Kreis "Die USA haben sich als Weltpolizist zurückgezogen"

Kreis · Botschafter Wolfgang Ischinger analysierte auf Einladung der Volksbank Niederrhein die sicherheitspolitische Lage.

 Der ehemalige deutsche Botschafter in den USA sorgt sich wegen der Entfremdung der Amerikaner von ihrer politischen Klasse.

Der ehemalige deutsche Botschafter in den USA sorgt sich wegen der Entfremdung der Amerikaner von ihrer politischen Klasse.

Foto: Voba

Wesel Die Rendite von 6,3 Prozent war Anlass für uneingeschränkte Freude auf der Vertreterversammlung der Volksbank Niederrhein in der Stadthalle Rheinberg. Das galt ganz sicher nicht für das, was der prominente Gastredner zur Lage der Welt zu sagen hatte. "Wenn wir weitermachen wie bisher, war die jüngste Flüchtlingswelle nur der kleine Beginn einer umfassenden Migration aus Afrika." Die Einschätzung von Wolfgang Ischinger, Vorsitzender der Münchener Sicherheitskonferenz, ließ aufhorchen.

Der ehemalige deutsche Botschafter in Großbritannien und den USA hatte zuvor - diplomtisch gekonnt - seine Zuhörer nah herangeführt an die vielen Konfliktherde und nachvollziehbar dargestellt, wie kompliziert Lösungen sind. Er ging der höchst ernsten Frage nach: "Zerbröselt die Nachkriegsordnung vor unseren Augen?" Seine Antworten ließen Nachdenklichkeit, bisweilen Sorge zurück. Er machte deutlich, dass außenpolitische Krisen sich nicht fernab abspielen, sondern in einer globalisierten Welt direkt an Europas Tür klopfen. Seine Lagebeschreibung in Stichworten: USA Amerika habe sich "aus seiner traditionellen Rolle als Weltpolizist zurückgezogen". Die Europäer seien zu sehr "mit sich selbst beschäftigt", als dass sie die Lücke auch nur annähernd schließen könnten. "Die Aussichten, dass sich die Dinge ändern zum Landfrieden in Europa, sind eher düster", so Ischingers Diagnose. Er sprach von einer "Krise des globalen Regierens". Donald Trump Der könne die Präsidentschaftswahl kaum gewinnen. Er habe schon zu viele Minderheiten verprellt. Doch man dürfe ihn nicht unterschätzen. Er habe mit "Rattenfängermethoden" Kandidaten des politischen Establishments aus dem Rennen geworfen. Dazu zählt Ischinger eben auch Hillary Clinton. Er habe "noch nie" einen US-Wahlkampf erlebt, in dem die Kandidaten eine so geringe Zustimmung hatten. Der Botschafter stellte einen tiefen Riss in der US-Innenpolitik fest. Der amerikanische Traum, dass es jeder nächsten Generation besser gehe, sei zerplatzt, habe sich ins Gegenteil verkehrt. Ischinger befürchtet eine weitere "Entfremdung" der Amerikaner von ihrer politischen Klasse. Das gebe Anlass zu großer Sorge. Russland Das Reich Putins sei zwar Nuklearmacht, die sich aber bei genauer Betrachtung volkswirtschaftlich als "Scheinriese" entpuppe. Dem Patienten Russland gehe es nicht gut. Eine echte Bedrohung gehe von ihm bei allem demonstrativen Selbstbewusstsein nicht aus. Syrien Kriege würden nicht mehr zwischen Nationalstaaten geführt, sondern als Bürgerkriege aus ethnischen und religiösen Gründen. Je länger die Konflikte, die historisch an den 30-jährigen Krieg erinnerten, dauern, desto schwieriger seien sie zu befrieden. Die Verwicklungen führten zu Radikalisierungen der vielen Kriegsparteien und seien nur schwer in den Griff zu kriegen. Europa Nach dem Brexit gelte es, alle Kraft aufzuwenden, den Zerfall Europas zu verhindern: Es brauche "nicht weniger, sondern ein besseres Europa", das krisenfest werden, seine Militärausgaben wesentlich effizienter einsetzen müsste, um die Kampfkraft zu erhöhen, und keine "Schönwetterunion" bleiben dürfe.

Dank für die Analyse einer krisengebeutelten Welt: ein Bildband vom friedlichen Niederrhein.

(RP)
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