Dom-Rundgang mit Jean-Pierre Van Aerde Schätze mit vielen interessanten Details

Inmitten des mächtigen und imposanten Xantener Doms verliert man schnell den Blick für Details, diese Kleinigkeiten, die doch so viel über die Geschichte der Menschen und den Glauben von vor vielen Jahrhunderten erzählen können. Es sei denn, man hat einen Führer und ausgewiesenen Experten wie Jean-Pierre Van Aerde dabei. Der Belgier könnte stundenlang über dieses Bauwerk inmitten der Xantener Innenstadt erzählen.

 Der Xantener Dom hat richtig was zu bieten: Bei seinen Führungen macht Jean-Pierre Van Aerde die Besucher auf die Schön- und Besonderheiten des Doms aufmerksam.

Der Xantener Dom hat richtig was zu bieten: Bei seinen Führungen macht Jean-Pierre Van Aerde die Besucher auf die Schön- und Besonderheiten des Doms aufmerksam.

Foto: Armin Fischer

Zum Beispiel von den Kanonikern, die gegenüber dem Haupteingang an der Südseite in für damalige Verhältnisse fürstlichen Häusern wohnten. Von hier aus hatten sie es näher zum Dom, so dass das Portal kurzerhand von seiner ursprünglichen Lage an der Westseite kurzerhand hierher verlegt wurde. Dann standen sie auf Stufen, verteilten Brot an die Armen und Bedürftigen und baten innerlich, durch diese gute Tat weiter zu ihrem Seelenfrieden beigetragen zu haben. Vielleicht erhofften sich diese Stiftsherren Ähnliches auch von ihrer finanziellen Unterstützung beim Bau und der Ausstattung dieses Xantener Wahrzeichens mit seinen zahlreichen Schätzen vor allem von kunsthistorischem Wert.

 Auf dem Fenster mit dem Heiligen Antonius gibt es links in der Ecke betendes Schweinchen.

Auf dem Fenster mit dem Heiligen Antonius gibt es links in der Ecke betendes Schweinchen.

Foto: Armin Fischer (arfi)

Es ist dem Zufall zu verdanken, dass der Dom überhaupt noch heute so ist, wie er ist. Denn während der Zeiten des Bildersturms wurden viele Kirchen am Niederrhein geplündert, Steinbilder vernichtet. "Die Franzosen brauchten damals Kalk und Zement, das sie sich aus den Kirchen holten", erläutert der belgische Fremdenführer. "Überall wurden Steinbilder vernichtet. Xanten hingegen hat großes Glück gehabt."

 Wertvolle Altarbilder haben den Bildersturm und die Kriege überstanden.

Wertvolle Altarbilder haben den Bildersturm und die Kriege überstanden.

Foto: Armin Fischer

Der Bruder des Kölner Erzbischofs, Friedrich von Hochstaden, legte vor 750 Jahren den Grundstein für den Dom an der Stelle, an dem zuvor eine dreischiffige Kapelle aus der karolingischen Zeit des 9. Jahrhunderts gestanden hatte. Der Bau machte rasch Fortschritte, Geld war vorhanden. Im Gegensatz zu Köln, wo es immer wieder an Geld mangelte und der Bau des dortigen Doms 600 Jahre dauerte. Für die prächtige Ausstattung engagierte man die besten Künstler und Handwerker des Rheinlands. Baumaterial war sowieso massenweise vorhanden, und dies in einer Region, deren Boden hauptsächlich aus Kies und Sand besteht und Steine Mangelware waren. Die hatten schon die alten Römer über 1000 Jahre zuvor in mühevoller Arbeit herbeigeschafft. Ihre alte Feste diente nun, nachdem vom römischen Weltimperium nicht mehr viel übrig geblieben war, als Steinbruch. "Rund 70 Prozent der hier verbauten Steine kamen von dort", sagt Jean-Pierre Van Aerde. Trotzdem dauerte der Bau immerhin noch 250 Jahre. "Als schließlich größte Kirche zwischen Köln und dem Meer wird sie, anders als der Kölner Dom, noch im ausgehenden Mittelalter in ihrer heutigen Form vollendet", schreibt der Dombauverein.

 Der Viktorschrein hat seinen Platz im Hochaltar. Am 13. Oktober wird er zur Prozession heruntergeholt.

Der Viktorschrein hat seinen Platz im Hochaltar. Am 13. Oktober wird er zur Prozession heruntergeholt.

Foto: Armin Fischer (arfi)

Der Touristenführer geht durch den Kreuzgang zur Ostseite des Innenhofes. Auf dem Weg stößt der Besucher immer wieder auf eingemauerte Zeugnisse vergangener Jahrhunderte. Wie über der Tür zum Stiftsmuseum, wo eine Platte mit einem steinernen Löwen eingelassen ist, versehen mit einem eingemeißelten Hinweis auf die XXII. Römische Legion, die hier einst stationiert war.

 Das Chorgestühl mit den kunstfertig geschnitzten Figuren sind etwas ganz Besonderes.

Das Chorgestühl mit den kunstfertig geschnitzten Figuren sind etwas ganz Besonderes.

Foto: Armin Fischer

Bei der Planung des Doms spielten der Kompass und die Orientierung nach den Himmelsrichtungen eine große Rolle. Alles hatte seinen eigenen Sinn. Die Nordseite etwa, erläutert Jean-Pierre Van Aerde weiter, sei auf das Alte Testament ausgerichtet. "Das ist die kalte Seite. Hier standen früher die Frauen." Die Südseite, an schönen Tagen von der Sonne erwärmt, war lange Zeit den Männern vorbehalten.

 Der Viktor-Schrein aus vergoldetem Silber mit den Gebeinen des Patrons Viktor ist der größte Schatz im Xantener Dom. Er stammt aus dem Jahr 1150.

Der Viktor-Schrein aus vergoldetem Silber mit den Gebeinen des Patrons Viktor ist der größte Schatz im Xantener Dom. Er stammt aus dem Jahr 1150.

Foto: Armin Fischer

Das Kirchenschiff selbst dominiert der Altar und dahinter der Lettner, ein durch dunkle Holzwände abgetrennter eigener Raum, im 14. Jahrhundert errichtet. Damals wollten die Stiftsherren nicht auf einer Stufe mit dem Volk stehen, und sei es nur visuell, seelisch und körperlich. Die gemeinen Männer, Frauen und Kinder standen davor und blickten zum Altar nach Osten hin, also dorthin, wo die Sonne aufging. Von hier aus konnten sie nur hören, was die Kanoniker hinter der Wand des Lettners sangen und predigten. Vielleicht war es auch ganz gut, dass die Stiftsherren optisch so abgeschieden am Gottesdienst teilnahmen. Ansonsten hätten sie vermutlich sehen können, wie die Kanoniker aus welchem Grund auch immer das wertvolle Interieur malträtierten. Im Holz finden sich zahlreiche mit dem Messer eingeritzte Gedanken und Sprüche.

Nach der weitgehenden Zerstörung des Doms im Zweiten Weltkrieg wurde der Lettner wieder aufgebaut, erlaubt aber nun den Blick in sein Inneres, auf die großen Wandteppiche und das Chorgestühl für die Reichen. Die langen Bänke mit damals 58 fest zugewiesenen Sitzplätzen und den kunstfertig geschnitzten Fratzen, Teufeln und Affen, die das Böse abwehren sollten, gehören zu den ältesten ihrer Art in Deutschland und überdauerten, weil rechtzeitig ausgelagert, den Bombenangriff von 1945 ebenso unbeschadet wie die Hochaltäre.

Im Lettner selbst hängen hinter dem Gestühl die von den Wohlhabenden gesponserten Wandteppiche mit Inschriften in niederländischer Sprache, ein Hinweis darauf, dass nur wenige Kilometer entfernt hinter dem Sonsbecker Berg die Niederlande begannen. Jean-Pierre Van Aerde: "Sie waren Luxus, um zu zeigen, was man sich alles leisten konnte." Der Belgier geht weiter, vorbei am prächtigen Hochaltar, dessen Flügeltüren wegen ihres Gewichts als einzige in der Fastenzeit nicht geschlossen sind, zurück zur Nordseite und vorbei an den Säulen, in denen Apostel in Stein verewigt sind. Vor einem hohen Fenster mit dem Heiligen Antonius bleibt er stehen und macht auf ein (mit-)betendes Schweinchen unten in der Ecke aufmerksam. Es weist darauf hin, dass der Heilige Antonius auch der Schutzpatron der Haustiere ist. Dann dreht sich Van Aerde um 180 Grad und steht vor dem Dionysius-Altar. Den bei Paris geköpften Heiligen, berichtet er, wollte der Künstler auf einer Höhe mit den anderen drei Figuren darstellen. Was also tun? Den Kopf in den Händen tragend, stellte der Maler Dionysius kurzerhand auf ein Gestell.

So vergehen die 90 Minuten Rundgang mit dem belgischen Führer, seit über 40 Jahren wohnhaft in Xanten, wie im Flug. Unterwegs hat er noch viel mehr zu erzählen, zum Beispiel von den Reliquien des Heiligen Viktor, der dem Xantener Dom und der Katholischen Kirchengemeinde seinen Namen gegeben hat. Oder von der Krypta, die zu besichtigen kein Besucher versäumen sollte. Sie ist die Urzelle des Xantener Domes mit dem schlichten Altar über dem römischen Doppelgrab, das 1933 von Walter Bader entdeckt wurde. Die Krypta mahnt zugleich an die Schrecken jüngerer Jahrzehnte und bezieht niederrheinische Opfer des Naziterrors in das Märtyrergedenken mit ein. Die Erinnerung an die seliggesprochenen Karl Leisner, Nikolaus Groß und Kardinal Galen, an Gerhard Storm, Heinz Bello, Johannes Maria Verweyen und Wilhelm Frede steht für alle Menschen, die in den 30er und 40er Jahren verfolgt und getötet wurden.

Jean-Pierre Van Aerde beendet seine Führung dort, wo er sie begonnen hatte, im Kreuzgang. Natürlich nicht, ohne zum Schluss noch eine Geschichte zu erzählen. In diesen Gang zogen sich die Kanoniker zurück, um zu meditieren oder miteinander zu sprechen. Aber von hier aus führten die Türen auch in die Weinstube und die Kellerei, also ins Weltliche.

(RP)
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