KZ-Überlebende Eva Weyl berichtete in Xanten Ihr Name stand schon auf der Todesliste

Xanten · Eva Weyl berichtete im Xantener Rathaus, wie sie als Kind von den Nazis in ein Konzentrationslager gesteckt wurde und Glück hatte, dass sie überlebte. An die vielen Menschen, die ihr ergriffen zuhörten, richtete sie einen Appell.

„Wir haben alle eine Verantwortung, das Wissen darum, was geschehen ist, weiterzutragen“, sagt Eva Weyl, die den Holocaust überlebt hat.

„Wir haben alle eine Verantwortung, das Wissen darum, was geschehen ist, weiterzutragen“, sagt Eva Weyl, die den Holocaust überlebt hat.

Foto: Armin Fischer (arfi)

Ja, da hatte Robert Ritscha Recht: „Es ist unglaublich schwierig, für so einen Abend den richtigen Ton zu finden“, sagte der Mann, der an der Dommusikschule unterrichtet, und griff zum Saxofon. Mit einem Stück von John Williams aus dem Film „Schindlers Liste“eröffnete der Musiker am Freitag einen Abend im Rathaus-Saal, der bewegte und betroffen machte. Mehr als 250 Frauen und Männer mögen es bestimmt gewesen sein, die gekommen waren, um sich die Geschichte von Eva Weyl anzuhören. Eine 87-jährige großartige Dame aus Arnheim, die mit sechs Jahren mit ihren Eltern ins Konzentrationslager Westerbork in den Niederlanden kam. Weil sie Jüdin ist. Und weil 15 hohe Offiziere am 20. Januar 1942 auf einer Konferenz am Wannsee in Berlin „während eines Mittagessens die Endlösung beschlossen“ hatten, wie Weyl sagte.

Elf Millionen Juden, Sinti und Roma sollten ermordet werden, hingerichtet in Gaskammern in Vernichtungslagern wie Auschwitz und Buchenwald. Judenräte wurden im gesamten Reich gegründet, die alle Juden in den Dörfern und Städten auflisten mussten, Sechs Millionen Menschen Juden, Sinti und Roma hat der Holocaust letztlich das Leben gekostet.

 So voll ist der Ratssaal selten: So viele Menschen wollten hören, was Eva Weyl zu sagen hat, dass gar nicht alle sitzen konnten. Der stellvertretende Bürgermeister Volker Markus begrüßte die Niederländerin in Xanten.

So voll ist der Ratssaal selten: So viele Menschen wollten hören, was Eva Weyl zu sagen hat, dass gar nicht alle sitzen konnten. Der stellvertretende Bürgermeister Volker Markus begrüßte die Niederländerin in Xanten.

Foto: Armin Fischer (arfi)

Eva Weyl und ihre Eltern haben überlebt, sind nicht vom Durchgangslager Westerbork aus nach Auschwitz deportiert worden. Mit 73 Jahren hat sie beschlossen, gegen das Vergessen zu kämpfen, Brücken zu bauen zu Menschen, die eine andere Vergangenheit haben. Aufmerksam zu machen, „wozu Hass, Neid, Intoleranz und Respektlosigkeit führen können“. Um vor allem in Schulen jungen Leuten zu berichten, was passierte, als Adolf Hitler am 30. Januar 1933, also vor 90 Jahren, an die Macht kam. Die Reichspogromnacht am 9. November 1938 sei „der Anfang des Holocaust“ gewesen, und die meisten Menschen hätten weggesehen.

Und dann erzählte sie im Xantener Rathaussaal ihre eigene Geschichte. Erzählte von dem Schreiben des Judenrates, in dem die Eltern aufgefordert wurden, eine Wolldecke, Bettwäsche, Handtücher, warme Bekleidung und Stiefel einzupacken. Drei Tage später seien sie mit dem Zug nach Westerbork gebracht worden. „Am 29. Januar 1942 sind wir dort angekommen. Die letzten Kilometer bis zum Lager mussten wir in eisiger Kälte zu Fuß zurücklegen“. Ihre Eltern hätten sie immer beschützt. „Es kommt gut, es kommt gut“, habe die Mutter sie beruhigt, „wir bleiben hier nicht lange, wir fahren wieder weg.“ Aber die Mutter habe nicht gesagt, „wir fahren wieder heim“.

80 Meter lange Baracken aus Holz, ganz schmale Stapelbetten mit dünnen Matratzen, alle zehn Tage zwei Minuten kalt duschen: „Diese Zeit war furchtbar, da hatte ich Angst, war traurig.“ Das Lager sei eigentlich so etwas wie ein Dorf gewesen, wo zeitweise 15.000 Menschen jüdischen Glaubens gelebt hätten. „Es gab zwei Schulen, eine Fabrik, ein großes Krankenhaus, einen Spielplatz.“ Kommandant im Lager sei Albert Konrad Gemmeker gewesen, ein 35-jähriger Polizist aus Düsseldorf, Mitglied der SS (Schutzstaffel), Vater von drei kleinen Töchtern. Im Juli 1942 fingen die Transporte in die Vernichtungslager, die „Death Camps“, an. „Er war verantwortlich für die reibungslose Deportation der Juden.“ In Westerbork sei nicht gefoltert oder getötet worden, aber es sei das „Vorportal zum Tode“ gewesen, und Gemmeker habe das gewusst. „Dieser Kriminelle hat 80.000 Menschen auf dem Gewissen.“

Nachdenklich stützte sie im Rathaussaal beim zweiten Musikstück den Kopf in die Hand, bevor sie den Faden wieder aufnahm und von dem Tag im Jahr 1944 erzählte, an dem sie und ihre Eltern auf der Liste der Lager-Insassen standen, die nach Auschwitz transportiert und in die Gaskammer geschickt werden sollten. „Wir saßen vor unserer Baracke parat.“ Plötzlich sei das Lager von oben beschossen worden, von Hubschraubern aus, mit denen die Alliierten (USA, Frankreich, England, Russland; sie kämpften im Zweiten Weltkrieg gemeinsam gegen Deutschland und seine Verbündeten) Fabriken beschossen. „So haben wir überlebt, der Transport nach Auschwitz fand nicht statt.“ Am 12. April 1945 befreite die kanadische Armee mehr als 850 jüdische Gefangene im Lager Westerbork. Einen Tag vorher hatten Kommandant Gemmeker und sein Stab das Lager verlassen. Später habe der US-General Dwight David Eisenhower seine Leute angewiesen, Fotos und Filme vom Lager zu machen, weil garantiert jemand behaupten werde, dass die Berichte über das Lager nicht stimmen würden, berichtete Weyl.

„Ihr alle habt keine Schuld“, betonte sie ein ums andere Mal. „Aber wir alle haben eine Verantwortung, das Wissen darum, was geschehen ist, weiterzutragen.“ Alle Kriege, so die Zeitzeugin, würden aus Gründen von Macht oder der Religion geführt; es sei ihre Aufgabe, die Jugend zu warnen, wozu Hass, Intoleranz und Neid führen könnten. Mit „Shabbat Shalom“ verabschiedete sich Eva Weyl von den ergriffenen Zuhörerinnen und Zuhörern, die sich mit stehendem Applaus bei ihr bedankten.

(jas)
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