Hochstraße in Düsseldorf Abschied vom Tausendfüßler

Düsseldorf · Am 24. Februar 2013 nahmen 35.000 Düsseldorfer Abschied vom Tausendfüßler. Über fünf Jahrzehnte verband die Hochstraße den Norden mit dem Zentrum. Als die Abrisspläne bekannt wurden, gab es heftige Proteste, denn die Hochstraße hatte viele Fans.

 Ein Trümmerfeld: Der Tausendfüßler liegt in Schutt und Asche.

Ein Trümmerfeld: Der Tausendfüßler liegt in Schutt und Asche.

Foto: Andreas Bretz

Diese eine Fahrt wird Jürgen Koll nie mehr vergessen. Es war der Morgen des 24. Februars, kalt, dunkel, aber irgendwie magisch. Ein Morgen, an dem Koll Gänsehaut hatte. Noch heute stellen sich die Härchen auf seinen Armen auf, wenn er an den Tag zurückdenkt, dann geht er zu dem kleinen Stück Beton, das er zu Hause stehen hat. Ein Überbleibsel, wie es so viele Düsseldorfer irgendwo im Wohnzimmer oder im Büro, auf einem Fenstersims oder dem Schreibtisch aufbewahren.

 Jürgen Koll hatte bei seiner letzten Fahrt Gänsehaut.

Jürgen Koll hatte bei seiner letzten Fahrt Gänsehaut.

Foto: Endermann, Andreas (end)

„Der Tausendfüßler“, sagt Koll. Jürgen Koll ist bekannt als Blogger Taximann. Vor acht Jahren durfte der Taximann die letzte Fahrt über die Hochbrücke machen. Eine Stunde kurvte er über und rund um den Tausendfüßler, bis kurz nach 6 Uhr die Absperr-Barken aufgestellt wurden.

Jürgen Koll gehörte zu den Fans, den Anhängern der Hochstraße, die den Düsseldorfer Norden mit dem Süden verband. Wie oft er über den Tausendfüßler fuhr, das kann Koll gar nicht sagen, tausende Male müssen es gewesen sein. Für ihn war der Tausendfüßler „ein Teil meiner geliebten Heimatstadt“ und die letzte Fahrt am Ende seiner Nachtschicht eine Verbeugung vor einem Bauwerk, das ihn jahrzehntelang ohne Kreuzungen und Staus durch die Innenstadt gebracht hatte.

 Am 5. Mai 1962 schreib die Düsseldorfer Stadtpost unter der Überschrift: „Ab heute auf dem Rücken des Tausendfüßlers“ über die Eröffnung der Hochstraße.

Am 5. Mai 1962 schreib die Düsseldorfer Stadtpost unter der Überschrift: „Ab heute auf dem Rücken des Tausendfüßlers“ über die Eröffnung der Hochstraße.

Foto: Rheinische Post

Am 24. Februar 2013 nahmen 35.000 Düsseldorfer Abschied vom Tausendfüßler, der mehr als fünfzig Jahre mitten durch das Zentrum verlief. Die einen haben ihn geliebt, die anderen gehasst. Das Bauwerk wurde zum Politikum. Obwohl es unter Denkmalschutz stand, ist es abgerissen worden. Gerade einmal fünf Wochen brauchten die Bagger mit ihren riesigen Greifzangen und Spezialhämmern, um die Hochstraße von ihren markanten Y-Stelzen zu holen. Ein Trümmerfeld, ein Stück Düsseldorfer Geschichte, das in Schutt und Asche lag.

Als moderne und bautechnisch wegweisende Hochstraße wurde der Tausendfüßler am 5. Mai 1962 eröffnet, entworfen vom Architekten Friedrich Tamms. 536 Meter lang und maximal 25 Meter breit, teilte sich der Tausendfüßler in einen Hauptarm und einen Nebenarm, der in die Immermannstraße mündete. Der Verkehr aus dem Norden wurde in Höhe des Theatermuseums auf die Hochstraße geführt, dort wo heute Auto- und Motorradfahrer durch den Tunnel in Richtung Süden fahren. Einen steilen Anstieg hatte die Brücke, die am Jan-Wellem-Platz ihre maximale Höhe erreichte.

 35.000 Düsseldorfer nehmen Abschied bei einem Spaziergang auf der Hochstraße.

35.000 Düsseldorfer nehmen Abschied bei einem Spaziergang auf der Hochstraße.

Foto: Endermann, Andreas (end)

Trotz der Maße wirkte der Tausendfüßler auf viele Düsseldorfer nicht wie ein Koloss, ein wuchtiges Ungetüm, ein Klotz aus Stahl und Beton. Im Gegenteil: Es gab Menschen, die fanden fast schon romantische Beschreibungen für die Hochstraße, filigran, tänzerisch, elegant, so wie sie sich am Dreischeibenhaus und am Schauspielhaus vorbeischlängelte. Auch Taximann Jürgen Koll gehörte zu jenen Menschen. Als Autofahrer vermisste er den Tausendfüßler bei jeder Fahrt, den Ausblick, „ein architektonisches Meisterwerk, auf dem man in die Stadt schwebte“.

Lange Zeit kämpfte die Pro-Tausendfüßler-Initiative „Lott Stonn“ für den Erhalt des Bauwerks – am Ende vergeblich. Still wollten sich die Mitglieder aber nicht verabschieden, im April 2015 stellten sie ihr Buch vor, in dem sie ihr Engagement dokumentierten. Verlegt und herausgegeben wurde „Der Düsseldorfer Tausendfüßler“ von Manfred Droste, der damals in seiner Rede betonte, dass es in dem Werk um weit mehr geht als den Tausendfüßler.

Tausendfüßler-Abriss in Düsseldorf 2013: Die schönsten Fotos
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Die besten Fotos vom Tausendfüßler-Abriss

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„Es geht um Planungskultur und das Fehlen eines echten Wettbewerbs. Es geht um die Missachtung des Denkmalschutzes und um Geldverschwendung. Und es geht um Bürgerbeteiligung, die eine Farce blieb.“ Heute, fast zehn Jahre später, gibt es immer noch Planer, die kein Interesse haben an Denkmalschutz und Bürgerbeteiligung. Aber sie werden weniger, auch weil Politik und Bürger immer lauter werden.

Nach dem offiziellen Abschied am 24. Februar 2013 dauerte es noch genau 15 Tage, bis die Bagger ihre Abrisszangen in das erste Teilstück des Tausendfüßlers am Dreischeibenhaus rammten. Am Nachmittag war der erste Riss in der Hochstraße zu sehen. Am 15. April war das Bauwerk zerkleinert. Das Trümmerfeld verschwand bald, und auch der Verkehr beruhigte sich irgendwann.

Düsseldorfer nehmen vom Tausendfüßler Abschied
33 Bilder

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Auch wenn Jürgen Koll immer noch gern an den Tausendfüßler denkt, wehmütig ist er nicht mehr. Die Trauer hatte sich schon kurz nach dem Abriss gelegt, „für Fußgänger war das ein großer Gewinn“, sagt der frühere Taxifahrer, der immer noch seinen Blog betreibt.

 1961 beginnen die Bauarbeiten an der Hochstraße.

1961 beginnen die Bauarbeiten an der Hochstraße.

Foto: Endermann, Andreas (end)
 Der Nachteil des Tausendfüßlers: Er verdunkelte die Schadowstraße. Heute können Passanten den Himmel sehen.

Der Nachteil des Tausendfüßlers: Er verdunkelte die Schadowstraße. Heute können Passanten den Himmel sehen.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

„Es ist viel heller geworden, man kann den Himmel sehen“, sagt Koll, der sich auch irgendwann mit dem Kö-Bogen-Tunnel angefreundet hat, wenn da nicht die ständigen Wartungsarbeiten wären. „Unter dem Strich ist es juuut so“, sagt Koll.

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