach an diesem Fall. „Rosenkrieg“ und „Schlammschlacht“ nennen Medien den Prozess, weil die Verteidiger immer neue, teils absurde, teils unappetitliche Details präsentieren.

Die Eheberaterin des geschiedenen Paares sprach auf dem Zeugenstuhl von „gegenseitigem Missbrauch“, andere Experten suchen stattdessen nach dem „primären Aggressor“ in der Beziehung. Im Netz hat man sich schon längst seine Meinung gebildet. In Sketchen, Livestreams und Memes wird Amber Heard als Lügnerin dargestellt. Rückhalt für sie gibt es, im Gegensatz zu vielen anderen Prozessen nach #MeToo, kaum noch.

Zwei Filmstars stehen vor Gericht, aber nur einem wird vorgeworfen zu schauspielern. Vom Slogan „Den Betroffenen zuhören“ ist keine Spur – oder eben doch, weil auf einmal unklar ist, wer überhaupt der oder die Betroffene, oder besser: das Opfer ist.

Ab 2014 waren die beiden Filmstars ein Paar, 15 Monate sogar verheiratet. 2016 reichte Amber Heard die Scheidung ein und erwirkte eine einstweilige Verfügung gegen ihren damaligen Noch-Ehemann. Die Begründung: der „verbale und körperliche Missbrauch“ durch ihn. Die zuständigen Behörden erhoben keine Anklage. 2018 schrieb Heard einen Gastbeitrag für die Washington Post, in dem sie sich als „Person des öffentlichen Lebens, die für häusliche Gewalt steht“ bezeichnete. Depps Namen nannte sie nicht, er sagt, dass er trotzdem viele Rollen verloren habe. Der Artikel ist der Grund für den Verleumdungsprozess, in dem der Star aus „Fluch der Karibik“ im Gegenzug schwere Vorwürfe gegen Heard erhebt – und die Öffentlichkeit hinter sich hat. Dabei ist Johnny Depp wahrscheinlich nicht unschuldig. Das urteilte der Oberste Gerichtshof von England und Wales im vergangenen Jahr. Zwölfmal habe der Schauspieler seine Ex-Frau nach „Abwägung aller Wahrscheinlichkeiten“ geschlagen, getreten, gewürgt oder beworfen. Der Filmstar hatte in dem Zivilprozess gegen eine britische Boulevardzeitung geklagt, die ihn als Frauenschläger bezeichnet hatte und anschließend Recht bekam. Das Medienunternehmen Disney+ beendete die Zusammenarbeit mit Depp, doch in sozialen Medien scheint das Urteil wie vergessen.

Der US-Prozess jetzt ist erst der zweite Anlauf, in dem Depp und sein Team von Anwälten nun aber ihren größten Trumpf ausspielen können: ihren Rückhalt in der Öffentlichkeit. Im Bundesstaat Virginia kann der Richter Livestreams von Verhandlungen erlauben, und die Klage wird nicht geprüft, bevor es zur öffentlichen Verhandlung kommt. Depp und seinen Verteidigern gibt das die Möglichkeit, ihren Anschuldigungen gegen seine Ex-Frau riesige Aufmerksamkeit zu verschaffen.

Damit beginnt auch das große Spektakel: Ein zugeschalteter Zeuge, der hinter dem Steuer sitzt und plötzlich losfährt, ein Boulevard-Journalist, der Heards Verteidiger frech kontert, oder ihr Anwalt, der versehentlich Einspruch gegen die eigene Frage einlegt. Aus dem Gerichtssaal macht das eine Film-Kulisse – mit mehr Barbara Salesch als Ferdinand von Schirach. TikTok-Nutzer verspotten die Mimik von Amber Heard, machen sich über ihre Outfits lustig oder parodieren, wie sie von ihren mutmaßlichen Missbrauchs-Erfahrungen erzählt. Um das Thema der häuslichen Gewalt geht es kaum noch, es wird zum Inhalt von Witzen, Kommentaren und Memes.

Der Streit zwischen Amber Heard und Johnny Depp ist ein ungewöhnlicher #MeToo-Fall, weil sich beide Seiten als Opfer häuslicher Gewalt sehen. Das macht es einfacher, sich eine Seite zum Anfeuern auszusuchen. Dass die Unterstützung aber ausgerechnet für Depp so groß ist, liegt an der Oberflächlichkeit, mit der Missbrauchs-Anschuldigungen in den sozialen Medien verhandelt werden. Nämlich im Modus der Empörung. Und mit Gier nach der unerwarteten Wendung, die immer spannender ist als die juristischen Details. Das zerstört viel von dem, was #MeToo erreicht hat: Denn wenn prominente Opfer von mutmaßlicher häuslicher Gewalt zu Internet-Memes werden, schreckt das andere Betroffene ab, selbst laut zu werden. #MeToo wendet sich deswegen nicht nur gegen Täter, sondern auch gegen eine Haltung, die in Missbrauchsfällen Sensation und Unterhaltung sieht. Es braucht Interesse an ernsthafter Aufklärung solcher Fälle und Aufmerksamkeit, den Betroffenen zuzuhören. Popcorn weg, Handy aus! Ändern wir nicht unsere Haltung als Publikum, scheitert #MeToo.

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