Bochum Trickdiebe überfallen Senioren

Bochum · In Nordrhein-Westfalen werden zunehmend ältere Menschen Opfer von Trickdieben. Die Kriminellen täuschen an der Wohnungstür eine Notlage vor oder geben sich etwa als Polizisten aus, um sich Zutritt zu verschaffen. Dabei schrecken die Betrüger auch vor Gewalt nicht zurück.

Ingrid Henkel will gerade neuen Kaffee aufsetzen, als es plötzlich an der Haustür schellt. "Nun mach schon endlich die Tür auf", dröhnt es aus der Gegensprechanlage. Die 83-jährige Bochumerin öffnet. Vor ihr stehen eine Frau und ein Mann. Beide seriös gekleidet. Sie wollen eine Nachricht für einen Nachbarn hinterlassen, behaupten sie. Die Reparaturen an seinem Auto seien fertig. Die Rentnerin reagiert irritiert. "Moment mal. Der hat doch gar keinen Führerschein", erwidert die schwer gehbehinderte Seniorin. Sie versucht vergeblich, die Tür wieder zu schließen. Das kriminelle Duo drängt die ältere Frau, die sich an ihrem Rollator festklammert, in ihre Wohnung. Dabei stürzt Ingrid Henkel beinahe zu Boden. Als das Pärchen wieder weg ist, alarmiert sie die Polizei. Erst dann stellt sie fest, dass sie ausgeraubt worden ist. "Die haben meine Schmuckkästchen mit den Gold- und Perlenketten gestohlen", sagt sie. "Auch eine wertvolle Uhr fehlt." Sie bleibt unverletzt.

Zunehmend werden in Nordrhein-Westfalen Senioren Opfer von Trickbetrügern. Fast täglich melden sich Geschädigte bei der Polizei. Besonders oft schlagen die Kriminellen derzeit im Ruhrgebiet zu. "Die Fälle haben in den vergangenen Wochen stark zugenommen", sagt eine Polizeisprecherin. "Es handelt sich meist um Banden, gelegentlich auch um Einzeltäter." Die Hintermänner sitzen nach Erkenntnissen der Ermittler oft in Osteuropa. Gezielt suchen die Kriminellen ihre Opfer aus. Es sind in der Regel ältere Menschen, besonders allein lebende Frauen, auf die es die Betrüger abgesehen haben. Ihre Vorgehensweise ist immer die gleiche: Sie täuschen eine Notlage vor, geben sich als hilfsbereite Freunde oder Verwandte aus, wenn sie an der Tür ihrer Opfer klingeln. Beim sogenannten Enkeltrick wird älteren Menschen zum Beispiel am Telefon vorgetäuscht, ihr Enkel sei in Not und brauche dringend Geld für die Begleichung eines Unfallschadens, einen Auto- oder Computerkauf. Die Lage wird immer äußerst dringlich dargestellt. Oft werden die Opfer durch wiederholte Anrufe unter Druck gesetzt. "Sie versuchen, gutgläubige Menschen in die Situation zu bringen, helfen zu müssen", sagt eine Bochumer Polizeisprecherin. "Leider gelingt diese miese Masche oft."

Nicht immer enden die Überfälle glimpflich für die Opfer. Erst vor wenigen Wochen wurde in Hagen eine 75-Jährige in ihrer Wohnung von Kriminellen überfallen und dabei getötet. In Mülheim fesselten die Angreifer eine 92-Jährige und sperrten sie im Keller ein. Bei einer Oberhausenerin klingelten zwei Verbrecher spät in der Nacht. Die Hausbesitzerin (53) öffnete die Tür und schrie sofort um Hilfe. Gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten schlug sie die Täter in die Flucht. Dabei schoss einer der Angreifer mehrfach mit einer Pistole. Verletzt wurde niemand. Der Opferverband Weißer Ring warnt: "Wenn die Täter nicht das bekommen, was sie suchen, werden sie oft sehr aggressiv und gehen rabiat gegen ihre Opfer vor." Die Organisation betreut und berät Menschen, die Opfer von Gewalt wurden. "Viele erleiden dadurch ein Trauma", sagt ein Verbandssprecher. "Andere trauen sich aus falscher Scham jedoch erst gar nicht, zur Polizei zu gehen oder mit Vertrauten darüber zu reden." Die Dunkelziffer solcher Fälle sei sehr hoch. "Zudem merken einige gar nicht, dass sie ausgeraubt wurden." Die Polizei rät Betroffenen, stets ein gesundes Maß an Misstrauen zu haben, wenn Unbekannte vor der Tür stehen und sich als angebliche Verwandte, Freunde und Angestellte von Behörden oder Firmen ausgeben. "Immer sofort nach dem Ausweis fragen, den haben die Kriminellen meist nicht. Im Zweifelsfall die Tür besser erst gar nicht öffnen, immer die Gegensprechanlage benutzen und vorher durch den Türspion gucken", rät ein Polizeisprecher und fügt hinzu: "Ist sich das Opfer sicher, einen Betrüger vor sich zu haben, sollte es uns sofort rufen."

Die Bochumerin Ingrid Henkel habe sich vorbildlich verhalten, sagen die Ermittler. "Sie hat sofort gemerkt, dass etwas nicht stimmt und hat kritisch nachgefragt", so die Polizei. "Nur weil die Täter stärker waren als sie, konnte sie nicht verhindern, dass sie in ihre Wohnung eindringen." Die 83-Jährige stimmt es traurig, dass es solche Menschen gibt, die gutgläubige Senioren ausnutzen. "Wann kann ich denn jetzt noch sicher sein, wenn mal wirklich jemand in Not ist und Hilfe braucht?", fragt sie. "Dieser Gedanke ist furchtbar."

(RP)
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