Debatte um Sterbebegleitung Auf dem Land fehlen Hospizplätze

Düsseldorf/Karlsruhe · In NRW kann die enge Betreuung von Sterbenden nicht überall gewährleistet werden. Inwieweit Ärzte und Pfleger schwerkranke Patienten auch bei deren Todeswunsch behilflich sein dürfen, entscheidet an diesem Mittwoch das Bundesverfassungsgericht.

 Todkranke Patienten, die keine engmaschige medizinische Betreuung, aber dennoch eine spezialisierte Pflege brauchen, können ein Hospiz in Erwägung ziehen.

Todkranke Patienten, die keine engmaschige medizinische Betreuung, aber dennoch eine spezialisierte Pflege brauchen, können ein Hospiz in Erwägung ziehen.

Foto: picture alliance/dpa/Felix Kästle

Für todkranke Patienten wird es schwieriger, auf dem Land einen Hospizplatz zu finden. „Während die Ballungsräume derzeit noch ausreichend mit Hospizen versorgt sind, wird es gerade auf dem Land problematischer“, sagt Ulrike Herwald, Vorsitzende des Hospiz- und Palliativverbands NRW. Vielerorts fehlten vor allem stationäre Einrichtungen. Besonders in Ostwestfalen-Lippe, der Eifel und im nördlichen Münsterland müssten Patienten warten, so Herwald. Die Auslastung der Hospize in Nordrhein-Westfalen liegt bei mehr als 90 Prozent.  

Um der steigenden Nachfrage nach Plätzen gerecht zu werden, erweitern viele Hospize ihre Kapazitäten. 2019 gab es in Nordrhein-Westfalen rund 13.500 Sterbebegleitungen durch ambulante Hospizdienste mit Förderung durch die Krankenkassen. Vier Jahre zuvor waren es gut 9500. Im vergangenen Jahr zählte der Hospiz- und Palliativverband NRW 67 stationäre Einrichtungen und 244 ambulante Dienste. 2015 waren es 63 beziehungsweise 226. Daneben gibt es noch gut 70 ambulante Hospizdienste, die keine Förderung durch die Kassen in Anspruch nehmen, sondern rein ehrenamtlich arbeiten.

Hospize und Palliativmediziner begleiten todkranke Menschen auf ihrem letzten Lebensweg. Der Patient wird gegebenenfalls mit Medikamenten behandelt, die ein schmerz- und leidensfreies Sterben ermöglichen sollen. Will ein Patient sein Leben aufgrund des besonderen Leidensdrucks gezielt beenden, dürfen Pfleger und Mediziner hierbei jedoch nicht aktiv helfen. Wer einem todkranken Menschen auf dessen Wunsch hin eigenhändig die Giftspritze setzt oder das tödlich wirkende Medikament einflößt, kann wegen Tötung auf Verlangen bestraft werden. Anders ist es bei der passiven Sterbehilfe. Hierbei werden meist auf Grundlage einer Patientenverfügung die lebenserhaltenden Maßnahmen wie Beatmung oder künstliche Ernährung abgebrochen. Auch die indirekte Sterbehilfe ist grundsätzlich gestattet. Gemeint sind damit Behandlungen, die kurzfristig zu einer Verbesserung des Zustandes führen, aber auch zu einer Verkürzung der Lebensdauer. 

Äußerst strittig ist dagegen der assistierte Suizid. Die Selbsttötung ist in Deutschland kein Strafdelikt, daher ist es die Beihilfe auch nicht. Allerdings muss der lebensmüde Patient seinen Tod selbst herbeiführen. Der Arzt darf den tödlich wirkenden Medikamentencocktail lediglich bereitstellen. Der 2015 beschlossene Paragraf 217 (Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe) schränkt die Straffreiheit allerdings erheblich ein. In Karlsruhe gingen deshalb mehrere Verfassungsbeschwerden von Sterbehilfevereinen, einigen schwerkranken Patienten und Ärzten ein. Die Kläger beziehen sich in erster Linie auf die Grundgesetzartikel 1 und 2 (Menschenwürde und Entfaltung der Persönlichkeit), aus denen sie auch ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben ableiten. An diesem Mittwoch spricht das Bundesverfassungsgericht sein wegweisendes Urteil. Es hatte zu prüfen, ob Paragraf 217 mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

Eigentlich wollte man mit der Formulierung „geschäftsmäßig“ in erster Linie die Arbeit von Sterbehilfevereinen einschränken. Derlei Organisationen bieten die Sterbehilfe gegen Entgelt an. Sie sind vor allem in der Schweiz aktiv, dort sind sie erlaubt. Der Begriff „geschäftsmäßig“ kann aber auch einen Arzt treffen, der seinem Patienten helfen will, den letzten Schritt zu tun. Vor allem dann, wenn er seine Hilfe nicht nur einmal, sondern mehrfach anbietet. Doch das ist gerade unter Palliativmedizinern die Regel. „Ich bin Straftäter in meiner normalen Arbeit, jeder Vierte spricht mich auf vorzeitige Sterbewünsche an. Soll ich denen kein Morphium mehr verschreiben dürfen aus Angst, dann ins Zuchthaus zu müssen?“, fragt etwa der Palliativmediziner Matthias Thöns aus Witten: „Dieses Gesetz ist also ein Totalverbot ärztlicher Suizidhilfe. Der Suizid wird tabuisiert, Patienten sprechen uns nicht offen an und wählen harte Suizidmethoden.“

Ulrike Herwald vom Hospiz- und Palliativverband NRW meint: „Auch bei einer optimalen Palliativversorgung wird es immer wieder Krankheitsbilder geben, bei denen wir an unsere Grenzen kommen und nicht die erwünschte und erforderliche Entlastung bieten können, die diese Menschen benötigen.“ 

Die Debatte um ein selbstbestimmtes Lebensende befeuerte im Frühjahr 2017 auch ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts. Dieses stellte fest, dass der Staat Bürgern, die sich in einer „extremen Notlage“ befinden, den Erwerb tödlich wirkender Medikamente nicht verweigern darf. Seit dem Urteil wurden beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) 137 Anträge auf Erteilung einer Erlaubnis zum Erwerb eines Betäubungsmittels zum Zweck der Selbsttötung gestellt. „Soweit dem BfArM bekannt ist, sind 24 Antragsteller verstorben. Bisher wurden 102 Anträge abgelehnt. Die übrigen befinden sich in unterschiedlichen Stadien der Bearbeitung“, teilt ein Sprecher mit. Das Recht auf Selbstbestimmung findet für den Staat also Grenzen, wenn es um das Sterben geht. 

Auch die Ärztekammern halten den 2015 beschlossenen Sterbehilfe-Paragrafen für verfassungsgemäß. „Ärztliche Aufgabe ist es, Leben zu erhalten, Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen“, sagt Rudolf Henke, Präsident der Ärztekammer Nordrhein. Die ärztliche Hilfe zur Selbsttötung sei berufsrechtlich verboten, „weil andernfalls das Vertrauen der Patienten in den ärztlichen Auftrag für das Leben erschüttert würde“.  

Die Kläger in Karlsruhe wünschen sich Gewissheit. Doch kann das Bundesverfassungsgericht diese tatsächlich herstellen? Ulrike Herwald ist skeptisch: „Der Wunsch nach einer gesetzlichen Regelung ist der Wunsch nach Klarheit – dennoch werden wir mit keinem Urteil ethisch Klarheit erlangen. Und dieses Dilemmas sind wir uns durchaus bewusst.“

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