Homeoffice auch nach Corona Die neue Privatheit

Düsseldorf · Wohnen und arbeiten in den eigenen vier Wänden stellt viele Berufstätige vor neue Herausforderungen, eröffnet aber auch neue Chancen. Vielen von dem, was als Schutzmaßnahme begonnen hat, wird sich fortsetzen, wenn Corona längst Vergangenheit ist.

 Wer überwiegend im Homeoffice tätig ist, stellt höhere Ansprüche an seine Arbeitsumgebung.  Foto: dpa

Wer überwiegend im Homeoffice tätig ist, stellt höhere Ansprüche an seine Arbeitsumgebung. Foto: dpa

Foto: dpa/Jens Kalaene

Manchmal wird aus Zukunft schneller Gegenwart, als man denkt. Binnen eines Jahres hat sich unsere Art zu arbeiten radikal gewandelt. Auch wenn der Anfang mitunter schwierig war, die Technik ihre Tücken hat und die Umstellung vielen noch immer nicht leichtfällt: In Bezug auf Digitalisierung, Medienkompetenzen und Selbstorganisationsfähigkeit hat das Land einen unglaublichen Schub erlebt. Homeoffice hat die Flexibilität zahlloser Arbeitnehmer auf eine Probe gestellt. Es hat ihnen mehr Eigenverantwortlichkeit abverlangt und ungewohnte Belastungen mit sich gebracht, zugleich aber auch ihr Selbstvertrauen gefördert, vielleicht sogar ihre Motivation.

14,8 Millionen Menschen, rund ein Drittel der deutschen Erwerbstätigen, arbeiten dem Institut der Deutschen Wirtschaft zufolge in einem Bürojob – Tendenz steigend. Für 85 Prozent von ihnen ist Homeoffice eine Option. Schon jetzt wird sie von elf Millionen Berufstätigen gelegentlich oder regelmäßig genutzt. Mehr als die Hälfte aller Betriebe hat dafür neue Hardware wie Laptops oder Headsets angeschafft. Jede zweite Firma hat in neue Software investiert, etwa für Videokonferenzen. Vieles von dieser neuen Arbeitswelt wird bleiben, wenn Corona längst der Vergangenheit angehört.

Noch ist die Stimmung durchwachsen, wie immer, wenn man nicht wirklich eine Wahl hat. Der Lockdown hat das Arbeiten von zu Hause aus erzwungen, und nicht wenige vermissen das Büro als Raum der Begegnung, der Inspiration und der Selbstvergewisserung. Aber irgendwann in nicht allzu ferner Zukunft wird es kein Entweder-Oder mehr geben, dann lässt sich im günstigsten Fall das Beste aus beiden Welten vereinen: die Ruhe und Konzentration in den eigenen vier Wänden, die Kreativität und Spontaneität eines in räumlicher Nähe arbeitenden Teams. Dass der ein oder andere jetzt die Struktur eines Arbeitstages im Büro herbeisehnt, die Gemeinschaft mit den Kollegen wieder mehr schätzt, das Fachsimpeln, den Flurfunk oder das private Gespräch beim Essen in der Kantine, auch das ist ein Gewinn.

Die Mischung wird es machen – wie so oft. Zwei Tage Homeoffice, drei Tage Office - oder umgekehrt? Das morgendliche Meeting virtuell absolvieren und erst ins Büro fahren, wenn die Rush-Hour vorbei ist? Auf die aufwendige Dienstreise mit dem Flugzeug verzichten, wenn das geschäftliche Treffen auch online möglich wäre? Der Gestaltungsspielraum wird größer, die Umwelt dankt es. Vorteile, die viele für sich nutzen dürften, auch wenn es nach wie vor jedem Fünften wichtig ist, Privat- und Berufsleben zu trennen. Bedeutet aber auch: Die räumliche und technische Voraussetzung fürs hybride Arbeiten muss in jedem Fall auch zu Hause gewährleistet sein.

Die neue Privatheit ist geprägt von der Preisgabe persönlicher Details, die man üblicherweise nicht mit dem professionellen Umfeld teilt. Der Standort der Kamera im trauten Heim will bei Video-Konferenzen mit Bedacht gewählt sein. Andererseits: Wenn alle in einem Boot sitzen, fällt das weniger ins Gewicht, und die meisten haben sich in den vergangenen Monaten längst an solche Einblicke gewöhnt

Zweifellos wird das die Ansprüche an die Ausgestaltung einer Privatsphäre verändern, die temporär als Arbeitsstätte dient. Mehr Platz oder zumindest die Möglichkeit der flexiblen Umgestaltung der Einrichtung stehen auf der Wunschliste ganz oben. Die Möbelindustrie reagiert bereits mit entsprechenden Angeboten: Arbeitsecken oder –flächen, die sich geschickt in das vorhandene Ensemble einfügen. Mancher, der nicht mehr täglich ins Büro fahren muss, wird sich nach günstigerem Wohnraum an der Peripherie oder auf dem Land umsehen. Einer Umfrage zufolge würde jeder Fünfte umziehen, wenn er hauptsächlich von zu Hause aus arbeiten könnte.

Wer sich entschließt zu bleiben, legt womöglich neue Maßstäbe an den Wohlfühlfaktor im Homeoffice an, trennt sich von Altlasten, sorgt mit Farbe oder Bildern für mehr Atmosphäre. Der Ansturm auf die Baumärkte belegt diesen Trend. In einer grauen Zelle zu sitzen, aktiviert eben nicht unbedingt die grauen Zellen. Gut möglich, dass sich dieses Plus an Wertschätzung für die Arbeitsumgebung auch auf die Büros auswirkt, die bislang in der Regel eher sachliche Nüchternheit ausstrahlen.

In jeder Krise liegt auch eine Chance. Sehr bald wird sich zeigen, wie viele sie ergreifen wollen.

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