„Gewaltige logistische Herausforderung“ unter Zeitdruck Bahn bereitet Abellio-Übernahme in NRW vor

Düsseldorf · In vier Wochen stellt Abellio sein Nahverkehrsangebot in NRW ein. Damit weiter Züge rollen, gibt es „Notvergaben“ unter anderem an die Bahn. Sie muss zwei komplette S- und Regionalbahnnetze übernehmen – eine Mammutaufgabe.

 Ein Zug von Abellio (Archivfoto).

Ein Zug von Abellio (Archivfoto).

Foto: dpa/Roland Weihrauch

540 Lokführer, Handwerker und Verwaltungskräfte muss die Bahn in diesem Monat in NRW einstellen, schulen und einkleiden, eine ganze Zugflotte mit 17 S-Bahn-Zügen übernehmen und in Schuss halten – die Bahn-Tochter DB Regio hat in Nordrhein-Westfalen zum Jahresbeginn eine Mammutaufgabe vor der Brust: Ab dem 1. Februar übernimmt sie im Rahmen einer Notvergabe das S-Bahn-Netz Rhein-Ruhr und das Ruhr-Sieg-Netz vom Bahnunternehmen Abellio, das aus dem NRW-Markt ausscheidet.

Das sind neun Linien oder rund 200.000 zusätzliche Zugfahrten pro Jahr – normalerweise bekommen Bahnunternehmen für die Planung einer solchen Aufgabe zwei Jahre Vorbereitungszeit. Jetzt muss alles sehr viel schneller gehen, nachdem die NRW-Verkehrsverbünde im vergangenen Jahr die Abellio-NRW-Verträge gekündigt hatten.

„Wir wollen ab 1. Februar so viele Züge wie möglich fahren und unseren Fahrgästen das bestmögliche Angebot machen. Das wird eine gewaltige logistische Herausforderung“, sagt DB Regio-NRW Chef Frederik Ley. „Wie sehr es zum Start ruckeln wird, hängt aber auch davon ab, wie kooperativ Abellio ist und wie viele Abellio-Mitarbeiter zu uns wechseln werden.“

Abellio mit Sitz in Hagen, das den Verkehr noch bis Ende Januar weiterführt, steckt in einem Schutzschirmverfahren, einer Form der Insolvenz. Wichtigster Ansprechpartner für Ley und die Spitzen der beiden anderen Bahnunternehmen Vias und National Express, die ebenfalls Abellio-Strecken weiterführen, ist deshalb kein Eisenbahn-Manager mehr, sondern der Insolvenzverwalter. Von ihm brauchen die Unternehmen vor allem Informationen - zum Personal, zum technischen Zustand der Züge, zu Strecken und Baustellenplanungen.

Erst am 20. Dezember habe er die Personallisten mit Namen und Adressen von 540 Abellio-Mitarbeitern bekommen, denen die direkte Übernahme durch die DB angeboten wird, sagt Ley. Sie seien noch am selben Tag angeschrieben worden. Rund 120 der besonders dringend benötigten Lokführer hätten sich bisher über eine eigens eingerichtete telefonische Hotline gemeldet und ihr Interesse zum Wechsel bekundet, berichtet die zuständige Personalleiterin Kathrin Menzebach, die den Übernahmeprozess bei der Bahn organisiert. Einige hätten über die Weihnachtsferien sogar schon die dreitägige Schulung absolviert, die für alle Wechsler vorgeschrieben ist.

Von der benötigten zusätzlichen Mitarbeiterzahl ist DB Regio aber weit entfernt, und wie viele Abellio-Mitarbeiter sich am Ende für die Bahn entscheiden werden, ist Anfang Januar noch völlig unklar. In der Situation könne natürlich auch keine passende Dienstkleidung bestellt werden. Die Neu-Bahner würden für den Übergang wahrscheinlich zunächst provisorisch eingekleidet, berichtet Menzebach.

Ziemlich viele Fragezeichen gibt es auch bei den 17 Zügen des Ruhr-Sieg-Netzes, die die Bahn nach der Übernahme künftig selbst warten wird. Nach derzeitigen Informationen stehen bei mehreren der Züge Revisionen an, sagt Max Nöhles, unter anderem verantwortlich für die DB-Regio-Werke in NRW. Genauere Informationen zum Zustand der Züge fehlten. „Möglicherweise kommen größere Instandhaltungsaufgaben nach dem Wechsel auf uns zu.“ Eine solche Generalüberholung dauert drei bis vier Wochen – und Ersatzzüge sind bisher in der Planung nicht vorgesehen.

Im Bahn-Instandhaltungswerk Essen baut DB Regio einen neuen Dacharbeitsstand für die Wartung der Züge, Hebeböcke werden verstärkt und die Bahner planen einen Gebäudeanbau für die zusätzlichen Ersatzteile – doch welche Ersatzteile und Spezialwerkzeuge von Abellio zu welchen Konditionen an DB Regio übergeben werden, sei bisher unklar, sagt Ley. Wegen der hohen Sicherheitsauflagen seien viele Ersatzteile von Drehgestellen über Schrauben bis zu Spezialölen streng reglementiert, rar und schwer zu beschaffen - „manche Teile können bis zu 18 Monate Lieferzeit haben“, sagt Werkstatt-Fachmann Nöhles.

Kopfzerbrechen bereitet den Planern auch noch die Frage, wie der eigentliche Übergang des Verkehrs am 31. Januar laufen wird. Abellio muss die Züge vertragsgemäß bis zum Ende des Tages nutzen - es ist ein Montag. Am 1. Februar frühmorgens sollen dieselben Züge dann für DB Regio wieder losrollen. Vorher müssen aber Zuglogos und die Kennzeichnungen der Wagen - quasi das Nummernschild des Zuges - nach den Vorschriften geändert werden. Wo und wann das passieren soll, werde man sehen, sagt Ley.

Dennoch zeigt sich der DB Regio-NRW-Chef optimistisch: „Wir haben für die meisten offenen Fragen auch noch Plan B oder C in der Tasche. Wir bekommen riesige Unterstützung aus dem Konzern und auch mit den Kollegen von National Express und Vias läuft die Zusammenarbeit super.“ Trotzdem würden die nächsten Wochen wohl für alle hart. „Aber es wird schon klappen – es muss.“

(mba/dpa)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort