Vom Bagger überrollt – Prozessbeginn

Das Amtsgericht verhandelt demnächst gegen einen Baggerfahrer, der am Wehrhahn einen Fußgänger überfahren hat. Der dabei schwer verletzte 49-jährige Joachim Schwamm kämpft noch immer gegen die Unfallfolgen. Und um seine Existenz.

Das Fahrrad im Flur ist so gut wie neu. Ein Trekking-Rad, keins von den Billigen. Wahrscheinlich, sagt Joachim Schwamm, wird er es verkaufen müssen. Oder doch nicht. Vielleicht, sagt er, kann er ja doch irgendwann wieder fahren. "Daran glauben, kann ich nicht."

14 Monate ist es her, dass der gelernte Chemielaborant, damals im zweiten Jahr arbeitslos, auf dem Heimweg vom Arzt von einem Bagger überfahren wurde. Die Fußgängerampel an der Tonhallenstraße hatte grün gezeigt, und Schwamm war hinter einer Gruppe anderer über die Fahrbahn gegangen, als die Baggerschaufel ihn am Kopf traf. Er stürzte, wollte sich aufrichten, da rollte das riesige Baggerrad über sein Bein. Und blieb auf seiner Hüfte stehen. Dann rollte es denselben Weg zurück.

Der Fahrer, der Schwamm nicht gesehen hatte, und den gestikulierende Passanten auf den Gestürzten aufmerksam machten, steht in ein paar Tagen vor Gericht. Fahrlässige Körperverletzung, heißt es in der Anklage. "Mir ist nicht wichtig, ob er verurteilt wird", sagt Schwamm. "Mir war wichtig, dass er mich im Krankenhaus besucht und Anteilnahme gezeigt hat." Zornig sei er nicht. Höchstens auf die Versicherung des Baggerfahrers, die nicht einsehen will, dass es ihr Kunde war, der Joachim Schwamms Leben verändert hat.

Seit über einem Jahr lebt Schwamm von seinem knappen Ersparten und 25 000 Euro Schmerzensgeld, die die Versicherung in kleineren Beträgen überwiesen hat. Davon hat er den behindertengerechten Umbau seines Badezimmers bezahlt, davon begleicht er die Rechnungen der Haushaltshilfe, die er braucht, weil er nicht stehen und nicht ohne Krücken laufen kann. "Wie soll ich da putzen?"

Die Versicherung sieht das anders, beruft sich darauf, dass Schwamm drei Monate nach dem Unfall aus der Reha-Klinik in seine eigene Wohnung entlassen worden war und im Arztbericht gestanden hat, er könne sich dort selbst versorgen. Das konnte er – mit Hilfe seiner Freunde und seines Bruder, die ihn schon während des Krankenhausaufenthaltes immer wieder unterstützt hatten.

Seinen Anwalt hat er schon zigmal darum gebeten, sich darum zu kümmern. "Aber irgendwie passiert nichts. Ich schicke meine Rechnungen hin – und zahle sie dann doch selbst." Auch für die Krankengymnastik, wenn die Zahl der Stunden, die er braucht, mal wieder das Budget seines Arztes übersteigt. Wenn das Versicherungsgeld verbraucht ist, wird er wohl Hartz IV beantragen müssen. Das hat er nie gewollt, hat seine Lebensversicherung beliehen, ein Erbstück verkauft. Mit Hartz IV fürchtet er, seine Wohnung zu verlieren, in die Armut zu rutschen. "Das wäre alles nicht passiert, wenn mich der Bagger nicht platt gefahren hätte."

Im Gegenteil: Als Schwamm gerade aus der Reha zurückgekommen war, kam der Anruf, auf den er zwei Jahre lang gewartet hatte. Ein Jobangebot in seinem erlernten Beruf. Er musste ablehnen. "Wer braucht schon einen Chemielaboranten, der nicht stehen kann?"

Trotzdem gibt der 49-Jährige nicht auf. Er hat ein Ziel: "Ich will wieder alleine gehen können. Und vielleicht, ganz langsam, Tango tanzen." Albträume von dem Unfall hat er nie gehabt. Ihn quälen andere Träume. In denen kann er laufen. Danach ist das Aufwachen besonders schwer.

(RP)
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