Nordrhein-Westfalen Geldautomaten-Sprengungen — der moderne Bankraub

Düsseldorf · Die Serie von Geldautomaten-Sprengungen in NRW hat eine neue Dimension erreicht. 84 Fälle hat es bereits in diesem Jahr gegeben. So viele wie nie zuvor. Nur äußerst selten wird ein Täter gefasst. Doch nun steht einer vor Gericht.

Geldautomaten gesprengt - eine Chronik für NRW bis Juni 2017
45 Bilder

Geldautomaten-Sprengungen in der Region – eine Chronik

45 Bilder

Es war wie so oft in letzter Zeit. Als die Polizei am Tatort eintraf, waren die Täter längst verschwunden, davongerast in einem dunklen Wagen. Zeugen meinen, einen BMW oder Audi gesehen zu haben. Auf jeden Fall seien es vier maskierte Männer gewesen, die im Auto saßen und zuvor den Geldautomaten in Brüggen in die Luft gejagt hatten. Wieder einmal war für die Sprengung ein Gasgemisch in den Automaten geleitet worden. Diesmal aber wohl zu wenig. Denn der Tresor blieb bei der jüngsten Tat am 29. Juli unversehrt. Die Maskierten mussten ohne Beute flüchten.

Es war bereits die 84. Sprengung eines Geldautomaten in Nordrhein-Westfalen in diesem Jahr - trauriger Negativrekord. Im gesamten Vorjahr waren es 67 und 2014 nur 23. Beim Landeskriminalamt (LKA) in Düsseldorf laufen bei der zuständigen Sonderkommission "Heat" alle Informationen über die Taten zusammen.

Die Ermittlungskommission geht davon aus, dass bis auf wenige Ausnahmen mehrere Banden hinter den Taten stecken. So ist eine kriminelle Gruppierung von Nordafrikanern aus den Vororten Amsterdams und Utrechts für eine Serie von Sprengungen verantwortlich. Einem mutmaßlichen Mitglied dieser Bande, einem 25-Jährigen aus dem Raum Utrecht, wird seit gestern vor dem Aachener Landgericht der Prozess gemacht. Er ist angeklagt, im vergangenen Jahr Geldautomaten in Alsdorf bei Aachen und in Flörsheim am Main gesprengt und dabei mehr als 220.000 Euro erbeutet zu haben. Auf einer der gestohlenen Geldkassetten waren DNA-Spuren von ihm entdeckt worden, so die Staatsanwaltschaft, die ihm konkret schweren Bandendiebstahl und das Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion vorwirft. Der Angeklagte bestreitet die Tat, räumt bislang nur ein, einen PS-starken Audi gestohlen und verkauft zu haben.

Den Grund, wieso die Nordafrikaner so oft in NRW zuschlagen, meinen die Ermittler zu kennen. Die Intensivtäter hätten früher ähnliche Tatserien in Belgien und Holland begangen, erklärt LKA-Chefermittler Dietmar Kneib. Wegen der in den Beneluxländern mittlerweile besser gesicherten Geldautomaten seien sie nach Deutschland ausgewichen, so Kneib.

Anders als die Banken in Frankreich und den Beneluxländern ergreifen die hiesigen Geldinstitute aber offenkundig noch vergleichsweise selten Präventionsmaßnahmen wie mechanische Schutzvorrichtungen, zusätzliche Sicherungen von Geldausgabeschachtverschlüssen, Systeme, die Gasexplosionen unterbinden oder die Geldscheine einfärben. Das LKA arbeitet zwar wegen der Serien-Sprengungen bereits eng mit den Banken und den Herstellern der Geldausgabeautomaten zusammen. Dennoch ist das Thema für Banken nach wie vor ein wunder Punkt. Das LKA mahnt die Geldinstitute seit einem Jahr, ihre Sicherheitsmaßnahmen zu verstärken. Einem Bericht des Innenministeriums zufolge wurden bereits im Jahr 2009 die Betreiber von Geldautomaten und der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft über Präventionsmaßnahmen informiert. Zudem stellte das LKA den Geldinstituten bereits mehrfach ergänzende Sicherheitsempfehlungen zur Verfügung. Die Geldinstitute weisen die pauschale Kritik allerdings zurück und verweisen darauf, dass in vielen Fällen die Täter schon ohne Beute flüchten mussten - wie zuletzt in Brüggen. "Das ist auf Prävention zurückzuführen", sagt ein Banker. "Man tut schon einiges."

Doch die Mehrheit der derzeitigen Geldautomaten ist gegen die Sprengungen noch immer schutzlos. Dabei gibt es schon Automaten, die nicht aufgesprengt werden können. "Doch die alten Geräte tun es auch noch. Und erst, wenn die kaputt sind, werden neue angeschafft", so ein Bankeninsider. Bis es flächendeckend so weit ist, könnten aber noch viele Jahre vergehen. Wie sicher so ein neues Modell sein kann, erklärt die Sparkasse Wesel in einer Mitteilung über einen erst vor Kurzem in Betrieb genommenen SB-Geldautomaten: "Bei einem Sprengversuch bleibt die Tasse Kaffee auf dem Automaten stehen." So lange diese Geräte nicht überall im Land eingebaut sind, sagen die Ermittler voraus, werden weiterhin in NRW Automaten gesprengt werden. "Das Geschäft ist zu lukrativ und vergleichsweise risikofrei für die Kriminellen", sagt ein Fahnder. "Früher waren es Banküberfälle, jetzt sind es Geldautomaten."

Die Kriminellen gehen in der Regel immer auf die gleiche Weise vor: Sie schlagen in den frühen Morgenstunden zu, wenn die meisten noch schlafen und die Straßen frei sind. Alles dauert nur wenige Minuten. Ausgewählt werden Bankfilialen, die verkehrsgünstig an Autobahnen liegen. Die Täter benutzen als Fluchtwagen oft dunkle Limousinen, häufig der Marke Audi.

Die Banden operieren den Sicherheitsbehörden zufolge in ständig wechselnder Zusammensetzung - meistens immer von den Niederlanden aus. Deshalb arbeitet das LKA auch eng mit Kollegen aus dem Nachbarstaat zusammen. Ihre Raubzüge begehen die Täter in Einheiten von drei bis fünf Personen. Und meistens flüchten sie nach den Taten in den besagten PS-starken Audis. Sowohl Autos als auch Kennzeichen sind gestohlen. So war es auch im Fall des tödlichen Unfalls auf der A 57 bei Rheinberg, bei dem Anfang des Jahres zwei Mitglieder einer Bande ums Leben kamen.

(csh)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort