Viersen Tornado-Opfer halten zusammen

Viersen · Der Tornado hat im Kreis Viersen erhebliche Schäden angerichtet. Besonders betroffen ist das Dörfchen Boisheim. Dort deckte der Wirbelsturm besonders viele Dächer ab. Die Anwohner helfen sich gegenseitig beim Aufräumen.

Ewald Peltzer ist gerade mit der Gartenarbeit fertig, als es plötzlich ein bisschen windiger wird. Der 77-Jährige will deshalb vor sein Haus gehen, um die Mülltonnen reinzustellen. "Da war plötzlich alles grau und dunkel am Himmel. Und so eine breite Front, die auf unser Haus zukam", sagt er. Es beginnt zu regnen. Dann hagelt es. Der Wind nimmt zu. Es donnert ein bisschen. Schnell geht er wieder rein. Die Mülltonnen lässt er stehen. Peltzer geht von einem Wärmegewitter aus. An einen Tornado denkt er nicht. Als er die Haustür schließt, merkt er jedoch das etwas anders ist. "Plötzlich macht es in einer Tour klack, klack, klack. Die Dachziegeln sind runter gekommen", sagt er. Die Hälfte seines Daches wird abgedeckt. "Das ist schon gewaltig gewesen", meint er.

Etwa eine Viertelstunde hat der Tornado am Mittwochabend in Teilen des Kreises Viersen gewütet und ist durch Boisheim, Nettetal-Schaag, Dilkrath, Schwalmtal und Niederkrüchten gezogen. Seit 51 Jahren wohnt Petzer mit seiner Frau schon in der Siedlung an der Linder Straße in Boisheim, einem Ortsteil von Viersen. Einen Tornado haben sie dort noch nie erlebt. Ihr Viertel hat es besonders schwer erwischt. Die Schäden sind zwar meist oberflächlich. Und keines der rund 50 betroffenen Häuser ist einsturzgefährdet. Aber überall liegen Dachziegel und entwurzelte Bäume herum. Und bei Peltzer hängt der Wohnwagen vom Nachbarn im Pflaumenbaum. "Wäre der Baum nicht gewesen, hätte das böse enden können", sagt der Rentner. "Der wäre vermutlich gegen unser Haus geschleudert worden."

Der Zusammenhalt in der Nachbarschaft ist groß in Boisheim. Schon direkt nach dem Sturm beginnen in der Nacht die Aufräumarbeiten. Jeder hilft, wo er kann. "Mein Schwiegersohn und mein Enkel kamen sofort rüber und haben mit angepackt", sagt Peltzer. Was die Anwohner nicht selbst machen können, erledigen Dachdecker, Feuerwehrleute und städtische Mitarbeiter. Bis drei Uhr nachts wird gearbeitet. "Wir gehen davon aus, dass die Aufräumarbeiten relativ schnell abgeschlossen sein werden, sagt ein Feuerwehrmann, der am nächsten Tag an einer Straßensperre steht. Tatsächlich sind gestern schon wieder viele Dächer neu gedeckt worden. Auch der anfängliche Schock, unter dem viele Anwohner gestanden haben, hat sich bei manchen schon wieder gelegt. Man ist froh darüber, dass es kaum Verletzte gegeben hat. Ein Feuerwehrmann hat einen Stromschlag abbekommen, und ein Autofahrer wird beim Aussteigen von herunterfallenden Baumästen getroffen. Beide sind schwer, aber nicht lebensbedrohlich verletzt. Letztlich habe man Glück gehabt, meinen die meisten. Es hätte noch schlimmer kommen können, das wissen sie.

Ein Tornado ist in Deutschland ein seltenes Wetterphänomen, das es in diesem Jahr bundesweit erst sechs Mal gegeben haben soll - aber noch nicht mit solch gravierenden Auswirkungen wie jetzt in Viersen. Andreas Friedrich ist Tornadobeauftragter des Deutschen Wetterdienstes (DWD). Er sagt, dass tiefstehende Regen- und Gewitterwolken Grundvoraussetzungen für die Bildung eines solchen Wirbelsturms seien. Die Luft müsse sehr feucht sein, damit sich der tornadotypische Rüssel bilde, erklärt er. Zudem müsse sich die Windrichtung und die Geschwindigkeit zwischen Boden und Wolken immer ändern, damit sich die Luftmassen zu drehen beginnen. "Diese ganzen Zutaten waren gestern in Viersen vorhanden", sagt er. Tornados könnten überall auftreten. Dass es am Mittwochabend in Viersen passiert ist, sei wohl purer Zufall gewesen, meint Friedrich.

Bei Peltzer hat der Sturm nicht nur das Dach abgedeckt. Auch Fensterscheiben und die Gartentür sind zu Bruch gegangen. Ebenso die Dachrinne und der Gartenzaun. Auch Pflanzen und Bäume sind zerstört worden. Mindestens 10.000 Euro Schaden, schätzt der 77-Jährige. Die Versicherung werde dafür aufkommen, ist Peltzer sicher. Der Vertreter sei schon bei ihm gewesen, habe sich alles angeguckt und die Schäden aufgenommen. Das sei höhere Gewalt, habe dieser zu ihm gesagt, so Peltzer. Auch bei den meisten anderen Nachbarn seien die Versicherungsleute schon gewesen. "Die kamen gleichzeitig mit ganz vielen Kräften. Wir sind hier alle in der Gegend bei einer Versicherung. Das ist unkompliziert und läuft gut", sagt Peltzer, der richtig gehandelt und sofort seine Versicherung über die Schäden informiert hat. Denn wer von Sturmschäden betroffen ist, muss diese unverzüglich seiner Versicherung melden. Für Schäden am Haus etwa durch umgestürzte Bäume oder vom Wind abgedeckte Dächer kommt die Gebäudeversicherung auf. Sie zahlt nach Angaben des Bundes der Versicherten auch Folgeschäden, etwa wenn durch das beschädigte Dach oder kaputte Fenster Regen eindringt und Wände oder Fußböden beschädigt werden. Bei überfluteten Kellern ist eine Versicherung gegen Elementarschäden nötig. Verbraucherschützer raten Betroffenen grundsätzlich in allen Fällen, so schnell wie möglich den Versicherer zu informieren und eine Schadensliste möglichst mit Fotos zu erstellen. Auch die Sturmstärke muss nachgewiesen werden, etwa durch die Windmessungen der Wetterämter.

Rosemarie Peters und ihren Mann Klaus hat der Tornado besonders schwer erwischt. Ihr Haus liegt etwas abseits der Ortschaft. Die Straße, die zu ihr führt, ist gesperrt. Überall liegen abgeknickte Bäume herum, darunter viele alte Buchen, die zum Teil über hundert Jahre alt sind. Ein Baum ist auf das Haus der 67-Jährigen gefallen. Das Dach haben sie gerade erst neu gedeckt. Erst am Montag sind sie damit fertig gewesen. Jetzt ist das Dach kaputt. Das Haus dürfen sie aus Sicherheitsgründen vorläufig nicht betreten. Das Ordnungsamt hätte das untersagt. Die Statik muss noch überprüft werden. Klaus Peters wäre fast von dem Baum erschlagen worden, der aufs Haus gefallen ist. "Der Tornado kam so plötzlich. Mein Mann hatte Schutz unter dem Baum gesucht. Klaus wäre unter ihm begraben worden, wenn das Haus nicht gewesen wäre und den Aufprall gestoppt hätte", sagt die 64-Jährige. Der Schaden an ihrem Haus ist beträchtlich. Nicht nur das Dach ist kaputt. Der Keller steht unter Wasser, weil seit dem Unwetter der Strom ausgefallen ist und deswegen die Pumpen im Keller nicht mehr laufen, die das stehende Grundwasser entfernen. "Wir wohnen direkt am Flüsschen Nette. Und sind darauf angewiesen, dass die Pumpen laufen", sagt Peters. Wann der Strom wieder da sein wird, weiß sie nicht. Anders als manche andere hat sie den Schock noch nicht überwunden. "Das nimmt mich alles so mit. Ich bin davon heiser geworden und kann kaum noch sprechen", sagt sie.

(csh)
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