Sonsbeck Wer hat Angst vorm weißen Wolf?

Sonsbeck · Im Märchen fressen sie unsere liebgewonnenen Hauptfiguren. Sprichwörtlich sind sie "böse" oder "einsam". Dieses schlechte Image haben Wölfe aber nicht verdient. Jos de Bruin leistet Aufklärungsarbeit - zusammen mit seinen Wölfen.

 Der Polarwolf Kiba (vorne) und der Europäische Wolf Kuki leben in der Auffangstation von Jos de Bruin in Sonsbeck.

Der Polarwolf Kiba (vorne) und der Europäische Wolf Kuki leben in der Auffangstation von Jos de Bruin in Sonsbeck.

Foto: Seemann

Auf den ersten Blick ist die Szene nicht ungewöhnlich: Durch ein Waldgebiet bei Sonsbeck am Niederrhein spaziert ein Mann mit grauem, welligem Haar. An der Leine begleitet ihn ein großer weißer Hund - oder nicht?

Das geübte Biologenauge würde "Kiba" vielleicht sofort als Wolf identifizieren. Ansonsten sieht man ihm nicht an, dass er ein Wildtier ist. Am anderen Ende der Leine läuft Jos de Bruin. Er hat eine Auffangstation für Wölfe in Sonsbeck. Kiba ist einer von elf Schützlingen, um die sich der Niederländer zusammen mit seiner Frau und seiner Mitarbeiterin Gaby Steegmann kümmert.

Die Tiere findet de Bruin natürlich nicht einfach in den Wäldern am Niederrhein. Kiba, der Polarwolf, kommt zum Beispiel aus einem Tierpark in den Niederlanden, den es mittlerweile nicht mehr gibt. Die Schwester des Muttertiers habe Kiba und seine Geschwister töten wollen. Deshalb hat der 53-Jährige den Nachwuchs kurzerhand bei sich aufgenommen und mit der Flasche großgezogen. Andere Tiere können aus gesundheitlichen Gründen nicht im Wildpark oder Zoo bleiben - etwa, weil sie zeugungsunfähig sind. Auch solche Wölfe rettet der Niederländer.

Es kommt auch vor, dass Privatpersonen Wölfe halten, allerdings nicht artgerecht. Die Tiere stehen in Deutschland unter Schutz. Wenn die Behörden Wölfe aus solchen Haltungen beschlagnahmen, finden sie zum Beispiel in Sonsbeck ein neues Zuhause für sie. Manche Wolfshybriden - also Mischlinge aus Hunden und Wölfen - stammen von überforderten Privatpersonen. Denn wer sich ein Stück Wildnis nach Hause holen will, braucht die nötige Erfahrung im Umgang mit den Tieren. Auch ein 14 Jahre alter Dingo darf seinen Lebensabend in der Auffangstation verbringen.

Unter den Wölfen von Jos de Bruin ist Kiba allerdings ein besonderer. Der Polarwolf ist zwei Jahre alt und weil er von dem 53-Jährigen mit der Hand aufgezogen wurde, ist er auf de Bruin geprägt. Kiba lässt sich von ihm kraulen und spielt mit ihm. Er kann - wie viele Hunde auch - im Auto mitfahren und spielt bei den Seminaren von "Wolves Unlimited" eine wichtige Rolle.

Hier klären der Niederländer und seine Mitarbeiterin über die Tiere auf, über ihr Verhalten, ihren Charakter und das Zusammenleben mit den Menschen. Außerdem ist de Bruin sonntags mit zwei Wolfsgeschwistern im Naturwildpark Granat in Haltern am See. Dass sich Schäfer Sorgen um ihre Tiere machen, wenn hier zunehmend wilde Wölfe gesichtet werden, kann de Bruin verstehen.

Wölfe zu vertreiben, hält er aber nicht für die Lösung. Stattdessen könne man, wie in anderen Ländern in Europa, über Schutzmaßnahmen wie Herdenschutzhunde und Stromzäune reden. Der Wolf sei sehr schreckhaft. Wenn er einmal eine schlechte Erfahrung mit einem Zaun oder einem Hund gemacht hat, lässt er die Pfoten von der Schafsherde. Ansonsten würden Wölfe der Natur sogar guttun: Sie reißen das alte und kranke Wild, halten den Bestand also gesund, erklärt der Niederländer.

Besonders der Mensch muss sich aber keine Sorgen machen, dass er zur Wolfsbeute wird. Das Tier erkennt den Menschen als Gefahr und zeigt sich daher am liebsten gar nicht. Mit einem lauten Rufen oder einer schnellen Armbewegung seien die Tiere leicht zu verjagen, sollte man im Wald einem begegnen.

In den Seminaren der Auffangstation geht es aber auch um den Kontakt mit den Tieren. Deshalb dürfen die Teilnehmer die Wölfe persönlich kennenlernen - allen voran Kiba. Der Polarwolf teilt sich sein Gehege noch mit zwei weiteren Wölfen. Ukki ist ein Europäischer Wolf - also einer von denen, die in der letzten Zeit öfter mal am Niederrhein in freier Wildbahn gesichtet wurden. Timber ist ein sogenannter High-Content-Wolfshund mit über 90 Prozent Wolfsanteil. Er zeigt sich sehr zurückhaltend. Ukki kommt zwar neugierig schnuppern, zieht sich dann aber vorsichtig zurück. Kiba hingegen geht auf die Menschen zu und begrüßt sie mit einem Wolfskuss - also einem intensiven Schlecker quer durchs Gesicht. Einfach streicheln, umarmen und festhalten sollte man allerdings auch die Wölfe in der Auffangstation nicht. Zwar wirkt Kiba wie ein Hund, ist aber ein Wildtier, ebenso wie seine Wolfs-WG-Genossen.

De Bruin hat schon seit 20 Jahren mit den Tieren zu tun, beschäftigt sich intensiv mit ihnen und kennt ihr Verhalten. Ein normaler Hund ist ihm zu weit weg von dem Natürlichen, dem Ursprung. Angefangen hat alles mit einem Saarloos Wolfshund. Jetzt sind es eben die Wölfe. Und damit der Mensch dem Wolf nicht weiter ein Wolf ist - frei nach dem englischen Philosophen Thomas Hobbes - wird der 53-Jährige nicht müde, über die Tiere zu reden.

(see)
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