Transport von Radioteleskop für Weltraumforschung Roadtrip der Giganten

Xanten/Wesel/Duisburg · Mit einem Sondertransport sind Mittwoch- und Donnerstagnacht die größten Bauteile eines Radioteleskops für die Weltraumforschung von Xanten zum Hafen in Voerde gefahren worden. Ein logistischer Kraftakt, für den zahlreiche Straßensperrungen notwendig waren. Von Profis, Dränglern und einer knappen Kiste.

Xanten-Wesel-Voerde: Lkw bringt Radioteleskop-Bauteile  zum Hafen
32 Bilder

Lkw bringt Radioteleskop-Bauteile von Xanten zum Hafen

32 Bilder
Foto: Armin Fischer

Um Claus Joostens Polizeiwagen hat sich ein kleiner Pulk Menschen versammelt. Fast erscheint er wie ein Schwarm Glühwürmchen. Grellgelbe Overalls und orangereflektierende Westen leuchten durch die Nacht. Joosten koordiniert den Schwarm, gibt letzte Instruktionen für den Sondertransport von Xanten zum Hafen Emmelsum in Voerde. „Sobald wir aus Birten raus sind, will ich an der Grünthal-Kreuzung zwei Wagen, um dort schon mal alles abzusperren“, sagt der Polizist. Anschließend werde die komplette B8 Abschnitt für Abschnitt gesperrt. „Wenn die Weseler Kreuzung passiert ist, sind wir schon fast zu Hause“, meint Joosten. Die Stimmung ist gelöst. Es wird gescherzt und gelacht. Sechs Einsatzkräfte gehören zum Trupp, knapp ein Dutzend Verkehrstechniker, dazu die beiden Fahrer der Schwerguttransportfirma Hövelmann und Böckenholt aus Dinslaken. Alles Profis, alle erfahren. „Schwerguttransporte machen wir jede Nacht, diesmal sind die Dimensionen eben noch etwas größer“, sagt Joosten.

Tatsächlich sind die Dimensionen beachtlich, denn die Überfahrt soll die beiden größten Bauteile eines Radioteleskops zum Hafen bringen. Jedes davon mehr als neun Meter lang, sechs Meter hoch und über sechs breit. Die Schwerguttransporter brauchen dafür die komplette Fahrbahnbreite. Gegenverkehr wäre fatal. Auf der rund 20 Kilometer langen Strecke werden daher nach und nach sämtliche Straßen und Kreuzungen gesperrt. Teilweise müssen Ampeln gedreht, Schilder abmontiert und Bäume gestutzt werden. Zuvor wurde ein 3D-Scan der Strecke erstellt, um zu ermitteln, ob die Lkw überhaupt überall durchpassen. Tun sie. Wenn auch an manchen Stellen nur knapp.

„In Büderich wird’s eng“, weiß Lutz Lietzmann, der den ersten Schwerguttransporter im Konvoi fährt. Er kennt das Streckenprotokoll gut. „130 Seiten, in denen jede Biegung, jeder Huckel, jedes herunterhängende Kabel dokumentiert ist“, sagt er. Doch vor allem kann sich Lietzmann auf seine Erfahrung verlassen. Seit fast 40 Jahren fährt er Schwerlasttransporte. Nervös ist er ebenso wenig wie sein Kollege Hans-Peter Witt. Auch er ein erfahrener Fahrer, seit zwölf Jahren bei Hövelmann und Böckenholt dabei. Für beide ist es dennoch die bisher größte Fracht, die sie fahren werden. „Respekt hat man immer vor einem Job, und das Ding ist ja auch sehr empfindlich“, sagt Witt.

Das „Ding“ ist ein einzigartiges Radioteleskop, das von dem Unternehmen Vertex aus Duisburg entwickelt und gebaut worden ist. Es soll in der südamerikanischen Atacama-Wüste Astronomen und Physikern dabei helfen, nach dem Ursprung des Universums zu forschen. Die Firma Wessel aus Xanten die Stahlbauarbeiten für den insgesamt rund 250-Tonnen-Koloss geliefert. Nach einem Testlauf Ende August wurde das Radioteleskop zerlegt und geht nun in 14 Paketen auf Reisen.

Die beiden größten Elemente, die Gabelarme des Teleskops, werden am Mittwochabend zum Hafen Voerde gefahren. Am Donnerstag folgt auf drei Lkw die Teleskop-Traverse. Am Montag, 7. November, steht noch der Transport des Stützkegels an. Läuft alles nach Plan, legt tags darauf das Schiff in Voerde nach Antwerpen ab. Und von dort aus geht’s Ende November Richtung Chile.

Ein langer Weg also. Die Fahrt beginnt in Birten. Die Glühwürmchen schwärmen aus, steigen in ihre Wagen und starten jetzt die richtige Show. Blaulichter gehen an, leuchtende Verkehrsschilder klappen an den Begleitwagen hoch. Schwertransport ist dort in roten Lettern zu lesen. Andere Tafeln verweisen auf ein absolutes Überholverbot. Alles blinkt, während sich der Konvoi in Bewegung setzt – mit Geschwindigkeiten zwischen Schritttempo und 30 Stundenkilometern in der Spitze.

Nach wenigen Minuten ist alles wieder dunkel im Gewerbegebiet. Am Gehweg stehen noch Vertex-Geschäftsführer Peter Fasel und Wessel-Geschäftsführer Patrick Lensing. Auch sie wollen sich das Schauspiel nicht entgehen lassen. Auch sie sind ganz entspannt, wie beide versichern. „Wir haben bei dem Projekt schon so viel erlebt, der Transport ist ,nur‘ die nächste Herausforderung, und daran sind echte Profis beteiligt“, sagt Fasel. 2017 haben die Arbeiten an dem Radioteleskop namens Solat begonnen. In dieser Zeit kamen die Corona-Pandemie und Lieferschwierigkeiten dazwischen. Und natürlich wären da noch die Herausforderungen, die jedes Pionierprojekt mit sich bringt. Das Solat soll durch eine neue Kameratechnik den Himmel zehnmal schneller abbilden als alle bisherigen Teleskope weltweit. Drei Jahre Entwicklung stecken in dem Projekt, dazu rund 23.000 Fertigungsstunden.

Im Vergleich dazu erscheint die mehrstündige Überfahrt zum Hafen nach Voerde wie ein Wimpernschlag. Doch auch dabei ist Hochleistung gefordert. Bereits kurz nach der Kreuzung in Birten kommt der Konvoi zum Stillstand. Die Xantener Straße ist von großen Bäumen gesäumt. Einige Äste hängen für den sechs Meter hohen Transport zu tief herunter. Kein Thema für das Begleitteam. „Einige fingerdicke Ästchen müssen ab“, erklärt Ralf Schulze, der per Funk ständig Kontakt zu den vorderen Wagen hält. Er selbst sitzt mit seinem Kollegen Hans Ridder im letzten Fahrzeug. Die beiden haben Schilderdienst. Das heißt, an jedem Eck, das der Konvoi passiert hat, stellen sie die zuvor abmontierten Verkehrsschilder oder beiseitegeschafften Pöller wieder auf. Die beiden sind ständig auf der Straße und schleppen und schrauben. Alles in Akkord.

Und doch bildet sich hinter ihnen nicht selten ein Rückstau. Zum Beispiel vor der Abbiegung nach Büderich. Dort muss nämlich die Ampel wieder in Position gebracht werden. Der Ampelbogen wurde zuvor umgedreht, damit die Transporter durchpassen. Mit einer speziellen Stange lenkt Schulze den Bogen wieder an seinen ursprünglichen Standort. Ridder dreht mithilfe eines Hubwagens die Schrauben fest. Unter Druck setzen lassen sie sich nicht. „Wir machen das ja, damit der Verkehr wieder fließt.“

Manchen auf der Straße geht’s trotzdem nicht schnell genug. Wenige Kilometer weiter, an der großen Kreuzung in Wesel, versuchen sich ein paar Pkw-Fahrer vor den Konvoi zu drängeln. Die Transporter müssen dort rechts abbiegen, für einen ausreichend großen Wendekreis aber auf die linke Spur ausweichen. „Englisch anfahren“, nennen das die Jungs vom Schwergutbegleitdienst. Doch einige Ungeduldige versuchen dabei, über die rechte Spur vorbeizuziehen. Dominik Karlmeier und Thorsten Zimmermann stellen sich mit ihren Fahrzeugen quer vor sie, damit nichts passiert. Während der Fahrt hätten sie einige Fahrzeuge abbremsen müssen, die über Schleichwege auf die abgesperrten Straßen fahren wollten, erzählen sie später. „Viele unterschätzen die Breite der Transporter. Wenn sie im Gegenverkehr an der Ladung hängen bleiben, kann das richtig böse ausgehen“, sagt Karlmeier.

Knapp wird’s am Mittwoch nur an einer Leitplanke auf der Rheinbrücke. Während im ersten Fahrzeug die Fracht dank eines integrierten Hydrauliksystems hoch genug angehoben werden kann, um die Bauteile darüber hinweg zu transportieren, muss Fahrer Hans-Peter Witt im zweiten Koloss schwitzen. Sein Lkw-Hintern kommt nur 20 Zentimeter hoch. Zu wenig für die Leitplanke. Also geht’s in Millimeterarbeit hindurch, bestenfalls eine Hand passt zwischen Fracht und Beton. Da ist Teamwork gefragt. Alle Begleiter lotsen an der Engstelle mit, achten darauf, dass die sensible Fracht nirgendwo anstößt. Selbst Vertex-Geschäftsführer Fasel wird kurz nervös.

 Am Mittwoch und Donnerstag wurden die beiden größten Bauteile des Radioteleskops der Firma Vertex aus Duisburg zum Hafen nach Voerde gefahren.

Am Mittwoch und Donnerstag wurden die beiden größten Bauteile des Radioteleskops der Firma Vertex aus Duisburg zum Hafen nach Voerde gefahren.

Foto: Armin Fischer (arfi)
 Schwertransport Radio Teleskop zum Hafen Emmsleum in Voerde 2.11.2022

Schwertransport Radio Teleskop zum Hafen Emmsleum in Voerde 2.11.2022

Foto: Armin Fischer
Fahrer Lutz Lietzmann aus Minden hat fast 40 Jahre Erfahrung.

Fahrer Lutz Lietzmann aus Minden hat fast 40 Jahre Erfahrung.

Foto: Armin Fischer (arfi)
 Ein Millionen-Transport vor beeindruckender Kulisse: Auf der Rheinbrücke fuhr der Konvoi auf der linken Spur Richtung Wesel. Die Unterführung auf der rechten Straßenseite wäre zu eng gewesen.

Ein Millionen-Transport vor beeindruckender Kulisse: Auf der Rheinbrücke fuhr der Konvoi auf der linken Spur Richtung Wesel. Die Unterführung auf der rechten Straßenseite wäre zu eng gewesen.

Foto: Armin Fischer (arfi)
Transport von Birten zum Hafen nach Voerde

Transport von Birten zum Hafen nach Voerde

Foto: Wyglenda
Transport von Birten zum Hafen nach Voerde

Transport von Birten zum Hafen nach Voerde

Foto: Wyglenda
 Transport von Birten zum Hafen nach Voerde

Transport von Birten zum Hafen nach Voerde

Foto: Wyglenda
Auf der Fahrt von Xanten nach Voerde mussten die beiden Schwerguttransporter mit ihrer mehr als sechs Meter breiten Fracht so manche Engstelle passieren.

Auf der Fahrt von Xanten nach Voerde mussten die beiden Schwerguttransporter mit ihrer mehr als sechs Meter breiten Fracht so manche Engstelle passieren.

Foto: Wyglenda
Einige Ampeln mussten gedreht werden, damit die Lkw durchkamen.

Einige Ampeln mussten gedreht werden, damit die Lkw durchkamen.

Foto: Wyglenda
Auf der Rheinbrücke war es an einer Leitplanke besonders knifflig. Der Transporter hatte links und rechts nur wenige Zentimeter Platz.

Auf der Rheinbrücke war es an einer Leitplanke besonders knifflig. Der Transporter hatte links und rechts nur wenige Zentimeter Platz.

Foto: Wyglenda
Transport von Birten zum Hafen nach Voerde

Transport von Birten zum Hafen nach Voerde

Foto: Wyglenda
Das Radioteleskop wurde Ende August für einen Testlauf auf dem Betriebsgelände von Wessel aufgebaut.

Das Radioteleskop wurde Ende August für einen Testlauf auf dem Betriebsgelände von Wessel aufgebaut.

Foto: Ostermann, Olaf (oo)

Doch den Profis glückt auch dieses Meisterstück. Es gibt keine Zwischenfälle. Die Fahrten am Mittwoch und Donnerstag verlaufen gut. „Sehr gut sogar“, wie Fahrer Lietzmann nach der Ankunft kurz vor Mitternacht sagt. Mit rund viereinhalb Stunden hatte er gerechnet. Nach nicht einmal dreieinhalb Stunden sind die Kolosse am Hafen. Am Donnerstag sogar noch eine Stunde früher. Das lässt hoffen für den Transport in Chile. Nur stehen dort 370 Kilometer statt 20 an.

(beaw)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort