Xanten Ein zweites Leben

Xanten · Der Xantener Domorganist Wolfgang Schwering wurde am Pfingstsamstag bei einem Flugzeugabsturz lebensgefährlich verletzt. Er überlebte nach wochenlangem Kampf. Heute sitzt er wieder an der Orgel.

30. Mai 2009 — Pfingstsamstag, ein wunderschöner Sonnentag. Wie geschaffen für einen Rundflug mit einem Segelflugzeug. Für Wolfgang Schwering wird der Ausflug zu einem Horrortrip.

Beim Absturz des Seglers wird der Organist am Xantener Viktor-Dom schwerst verletzt, schwebt in Lebengefahr. Schwering überlebt. Zu Weihnachten wird ihn seine Gemeinde wieder an der Orgel erleben. Ein zweites, ein geschenktes Leben.

Nein, an den Flug selbst hat der 56-Jährige überhaupt keine Erinnerung. Da hat das Bewusstsein — wie vielmals in solch schweren Fällen — eine Sperre eingebaut. "Ich kann mich nur noch erinnern, dass ich nach Kamp-Lintfort gefahren bin, weil ich einen Fluggutschein einlösen wollte", sagt Schwering. Den hatte er zum Geburtstag im Januar geschenkt bekommen. Die letzte Erinnerung: Ein Gespräch mit dem Piloten. Und aus!

Der Sturz in einen Garten

Was dann kam, weiß Schwering nur aus Erzählungen. Von seiner Familie. Viel später, als er von Duisburg-Fahrn nach Bad Godesberg verlegt worden war und "zumindest ein wenig wieder aufwachte".

Hinter dem Piloten hat er gesessen, beim Landeanflug streifte der Segler einen Baum, stürzte in einen Garten, die Holzstange einer Pergola durchbohrte die Kanzel, traf Wolfgang Schwering schwer am Kopf.

Von dem langem Klinikaufenthalt will Schwering nicht reden, nicht von den Frakturen am ganzen Kopf, von Drähten, Platten, Infusionen. "Ich habe mich nur elend gefühlt und erst viel später über die Zukunft nachgedacht." Was wird aus dem Beruf? Kann ich mich bewegen? Wie ist das mit nur einem Auge beim Lesen von Noten?

Denn ohne Musik kann sich der gebürtige Oberhausen-Osterfelder ein Leben gar nicht vorstellen. Der Blockflöte in der Kindheit folgte das Klavier. Die Eltern (der Vater war Kokereiarbeiter) kauften ein altes Instrument zum Üben. Schon bald setzte ihn sein Lehrer an die Orgel. Und nicht lange danach vertrat er den Organisten, begleitete den Kirchenchor.

Das Studium des Organisten und Chorleiters an der Folkwangschule in Essen-Werden war folgerichtig. Nebenher arbeitete Schwering in seiner Heimat als Organist. Nach dem Kantorenexamen folgte die Meisterklasse. Mit Werken von Olivier Messiaen heimste Wolfgang Schwering ebenso Preise ein wie bei reinen Kirchenmusiker-Wettbewerben. Und als 1991 die Ausschreibung für die Stelle in Xanten kam, griff Schwering sofort zu, bewarb sich, stellte sich bei einer Chorprobe vor — und bekam die Stelle.

Klavierspielen ist wie sprechen

Ein Traum — weil der Dom auch und gerade für einen Musiker einen wunderbaren Raum bietet, groß, bedeutend und mit einer guten Akustik. Dazu die Möglichkeit, mit Orchestern, dem Chor und der Choralschola zu arbeiten, das ist sein Leben, in das Schwering wieder eintreten will.

Schritt für Schritt. Mit ärztlicher Unterstützung, mit der seiner Familie. Die ersten Übungsstunden machte er bereits in der Klinik. Später saß er dort schon jeden Tag eine Stunde pro Tag am Klavier. Ohne Musik geht es nicht. Schwering: "Spielen, das ist für mich wie sprechen. Und dass ich das wieder kann, dafür bin ich unendlich dankbar." Heute Abend, in der Christmette, sitzt Schwering wieder an der Orgel.

(RP)
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