Erste Ausstellung seit Corona Rebellion in Xantens Kunstgalerie

Xanten · In der ersten Kunstausstellung im Drei-Giebel-Haus seit dem Corona-Ausbruch erfindet sich der französische Künstler Etienne Szabo neu. In „Illumination: Anatomie der Bilder“ geht es um Zersetzung des Bekannten, um Auseinandersetzung mit der Jugend, um alte Meister und neue Freunde.

Künstler Etienne Szabo vor einem Teil seiner Installation „Lachen, Liebe, Nächte“.

Künstler Etienne Szabo vor einem Teil seiner Installation „Lachen, Liebe, Nächte“.

Foto: Armin Fischer (arfi)

Er ist ein Star der französischen Lyrik. Mit gerade mal 17 Jahren veröffentlichte Arthur Rimbaud Gedichte, die sämtliche Bohemiens im späten 19. Jahrhundert faszinierten. Er galt als Wunderkind, als junger Rebell. Talentiert, kompromisslos, stürmisch und frech. Sein junges Ungestüm inspiriert noch heute. Vor allem des Dichters Werk „Illumination“ beflügelte den Kölner Künstler mit französischen Wurzeln, Etienne Szabo, zu Höchstleistungen. Seit Anfang des Jahres arbeitete er unablässig an neuen Collagen, Objekten, Installationen. Getrieben von Rimbauds Sehnsucht nach Entgrenzung, nach Neuordnung des Lebens in der Kunst räumte auch Etienne Szabo mit seinem bisherigen Schaffenswerk auf. Er zerlegte alte Arbeiten, dachte und formierte sie neu. Er befasste sich mit seiner Kindheit in Frankreich, seiner Jugend auf Mallorca, verwendete Vertrautes und Geliebtes, um all dem eine neue, eine fremde Bestimmung zu geben. Entstanden ist eine spannende Sammlung, die unter dem Titel „Illuminationen: Anatomie der Bilder“ ab Sonntag, 10. Juli, in der Xantener Galerie im Drei-Giebel-Haus erstmals zu sehen sein wird.

Wie Skelette wirken Szabos frühere Zeichnungen, die zu der Installation „Lachen, Liebe, Nächte“ zusammengesetzt wurden. Die dargestellten Personen sind Freunde und Bekannte des Künstlers, die er vor allem in den frühen Jahren seiner Jahrzehnte langen Karriere gezeichnet hatte. Eine halbe Ewigkeit schlummerten die Zeichnungen in den Schubladen des Kölner Ateliers. Dann, Anfang des Jahres, hatte Szabo die Eingebung (franz.: Illumination), sie auszuschneiden und in einen neuen Kontext zu stellen.

Etienne Szabo verwendete auch ungewöhnliche Bildträger. Hier bilden getrocknete Blätter eines Geweihfarns die Leinwand.

Etienne Szabo verwendete auch ungewöhnliche Bildträger. Hier bilden getrocknete Blätter eines Geweihfarns die Leinwand.

Foto: Armin Fischer (arfi)

Während viele andere Künstler nostalgisch an ihren Jugendwerken hängen, entgrenzte Szabo sich davon, ebenso von den Entstehungsmomenten zusammen mit seinen Freunden. „Bei einigen Zeichnungen fiel es mir nicht leicht, zur Schere zu greifen“, sagt Szabo. Zunächst habe er seine Lieblingsstücke zurückhalten wollen. „Doch dann wurde mir klar, dass man komplett loslassen muss, um Neues zu wagen.“ Kompromisslos – so wie einst Rimbaud. Der Prozess obsiegt vor dem Erhalt. „Das war sehr befreiend“, sagt der Künstler.

Und doch ist die Installation ein liebevoller Umgang mit dem Vergangenen, das nicht zerstört, sondern transformiert wird. Ausgeschnitten, bemalt und beklebt erfahren die früheren Zeichnungen nun als Objekte ein neues Dasein mit neuer Präsenz in der Öffentlichkeit, statt in der Schublade. Der Freundeskreis wird im Ausstellungsraum zueinander gesetzt.

In einer wiederum spontanen Eingebung beschlossen Szabo und Galerie-Leiter Michael Blaszczyk, dies auf verschiedenen Ebenen zu tun: Zwei Köpfe hängen im Raum, sind dreidimensional von allen Seiten begehbar. Im Licht der Spots werfen die Objekte einen Schatten auf die vertikale Wand, wo sich die Köpfe zu weiteren der insgesamt zwei Dutzend Figuren fügen. Folgt man der Reihe, kommt man bei einer Figur an, die fast von der Wand zu blättern scheint. Unter ihr liegen noch zahlreiche weitere transformierte Zeichnungen auf dem Boden – der vertikalen Ebene –, als müssten sie noch aufgehängt werden. Der Prozess ist noch nicht abgeschlossen.

Die Vielfalt der Bildentstehung feiert Szabo zudem mit ungewöhnlichen Bildträgern. In seinem Werk „Orpheus“ nutzt er als Leinwand für zahlreiche Vögel Blätter des Gummibaums, der auf Mallorca, wo der Kölner sieben Jahre lang lebte, gewaltige Höhen erreicht. In der Mitte ist ein junger Mann zu sehen: Orpheus — in der Mythologie ein so begnadeter Dichter und Sänger, dass sich selbst die Tier- und Pflanzenwelt zu ihm neigte. In einem anderen Werk verwendet Szabo die getrockneten Blätter eines Geweihfarns, um Landschaftsbilder von den Herkunftsregionen der tropischen Pflanze abzubilden. „Ich habe den Geweihfarn lange gehegt. Beim Umpflanzen ist er mir aber kaputtgegangen“, erzählt Szabo. So findet auch die Pflanze eine neue Bestimmung in der Kunst.

Die Ausstellung „Illuminationen: Anatomie der Bilder“ ist jedoch auch für die Galerie selbst ein Neubeginn. Mehr als zwei Jahre lang herrschte dort wegen der Corona-Pandemie Stillstand. „Als kleiner Stadtkulturverein war es uns nicht möglich, ein entsprechendes Schutzkonzept zu erstellen, um den Betrieb aufrechtzuerhalten“, sagt Blaszczyk. Die letzte Ausstellung „Kunstbügel“ konnte gar erst mit mehreren Monaten Verspätung abgebaut werden, weil die Lockdowns die angesetzten Termine immer wieder verhinderten.

Nun soll in die Galerie neues Leben einkehren. Mit neuen Freunden. In Anlehnung an Szabos Kindheit in Frankreich und speziell an seine häufigen Ausflüge nach Saintes wird auch der befreundete Gastkünstler Philippe Stimaridis einige Landschaftsfotografien aus der Partnerstadt Xantens ausstellen. 

(beaw)
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