Schackensleben Gaffer lassen Unfallopfer liegen

Schackensleben · Vorbeigefahren statt zu helfen: Zehn bis 15 Autofahrer sollen einen schweren Unfall auf der A 2 umfahren haben, ohne sich um die Verletzten zu kümmern. Einige Unfallopfer sollen mit blutenden Wunden umhergelaufen sein.

Um 16.10 Uhr am Samstag gerät ein Wagen auf der Autobahn 2 bei Schackensleben nahe Magdeburg in Brand. Während die Rettungskräfte die Flammen löschen, werden alle drei Spuren der Autobahn gesperrt. Es bildet sich ein Stau. Kurz bevor die Sperrung aufgehoben werden soll, fährt ein 44-Jähriger aus Essen mit seinem Wagen ungebremst auf das Stauende auf und schiebt vier Fahrzeuge ineinander. Der Wagen des Unfallverursachers überschlägt sich und bleibt auf dem Dach liegen. Drei Menschen werden schwer, drei weitere leicht verletzt.

Doch um die sechs Menschen, von denen einige mit blutenden Wunden umherirren und einen Schock erlitten haben, kümmert sich zunächst niemand. "Zehn bis 15 Autofahrer sind um die Unfallstelle herumgefahren, ohne Hilfe anzubieten oder sich um die Verletzten zu kümmern", sagt Jens Braune, Sprecher des Autobahnreviers Hohenwarsleben, den dieses Verhalten fassungslos macht. Die Autos hätten sich über einen längeren Zeitraum über den Standstreifen neben dem Unfallort, der zweieinhalb Spuren blockierte, vorbeigedrängelt. "Mindestens eine Frau hätte noch dringend Hilfe benötigt", erklärt Braune. Ein weiteres Opfer, das auf der Straße gelegen habe, sei möglicherweise nicht sichtbar gewesen, räumt Braune ein. Dennoch wäre es "ihre Pflicht" gewesen, anzuhalten, sich nach der Lage zu erkundigen und Hilfe anzubieten.

Die Rettungskräfte, die auf dem Weg zur Unfallstelle sind, kommen zunächst nicht durch. Weil keine Rettungsgasse gebildet wird, müssen sie sich langsam durch den stehenden Verkehr schlängeln. Mit etwa fünf bis zehn Minuten Verspätung seien die Kollegen an der Unfallstelle angekommen. Aus etwa 30 Metern Entfernung hätten die Einsatzkräfte die "unglaublichen Szenen" beobachtet: Schaulustige hätten bei Schritttempo aus dem Fenster gesehen, aber nichts unternommen. Nur einige wenige hätten angehalten und geholfen.

Die Polizei hat ein Strafverfahren wegen unterlassener Hilfeleistung eingeleitet. "Das ist kein Verhalten, das wir tolerieren wollen", erklärt Braune. Ein Zeugenaufruf soll bald folgen. "Wir hoffen, dass andere Verkehrsteilnehmer Kennzeichen notiert oder Beobachtungen zu den vorbeifahrenden Wagen gemacht haben." Ob die Gaffer auch Fotos von der Unfallstelle gemacht haben, sei unklar. "Uns sind bislang keine Aufnahmen bekannt", sagt Braune, der das aber nicht ausschließt. Eventuell wolle man soziale Netzwerke nach Fotos durchsuchen; das sei bis jetzt aber noch nicht geschehen. Die Autofahrer hätten sich nicht nur wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar gemacht, sondern auch Spuren verwischt. "Uns ist es zum Glück gelungen, alles zu rekonstruieren", sagt Braune.

Bei einem Unfall gehe es nicht nur darum, Erste Hilfe zu leisten, sagt Braune, "manchmal reicht es schon, die meist unter Schock stehenden Beteiligten zu beruhigen und für sie da zu sein". Das helfe in dieser Situation enorm. Denn wer gerade einen Unfall erlebt hat, handele nicht immer klar und bringe sich zusätzlich in Gefahr, wenn er herumläuft. Das richtige Verhalten in dieser Situation, erklärt Braune: "Man sollte sein Fahrzeug stoppen, dann Unfallbeteiligte ansprechen und sich erkundigen, ob Hilfe benötigt wird." Falls noch niemand die Rettungskräfte alarmiert hat, sollte man sofort den Notruf wählen.

Durch ihr Verhalten haben die Autofahrer die Leben der Opfer riskiert. Braune: "Wie muss man sich fühlen, wenn man verletzt auf der Straße liegt und alle vorbeifahren?"

(RP)
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