Xanten Singen bis zum letzten Atemzug

Xanten · VIERBAUM Es gibt nicht mehr viele wie Mitch Ryder. Typen, die an der gesamten Entwicklung der Rock-Musik mitgestrickt haben. Von Anfang der Sechziger bis heute. Der Mann aus Detroit ist einer dieser Rock'n'Roll-Mohikaner: 65 Jahre alt (er hatte einen Tag vor seinem Konzert im Schwarzen Adler Geburtstag) und seit 48 Jahren im Business. Tausende Konzerte und so viele Alben gehen auf sein Konto, dass man ein Regal im Plattenschrank allein mit seinen Werken füllen kann. Alter hin, geschundene Seele her, Millionenerfolge hin, Tiefpunkte her – Mitch Ryder ist präsent, sein kreativer Output beachtlich. Ein Rock-Tier wie ihn muss man irgendwann von der Bühne tragen. Denn er tut bis zum letzten Atemzug das, was er am besten kann: singen.

Kleine Clubs statt große Hallen

Heute sind es die kleinen Clubs, nicht mehr die großen Hallen. Mal 150, mal 300 Zuschauer. Aber immer garantiert er eine Show am Limit. Der "Adler" war ausverkauft. Die Fans waren nach zweieinhalb Stunden restlos begeistert. Und viele, die das Rock-Urgestein schon mehrfach erlebt haben, waren sicher: So gut war er noch nie. Alles easy, Ryder!

Schon diese Stimme! William Levise jr. (sein bürgerlicher Name) singt, als gurgele er vor dem Frühstück mit Rasierklingen. Und wenn er in der bedrückenden Dreivierteltakt-Ballade "Freezin' in Hell" seinen Schmerzschrei ausstößt, dann stellt er Joe Cocker und dessen "With a little help..." in den Schatten. Ryder kredenzt ein wundersames Programm an diesem Abend. Nur drei Songs vom neuen Album hat er dabei. Mit Sixties-Rock'n'Roll bringt er das Publikum in Wallung. Der "Chicken Tale Dance" etwa war damals in den USA eine komische Modeerscheinung. Aber sein Spezialgebiet sind die großen, schweren Stücke der Siebziger. Die sind wie sein Leben. Erst laut, dann leise, erst auf, dann ab. "Ain't nobody white" gehört zum Inventar, ebenso als Zugabe das lässige "Soul Kitchen" von den Doors. Es ist wie für Ryder geschaffen.

An seine Zusammenarbeit mit John Mellencamp (1983) erinnert er mit dem Coversong "When you were mine". Was bei Prince im Original wie ein Diät-Salat klingt, macht Ryder zum deftigen Grillteller. Mit dem selten gespielten Soul-Kracher "Liberty" erinnert er an seine Zusammenarbeit mit "Booker T. & The MG's". Das "War"-Thema mit den schönen zweistimmigen Gitarren-Passagen darf nicht fehlen, und mit "The Porch" vom 2004-er Album "A dark caucasian blue" outet sich der Mann mit Hut und Sonnenbrille als Musik-Ethnologe mit großem Herzen für den archaischen Blues aus dem Mississippi-Delta. Schließlich impft er dem leichtfüßigen Klassiker "Take me to the river" so viel Blei ein, dass man eine durchs Flußbett ratternde Dampfwalze vor Augen hat.

Enorme Ausstrahlung

Ryder steht beim Singen nahezu regungslos da. Aber seine Austrahlung ist enorm. Getragen wird seine Stimme von einer der wenigen deutschen Bands, die den fetten Siebziger-Jahre-Sound kultiviert haben: "Engerling" aus Berlin, seit 16 Jahren weitaus mehr als eine Begleitband für Konzerte in Europa. "Wir sind ein Team", sagt Mitch Ryder lobend über Boddi Bodag (Keyboards und Bluesharp), Manne Pokrandt (Bass), Hannes Schulze (Drums) sowie Heiner Witte und Pitti Piatkowski (Gitarre). Eine Truppe, die es in sich hat. Und ein Konzert, das noch lange nicht vergessen sein wird.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort