WG sucht Mitbewohner

Viele Studenten leben in Wohngemeinschaften. Zu Beginn eines neuen Semesters finden überall in der Stadt WG-Castings für neue Mitbewohner statt. Wir haben eine Düsseldorfer Wohngemeinschaft bei der Suche begleitet.

Hendrik Jäger (23) spielt immer den Moderator der WG-Castings. Ramona (21) und Rajah Schlüter (23) sind die stillen Zuhörer. Normalerweise analysieren sie hinterher das Gesagte bis ins Detail. Doch heute haben sie Hendrik alleingelassen. Es ist schließlich bereits das dritte Casting in dieser Woche, und die beiden müssen arbeiten. Hendrik wird das Casting alleine überstehen müssen, denn eine neue Mitbewohnerin muss dringend her. Neugierig sitzt er auf der beigefarbenen Couch im hellen Wohnzimmer der WG in der Düsseldorfer Innenstadt und schaut höflich nickend Bewerberin Nr. 1 beim Reden zu. Ob sie wohl die Richtige für das Dreiergespann ist?

Gesucht wird lediglich ein Mädchen, das zu den dreien passt. Doch das erweist sich als gar nicht so leicht, denn Hendrik, Rajah und Ramona sind sehr unterschiedlich. Um allen zu gefallen, sollte sie sowohl so offen und laut wie Hendrik als auch so unternehmungslustig wie Rajah und gleichzeitig auch noch so ruhig und zurückhaltend wie Ramona sein. Eine schier unmögliche Aufgabe. Schon mehr als 15 Kandidatinnen haben ihr Glück in den letzten drei Tagen versucht und sind gescheitert.

Gestern und vorgestern war die Zeit der Massencastings. Sieben auf einen Streich waren anwesend und stellten sich den Fragen des Trios. Diese Methode ist zwar zeitsparend (man rechne ansonsten eine halbe Stunde pro Casting), birgt aber die Gefahr, dass viele Mädchen sich einschüchtern lassen. "Nur die sehr lauten, sehr selbstbewussten Mädchen konnten sich hervortun, waren uns aber meist eher unsympathisch, die ruhigeren gingen unter", erzählt Hendrik. So dürfen heute nur zwei Kandidatinnen ihr Glück versuchen. Es klingelt an der Tür. Kandidatin Nr. 2 ist angekommen. Hendrik führt sie ebenfalls ins Wohnzimmer. Die Mädchen werfen sich einen musternden Blick zu, geben einander aber höflich die Hand. Es bleibt keine Zeit für Freundschaften, schließlich sind sie Konkurrentinnen, und nur eine kann genommen werden. Zwei sehr unterschiedliche Mädchen sitzen Hendrik nun auf dem Sofa gegenüber.

Kandidatin Nr. 1 ist der moderne Typ. Ein Mediendesign-Master bringt sie nach Düsseldorf. Sie ist blond, trägt Jeans, ein T-Shirt im Marinestyle und eine Brille mit Fenstergläsern, die zwar keine Auswirkung auf die Sehkraft hat, aber gut aussieht. Kandidatin Nr. 2 ist schon ein wenig älter, über 25. Mit ihrem Studium der sozialen Arbeit in Düsseldorf ist sie gerade fertig geworden. Sie wirkt viel selbstbewusster als Kandidatin Nr. 1, denn während Letztere eifrig damit beschäftigt ist, alles, was Hendrik erzählt, "so cool" zu finden und ihren Kopf in einen permanenten Nickmodus geschaltet hat, sitzt Kandidatin Nr. 2 lässig zurückgelehnt auf der Couch und wirft nur ab und zu mal einen lustigen Spruch in die Unterhaltung ein.

Es ist Zeit für die Wohnungsbesichtigung. Hendrik zeigt zunächst die Küche, das Herzstück einer jeden WG. Am Kühlschrank hängt ein Putzplan, und um den Tisch herum stehen vier Stühle. "Uns ist es wichtig, dass wir ein paar Mal in der Woche zusammen kochen und essen. Wir suchen nicht nur eine Mitbewohnerin, sondern auch eine Freundin", sagt Hendrik. Wer eine Zweck-WG suche, solle doch bitte einen Platz im Studentenwohnheim beantragen.

Weiter geht es in das eigentliche Zimmer der künftigen Mitbewohnerin. Mit rund zwölf Quadratmetern fällt es eher klein aus. Kandidatin Nr. 2 schaut sich enttäuscht um, sie hatte auf mehr Platz gehofft. Schnell wird deutlich, dass ihr Interesse am Zimmer abnimmt. "Sehr cool", kommentiert dagegen Kandidatin Nr. 1 und nickt noch ein wenig weiter vor sich hin. Nachdem sich beide Mädchen in eine Liste eingetragen haben, gehen sie nach Hause.

Hendrik schließt die Tür und lächelt. Obwohl Kandidatin Nr. 2 bereits angekündigt hat, sie wolle doch nicht in diese WG, scheint er mit der Ausbeute zufrieden zu sein. "Mir hat Kandidatin Nr. 1 sehr gut gefallen, ich hatte das Gefühl, dass es viele gemeinsame Interessen gibt. Außerdem geht sie auch gern mal feiern und sucht nicht nach einer Zweck-WG", sagt Hendrik und macht ein großes Sternchen hinter ihren Namen.

(RP)
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