Lokalsport Der älteste Streitschlichter in Fußballverband

Kreis · Hans-Dieter Wichert ist Konflikt-Berater im Kreis Moers. Der 78-Jährige wirkt als Spielbeobachter, Unparteiischer und Psychologe.

 "Man muss ein Gefühl für Gut und Böse haben", sagt Hans-Dieter Wichert, der als Mediator im Fußballkreis Moers tätig ist.

"Man muss ein Gefühl für Gut und Böse haben", sagt Hans-Dieter Wichert, der als Mediator im Fußballkreis Moers tätig ist.

Foto: Klaus Dieker

In und um Moers ist der Mann mit den weißen Haaren bekannt wie ein bunter Hund. Er hat 18 Jahre lang die Kreis-Spruchkammer geleitet, wurde Kreis-Vorsitzender, ist Geschäftsführer des TuS Baerl. Er sagt: "Heute wird nicht mehr gesprochen, sondern gleich zugeschlagen." Hans-Dieter Wichert ist einer dieser Menschen, die den Spielbetrieb aufrechthalten. Die sich gerade machen für ihren Sport.

Er pfeift bis heute in der Kreisliga. Ihm hat es aber irgendwann nicht mehr ausgereicht, das Fair Play als Schiedsrichter zu verteidigen. Kurz vor seinem 79. Geburtstag ist er zusätzlich Kreis-Konflikt-Berater geworden. Man könnte auch sagen: Da traut sich einer was.

Zum Termin in der Sportschule Wedau erscheint Wichert akkurat gekleidet. Er trägt eine schwarze Anzughose, dazu eine blau gestreifte Krawatte und schwarze Lederschuhe. Früher war der Duisburger Stützpunkt mal eine ziemlich verstaubte Einrichtung. Inzwischen hat die Lobby fast etwas von einem Sporthotel. Wenn Wichert von Spießrutenlaufen und Übergriffen auf Unparteiische erzählt, ist man schnell weit weg von den Lounge-Möbeln - mitten in der rauen Wirklichkeit der Kreisliga.

Wichert weiß, worauf es ankommt. Er sagt: "Man muss ein Gefühl für Gut und Böse haben." Was er alles schon erlebt hat, darüber könnte er ein Buch schreiben. Es kommen auch manchmal anonyme Drohbriefe. Einmal hat ihm der Vater eines Bezirksliga-Torwarts in den Hintern getreten. Er selbst hatte die Linienrichter-Fahne in der Hand und war drauf und dran zurückzuschlagen. Später bei der Sportgerichtsverhandlung war er froh, dass er sich im Zaum gehalten hatte. Damals, die Versuchung ließ ihn nicht los, fragte er den Vorsitzenden: "Was hätten Sie gemacht, wenn ich mich gewehrt hätte?" Antwort: "Ich hätte Sie lebenslang gesperrt."

Wenn die Schiedsrichter es so schwer haben, dann muss doch irgendeiner etwas tun. Das dachte sich im Jahr 2009 ein Kompetenzteam mit je einem Vertreter aus allen 14 Kreisen des Fußballverbands Niederrhein. Wie ernst sie es meinten, sah man schon daran, dass sie bei hohem Schnee ins Sauerland fuhren. Bei dem Gipfeltreffen in Gevelinghausen entstand ein erstes Konzept, um die zunehmende Gewalt in den Griff zu bekommen.

Sie erfanden sogar einen Namen für die Friedensengel des Amateurfußballs: Fußball-Lotse. Erst 2014 wurde daraus der Kreis-Konflikt-Berater. Wichert sagt, dass die Umsetzung auch sechs Jahre später noch in den Kinderschuhen steckt. Der Geist von Gevelinghausen lebt, aber er ist noch nicht in alle Gremien eingefahren. Wichert ist, was nicht verwundert, der älteste der 14 Streitschlichter. Vermutlich könnte er den Job in Wuppertal, Essen oder Duisburg auch gar nicht machen. Dort gibt es die meisten Spielabbrüche im Verband, ist das Klima eine Spur härter. Im Vergleich mit den drei Krisengebieten ist Moers eine echte Wohlfühl-Oase. Doch Ärger gibt es auch hier immer wieder mal. "Drei bis viermal pro Saison", sagt Wichert.

Wenn der Kreis-Konflikt-Berater eingeschaltet wird, ist meistens ein ausländischer Verein involviert. Er sagt, es sei ein großer Fehler gewesen, dass man diese Menschen nicht von Anfang an in die deutschen Clubs integriert habe. Zudem gebe es tatsächlich Schiedsrichter, die voreingenommen in Spiele mit einem ausländischen Team gehen. Dass das zu Konflikten führt, ist nachvollziehbar und macht ihn wütend. Wenn Wichert spricht, hört man in jedem Satz seine Erfahrung. Wenn er erzählt, ist das immer besonnen und vernünftig. Er stellt auch ganz sachlich fest, dass die unteren Klassen nur dank ausländischer Spieler überhaupt noch existieren.

Was aber ist jetzt genau sein Job? Wenn er ein Problemspiel ausgemacht hat, spricht er mit den Vorständen der Vereine. "Ich versuche sie zu bitten, Entscheidungen des Schiedsrichters zu akzeptieren, auch wenn sie falsch sind." Sind die Vorstände nicht in der Lage oder willens, für Entspannung zu sorgen, kontaktiert er vorab die Polizei. Manchmal reicht auch ein einzelner Polizist, der sich für zehn Minuten mit dem Motorrad an den Spielfeldrand stellt, um die Gemüter abzukühlen. Manchmal steht Wichert mutterseelenallein an der Seitenlinie und beobachtet, was auf dem Platz passiert. Sie haben gerade erst wieder darüber gesprochen - beim Workshop in Duisburg im Januar. In Zukunft soll es noch mehr Spielraum geben. In ganz schweren Fällen kann die Spruchkammer die Beteiligten verurteilen, Seminare in Wedau zu besuchen.

Kein Fall gleicht dem anderen. Es kann auch mal sein, dass eine unbeteiligte Mannschaft, die Sicherheit gefährdet. Einmal war ein türkisches Team am letzten Spieltag spielfrei und wollte sicher gehen, dass es zwischen zwei deutschen Mannschaften mit rechten Dingen zugeht. Es kursierten wilde Gerüchte, die Mannschaft hätte mehr als 500 maximal erregte Zuschauer alarmiert, die im Zweifelsfall für einen Spielabbruch sorgen würden. Polizisten sicherten daraufhin den Platz, die Besucher wurden am Eingang gefilzt. Wichert sagt: "Die Wahrheit war, dass 150 Zuschauer kamen und sich hervorragend verhalten haben."

Vor einigen Wochen erst hat sich ein anderer Verein bei ihm gemeldet, bei dem hauptsächlich Spieler aus der Türkei aktiv sind. Der Vorstand bat Wichert darum, ihren Mitgliedern zu erklären, wie man sich auf einem Sportplatz zu benehmen hat. Ein großer Erfolg, die Verständigung klappt. Wichert sagt: "Ich werde kein Türkisch mehr lernen, aber die meisten Türken sprechen gut Deutsch." Der Mediator ist sich aber auch bewusst, dass seine Maßnahmen keine Garantie sind für ein reguläres Spiel. Er sagt: "Wenn Leute durchdrehen, dann kann da der Papst mit dem Papamobil stehen und wird sie nicht aufhalten können."

(RP)
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