Stuttgart Stuttgarter SPD will bei Grün-Rot Aufpasser sein
Stuttgart · Treffender, hämischer lässt sich der Wohlstand Baden-Württembergs kaum beschreiben: "Wenn ich mir in Stuttgart die sozialen Brennpunkte anschaue – das ist in Köln oberer Mittelstand." Der aus dem schwäbischen Nürtingen stammende Bildungsbürger und TV-Spötter Harald Schmidt hat das gesagt. Nürtingen gehört zum Landtags-Wahlkreis des künftigen grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (62). Der will umgehend mit seinem Koalitionspartner Nils Schmid von der SPD über die Regierungsbildung beraten. Auffallend oft betonte der 37-jährige Sozialdemokrat in der Wahlnacht, er werde als Minister im neuen grün-roten Bündnis für wirtschaftliche Vernunft sorgen.
Der Satz zeigt, dass in der erneut geschwächten Landes-SPD Zweifel an der ökonomischen Kompetenz des Oberstudienrats a.D. Kretschmann keimen. Der SPD und den mit ihr verbundenen Betriebsräten bei Daimler, Porsche oder Bosch graut es bei dem Gedanken, dass ihr prosperierendes Land, in dem Firmen Sonderschichten einlegen und Arbeitnehmer Aufschwung-Zuschläge kassieren, durch experimentierende Öko-Fantasten im Windschatten des bedächtigen Kretschmann auf die schiefe Ebene geraten könnte.
Nils Schmid beruhigt die Grün-Rot-skeptische Wirtschaft: "Wir werden nicht mit Bio-Wein und Öko-Ciabatta regieren." Schon bald wird der grün-rote Dissens sichtbar werden: Die SPD befürwortet vehement das Bahnhofs-Projekt Stuttgart 21. Die Grünen sind strikt dagegen. Schmid und Kretschmann wollen den Zwist mit einem verfassungsrechtlich fragwürdigen Volksentscheid entschärfen. Die CDU würde dagegen klagen. Kretschmanns Satz, nun gehe es darum, die Industrie in eine grüne Richtung zu entwickeln, klingt zwar sorgsam, wirft aber bei Firmen und Arbeitnehmerschaft bereits am Tag eins nach der Wahl die Frage auf, ob hier etwa die Belastbarkeit der Wirtschaft getestet werden solle. Wenn Kretschmann hinzufügt, grünes Denken sichere den Standort, wird der SPD- oder CDU-geneigte Facharbeiter bei Mercedes oder Porsche hellhörig.
