75 Jahre Rheinische Post Vom Wert des Vereins

Düsseldorf · Die Pandemie stellt den Sport vor große Probleme. Aber sie lässt die Sportvereine auch ihren Wert neu erkennen. Einen Wert, der dazu verpflichtet, gesellschaftliche Veränderungen selbstbewusst mitzugestalten. Als explizit politischer Sport.

 Im Sportverein lernen Kinder frühzeitig, worauf es auch im Leben ankommt: Teamgeist und Fairplay.

Im Sportverein lernen Kinder frühzeitig, worauf es auch im Leben ankommt: Teamgeist und Fairplay.

Foto: dpa/Robert Michael

Da sind also Sportplätze über Monate gesperrt, Sporthallen geschlossen, der Amateursport kommt gänzlich zum Erliegen, Vereinsleben findet nicht statt, und Breitensport reduziert sich weitgehend auf das, was individuell betrieben werden kann. Und dennoch sagt Stefan Klett diesen Satz. „Ich finde, die Akzeptanz des Sportvereins ist durch die Corona-Krise eher gewachsen.“

Sie klingt geradezu paradox, die Aussage des Präsidenten des Landesportbundes (LSB) NRW. Umso mehr als die ersten Ergebnisse des Sportentwicklungsberichts für Deutschland Mitte Januar ein düsteres Bild zeichneten. 20.179 Sportvereine hatten sich in einer Feldphase vom 21. Oktober bis 21. Dezember 2020 an der Studie beteiligt. Das Ergebnis: Mittlerweile befürchtet jeder zweite im Jahresverlauf eine existenzbedrohliche Lage. Woraus also zieht der LSB-Präsident bitteschön seinen Optimismus?

Aus zwei Gründen. Der erste ist ein naheliegender: „Um es mal ganz platt zu sagen: Die Menschen haben gemerkt, dass Gesundheit in einer solchen Krise eine große Rolle spielt. Menschen, die gesund sind, die ein gutes Immunsystem haben, die fit sind, kommen besser durch Krisenzeiten – nicht nur durch eine Pandemie.“ Davon sei er überzeugt, sagt der 53-Jährige. Deswegen glaube er, dass nach einem kleinen Knick in der Mitgliederentwicklung der Vereinssport wieder eine sehr positive Entwicklung nehmen könne.

„Der Sportverein bietet ein Stück weit Zuverlässigkeit, Geborgenheit, Gemeinsamkeit. Und ich glaube, gerade in der Corona-Zeit haben die Menschen gemerkt, dass ihnen das, was immer so normal schien, tatsächlich fehlt“, sagt der Wipperfürther. „Über das Sportliche hinaus sich zu treffen, in Gesellschaft zu sein, Wettbewerbe zu erleben, Erfolge zu feiern, auch mal aufgefangen zu werden, wenn es einem schlecht geht. Heimat ist letztlich das, wo man sich wohlfühlt, wo man Freunde hat.“ Klett selbst ist Segelflieger, seit 40 Jahren Mitglied im ansässigen Luftsportverein. Und Heimat sei im Übrigen kein Begriff, den der Sport sich erst einmal aus der rechten Ecke zurückholen müsse.

Björn Mende kann da aus seiner Erfahrung heraus nur zustimmen. Mende ist Vorsitzender des Fusionsklubs SGE Bedburg-Hau am unteren Niederrhein. Er sagt: „Vielen fehlt gerade das Gesellige, der Austausch mit anderen. Und ich hoffe und glaube, dass diese Sehnsucht nach Heimat uns Sportvereinen nach der Corona-Krise zugutekommen wird. Im Sportverein zu sein, ist am Ende eben mehr, als sich zu bewegen und etwas für seine Gesundheit zu tun. Es geht auch um einen Ort, an dem man sich wohlfühlt.“

Doch es ist nicht nur das, was Menschen in der Pandemie fehlt, das für Klett wie Mende den Wert des Sportvereins ausmacht. Beide blicken für die Institution Sportverein positiv in die Zukunft, weil sie ihn in der Verantwortung sehen. Der Verein, so die Überzeugung beider, wird als Inbegriff von Heimat mehr denn je eine Triebfeder gesellschaftlicher Veränderungsprozesse sein – sein müssen, will er seine Relevanz behalten oder gar steigern. Es ist ein Input, den der Verein so geben muss, wie ihn ihrerseits die Gesellschaft braucht. Wo die Kirchen sinkende Mitgliederzahlen vermelden, nicht mehr jeder Ort eine Kneipe hat, ist der Sportverein in der Pflicht, sich als Akteur einzubringen. LSB-Präsident Klett findet, „da kann der Sport, der ja fast in jeder Kommune die größte gesellschaftliche Gruppierung ist, mit breiter Brust auftreten. In der Vergangenheit hat der organisierte Sport da sein Licht ein bisschen unter den Scheffel gestellt. Da ist viel mehr Power drin.“ Nicht im Sinne von: Platz da, der Landvogt kommt. Eher im Sinne von: Wir wissen, wer wir sind, und wir wissen, was wir bewirken können.

Mende sieht das von der Basis aus ähnlich. 630 Mitglieder hat die SGE, die 2005 aus der Fusion der SG Hasselt und von Eintracht Schneppenbaum entstand. 2020 sind 32 ausgetreten, 33 hinzugekommen, die erste Fußball-Mannschaft spielt in der Landesliga. „Wir als Verein dürfen uns nicht der Verantwortung entziehen, über den Sport Werte zu vermitteln wie Zusammengehörigkeitsgefühl und Fairness. Wir müssen auch Kummerkasten sein bei Problemen von Menschen, die erstmal gar nichts mit dem Sport zu tun haben“, sagt der 38-jährige Kommunikationsberater. Ein Verein habe mittlerweile so viele Berührungspunkte innerhalb der Gesellschaft, dass er nicht mehr sagen könne: Ich kümmere mich nur um mich selbst. „So ein Verein hat wenig Überlebenschancen. Jeder Verein, der bereit ist zu erkennen, dass er eine Triebfeder der Gesellschaft sein muss, dass man sich auf Veränderungen einstellen muss, ist deutlich besser aufgestellt als Vereine, die so weitermachen wollen wie bisher.“

Ein solcher Verein darf in der Konsequenz dann auch vieles sein, aber eben auf keinen Fall unpolitisch. Das funktioniert am Ende auch gar nicht vor Ort. Integration, Offener Ganztag, Inklusion, demographischer Wandel, Digitalisierung, Engagement gegen rechts – Wer gestalten will, wer verändern will, kann an der Kommunalpolitik nicht vorbeidribbeln. „Ich nehme für unseren Verein schon das Selbstverständnis in Anspruch, in zentralen Bereichen des Gemeindelebens mit anzupacken und der Politik zu signalisieren: Ihr könnt da auf uns bauen. Wir schieben da an“, sagt Mende. Und ja: Natürlich habe man sich der Kommunalwahl im September von den Bürgermeisterkandidaten angehört, was sie für den Sport in der Gemeinde tun wollen. Warum auch nicht?

Klett ist für den LSB und seine knapp fünf Millionen Mitglieder in rund 18.000 Vereinen nur eine Differenzierung wichtig: Ja, er wolle einen politischen Sport, aber er wolle keinen parteipolitischen. „Der Sport, also auch der Sportverein, sollte sich aus parteipolitischen Statements heraushalten. Es sei denn, wir reden über die AfD und rechte Tendenzen. Da müssen wir klar Stellung beziehen“, sagt er. Und das, was man als LSB auf Landesebene tue, sollte auch jeder Verein auf lokaler Ebene tun. Denn in der sportpolitischen Diskussion sei es immens wichtig, dass der Sport eine Politikfähigkeit vor Ort entwickelt. „Dass die Menschen ein Gefühl dafür kriegen, wie sie ihre sportpolitischen Ansprüche, Wünsche und Forderungen auch durchsetzen können“, sagt Klett.

Dazu bedarf es nicht zuletzt Kompetenz in der Meinungsbildung und Meinungsäußerung. Und beides lernt man nicht unbedingt in den sozialen Medien – im Gegenteil. Insofern sieht der Sport auch hier ein Feld, dass er im Sinne einer weltoffenen, konstruktiven Gesellschaft erfolgreich beackern kann und will. „Ich bin es gewohnt als Mitglied, mit anderen im Verein in einer vernünftigen Form umzugehen. Und das ist doch die beste Voraussetzung, um gesellschaftliche Diskussionen an dieser Stelle offen und respektvoll zu führen“, sagt Klett. Mende seinerseits findet Meinungsbildung im Verein wichtig, „weil die Leute hier mal aus der Anonymität des Internets herauskommen. Wo lerne ich denn heute noch, vis-à-vis Argumente auszutauschen, eine andere Meinung oder gar Kritik auszuhalten? Nicht alles kann man per WhatsApp regeln.“

Über die Zukunft unserer Gesellschaft wird nicht nur im Sportverein entschieden. Aber eben auch dort. Und Mende wie Klett sehen darin keinen Druck, sondern eine Verpflichtung. Eine, aus der sich für sie Optimismus speist.

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