Jubiläum der evangelischen Kirche in Xanten 450 Jahre alt und immer in Bewegung

Xanten · Mindestens seit dem Jahr 1572 leben Protestanten in Xanten. Seitdem nahm die Kirchengemeinde immer wieder Menschen auf, die aus ihrer Heimat flüchten mussten. Diese Erfahrung habe sie geprägt, sagt die Gemeindeleitung.

  Der sogenannte Totenkeller der evangelischen Kirche (v.l.): Superintendent Pfarrer Hans-Joachim Wefers sowie Brigitte Messerschmidt (l.) und Claudia Schraven vom Presbyterium. In der Hand halten sie eine Publikation zur Geschichte der evangelischen Kirche in Xanten.

Der sogenannte Totenkeller der evangelischen Kirche (v.l.): Superintendent Pfarrer Hans-Joachim Wefers sowie Brigitte Messerschmidt (l.) und Claudia Schraven vom Presbyterium. In der Hand halten sie eine Publikation zur Geschichte der evangelischen Kirche in Xanten.

Foto: Ostermann, Olaf (oo)

Die Geschichte der Evangelischen Kirchengemeinde in Xanten beginnt mit Vertreibung: 1572 hätten etliche Bürger „um der reinen Lehre des Evangeliums willen“ die Stadt verlassen müssen, schrieb 1592 Richter Stephan Kahl in seinen Aufzeichnungen. Es sei der erste schriftliche Nachweis für Protestanten in Xanten, berichtet Superintendent Pfarrer Hans-Joachim Wefers. Wahrscheinlich lebten sie auch schon vorher in der Stadt, mindestens aber seit 450 Jahren, wie das Schriftstück belegt. Und das feiert die evangelische Gemeinde in den nächsten Monaten.

Der Auftakt ist für Ostermontag, 18. April, geplant. Thorsten Latzel, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, hat sein Kommen zugesagt und wird auch die Predigt halten, wie Wefers berichtet. Außerdem wird eine Tür im Boden der Kirche geöffnet, damit mehrere Gemeindemitglieder durch sie heraufkommen – es soll ein Symbol sein: Die Frauen und Männer werden von den Ursprüngen der Gemeinde in die Gegenwart kommen. Denn der sogenannte Totenkeller stammt aus der Anfangszeit der Protestanten in Xanten. Dort wurden früher die verstorbenen Gemeindemitglieder aufbewahrt worden, weil es an der Kirche keinen Platz für einen Friedhof gab.

Im Oktober soll die Feier fortgesetzt werden. Geplant sind mehrere Termine zwischen dem Erntedankfest und dem Reformationstag am 31. Oktober. Die Vorbereitungen laufen, wie Brigitte Messerschmidt vom Presbyterium erklärt. Angedacht ist zum Beispiel eine Veranstaltung mit Musik aus der Anfangszeit der Gemeinde. Die Organisatoren denken auch an eine Lesung von Bibelstellen. Außerdem soll es einen Vortrag von Jürgen Rosen zur Geschichte der Protestanten in Xanten geben. Die 450 Jahre sind schließlich der Anlass der Feiern.

Die Kirchengemeinde dürfte eine der ältesten am Niederrhein sein. Die ersten Protestanten in Xanten waren wahrscheinlich reformierte niederländische Protestanten, die aus ihrer Heimat geflohen waren. Zwar wurden etliche auch aus der Domstadt vertrieben, wie aus Kahls Aufzeichnungen hervorgeht. Aber der Richter schrieb auch, dass einige in Xanten geblieben seien und sich heimlich getroffen hätten, in wechselnden Häusern, um ihre „religiösen Übungen“ zu machen.

Später sei das Herzogtum Kleve, zu dem Xanten damals gehörte, an den brandenburgischen Kurfürsten Friedrich Wilhelm gefallen, einen Protestanten, berichtet Wefers. Der neue Landesherr habe die evangelische Gemeinde finanziell beim Bau einer Kirche unterstützt – das Gotteshaus sei sogar direkt am Markt errichtet worden und nicht in einem Hinterhof oder am Stadtrand: „Das verdanken wir dem großen Kurfürsten.“ In den folgenden Jahrhunderten sollten die Gemeindemitglieder trotzdem eine Minderheit in der Xantener Bevölkerung bleiben. Anfang des 20. Jahrhunderts lag ihr Anteil bei etwa fünf Prozent. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg stieg er auf rund 20 Prozent, wie die Gemeinde in einem „Streifzug durch die Geschichte der evangelischen Kirche in Xanten“ berichtet.

Der Zuwachs sei durch Vertriebene aus den ehemaligen deutschen Gebieten im Osten gekommen, aus Ostpreußen, Schlesien und Pommern, berichtet Wefers. Unter ihnen seien viele evangelische Christen gewesen. Als Protestanten und Flüchtlinge seien sie in ihrer neuen Heimat doppelt nicht gut gelitten, in der evangelischen Kirchengemeinde aber umso willkommener gewesen. Später, in den 1980er Jahren, seien Menschen aus dem Ruhrgebiet an den Niederrhein gezogen, und auch unter ihnen seien Protestanten gewesen, Aber auch sie seien von Einheimischen zunächst als „zugezogenes Pack“ bezeichnet worden.

Vertreibung, Bewegung, Zuflucht – das ziehe sich daher wie ein roter Faden durch die Geschichte der evangelischen Kirche in Xanten und habe sie geprägt, auch wenn es den Menschen selbst vielleicht nicht immer bewusst sei, sagt Messerschmidt. Die Gemeindemitglieder seien offen gegenüber Neuem und Menschen unterschiedlicher Herkunft. „Weil wir durch die Geschichte selbst eine multikulturelle Prägung haben“, ergänzt Wefers.

Er sieht die Kirchengemeinde in Xanten erneut vor einer Herausforderung. „Sie muss ihre Lebendigkeit, die in ihren Genen liegt, erneut unter Beweis stellen und sich reformieren.“ Wegen des gesellschaftlichen Wandels funktioniere der normale kirchliche Betrieb nicht mehr. Die Gemeinde müsse den Menschen deshalb neue Angebote machen. Ein Beispiel: „Ich glaube, dass der klassische Gottesdienst nicht ausgedient hat, aber daneben muss es andere Formen geben wie den Waldspaziergang an Heiligabend.“

(wer)
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