Zum Sonntag "Du sollst nicht töten"

Xanten · Cybermobbing", "shit-storms", virtuelle Schimpftiraden, übelste Beleidigungen, Beschimpfungen, Drohungen jeder Art - mich erschreckt, wie beinahe alltäglich diese Phänomene schon geworden sind. Vor dem mittelalterlichen Pranger schaudert es uns, im Netz heute aber ist er so hoffähig wie nie - da kann man drauf hauen, fertig machen, öffentlich zugrunde richten, ohne dass jemand einschreitet.

Zum Sonntag: "Du sollst nicht töten"
Foto: Fischer Armin

Ich stehe jedesmal, wenn ich davon höre oder lese, kopfschüttelnd davor und frage mich: Wie kann das sein? Warum machen Menschen so was? Was soll damit gewonnen sein und welcher Sache wird damit genützt? Was gewinnen diejenigen dabei, die so ungehemmt ihre Aggressionen ausleben und nicht den Hauch eines Mitgefühls für ihre Opfer haben? Geht es nur um die reine Lust am Niedermachen? Oder gibt es noch andere Impulse, die hier wirken? Vielleicht der - m. E. sehr untaugliche - Versuch, sich selbst groß zu machen und groß zu fühlen, in dem ich andere klein mache? Vielleicht auch gesellschaftliche Ursachen? Ich weiß es nicht. Am Ende wird aber nicht nur wichtig sein, woher dies alles kommt, sondern auch, wie man es eindämmt. So stellt sich m. E. dann auch die Frage: Muss ich eigentlich jeder Aggression, die sich gerade bei mir regt und die auch ich kenne, unbedingt nachgeben und sie ungehemmt ausleben? Oder kann man auch lernen, damit kontrollierter, "anständiger" und fairer umzugehen? Das fünfte oder - nach anderer Zählung auch - sechste Gebot von den berühmten "Zehn" in der Bibel lautet: "Du sollst nicht töten." Das bringt man normalerweise zu Recht mit Mord und Totschlag in Verbindung, manchmal auch mit "Krieg und Frieden", selten oder nie aber mit den heutigen Hass-Tiraden im Internet. Dabei steht schon in Dr. Martin Luthers sog. "kleinen Katechismus" als Auslegung dieses Gebotes zu lesen: "Du sollst nicht töten. Was ist das? Wir sollen Gott fürchten und lieben, dass wir unserem Nächsten an seinem Leibe keinen Schaden noch Leid tun, sondern ihm helfen und beistehen in allen Nöten." Und in der evangelisch-reformierten Tradition hat man formuliert: "Ich soll meinem Nächsten weder mit Gedanken noch mit Worten oder Gebärden, erst Recht nicht mit der Tat, auch nicht mit Hilfe anderer, schmähen, hassen, beleidigen oder töten", sondern "ihm Geduld, Frieden, Sanftmut, Barmherzigkeit und Freundlichkeit erweisen, Schaden, so viel uns möglich, von ihm abwenden, und auch unseren Feinden Gutes tun."

Es ist sicher wahr, die Kirchen, egal welcher Konfession, haben zu lange zu viel Moral gepredigt und gemeint, von oben herab das "Richtige" diktieren zu können. Aber manche Gebote sind doch Leitplanken, die wir nicht ohne Schaden aufgeben - dafür ist das fünfte/sechste Gebot und seine Auslegungstradition ein gutes Beispiel.

Am Sonntag könnte man sich die Zeit nehmen, im evangelischen Gesangbuch oder auch im römisch-katholischen "Gotteslob" dieses Gebot einschließlich Auslegung zu lesen und zu "meditieren", ab Montag könnte man dann anfangen, es zu leben. Ich bin sicher: Wir alle, egal ob Christ oder nicht, würden dabei gewinnen!

AUTOR HANS-JOACHIM WEFERS AUS XANTEN IST SUPERINTENDENT DES KIRCHENKREISES KLEVE

(RP)
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