Geldern Das Wetter bleibt in Haldern der Headliner

Geldern · Das Festival ist vorbei, doch die Zelte werden noch Tage zum Trocknen brauchen. Auch musikalische Eindrücke müssen verarbeitet werden.

Was wäre Haldern nur ohne Matsch?

Was wäre Haldern nur ohne Matsch?

Foto: Thomas Binn

Manchmal braucht es nicht viel: Ein flottes Schlagzeug, scheppernde Gitarren und einen guten Slogan. "Patti Smith would never put up with this shit", sang Haley Shea von der Pop-Punk-Truppe Sløtface, während Bassist Lasse das Bühnenfenster der Haldern Pop Bar aufsperrte. Draußen quittierte man das mit frenetischem Jubel und wippte vergnügt zu den Songs der blutjungen Norweger.

 Selfie im Regen: Das Wetter ist jedes Jahr der Headliner.

Selfie im Regen: Das Wetter ist jedes Jahr der Headliner.

Foto: Thomas Binn

Als dann die archaischen Beats von White Wine einsetzten, verflog die letzte Müdigkeit vom Vortag. Käpt'n Peng & Die Tentakel von Delphi hatten ihren neuen Dancehall-Jams mitgebracht und veranstalteten vor der Hauptbühne eine große Party, gefolgt von Anna Merediths Urschrei-Therapie im Spiegelzelt.

Gestern Morgen sagten die Fans "Auf Wiedersehen".

Gestern Morgen sagten die Fans "Auf Wiedersehen".

Foto: Latzel

Das Musik-Buffet war in diesem Jahr besonders reichhaltig angerichtet: Das Spektrum reichte vom Oldschool-HipHop eines Loyle Carner bis hin zur musikalischen Früherziehung von Let's Eat Grandma. Die Überraschung am Freitag war aber sicherlich der Auftritt von Benjamin Clementine: Während der englische Sänger bei seinem Spiegelzelt-Auftritt im Jahr 2014 das Publikum zur Ruhe ermahnte, versteht er sich mittlerweile als Entertainer und instruierte das Publikum vor der Hauptbühne zum "Condolence"-Singalong. Das multiethnische Ensemble erinnert an Sly & the Family Stone, wobei bei Clementine eher die Extravaganz als der Familiengedanke dominiert. Jazz-Interessierte bekamen mit Mammal Hands und Badbadnotgood zwei einsteigerfreundliche Acts geboten. Während erstere mit komplexen Rhythmen aufwarteten, brachte die junge Band aus Toronto eine gute Mischung aus HipHop-Party und abgedrehten Improvisationen auf die Bühne. Jesse Barrett von Mammal Hands war so sehr in sein Schlagzeugspiel vertieft, dass er sich auf der Altonaer Pop-Nacht glaubte. Das nahm aber niemand übel, denn schließlich befand man sich unter alten Bekannten.

Extravagant am Klavier: Benjamin Clementine.

Extravagant am Klavier: Benjamin Clementine.

Foto: Thomas Binn

AnnenMayKantereit spielten schon in Haldern, als sie noch fast niemand kannte. Das ist aber erst drei Jahre her und nicht vier, wie Sänger Henning May in seiner Annekdote vom ersten Gig in der Pop Bar behauptete. Der Hype hat der Kölner Truppe eine ungeheure Popularität beschert, abgesehen von den Hitsingles hat das Quartett aber musikalisch nicht viel zu bieten. Mit "Valerie" von Amy Winehouse und Nina Hagen-Cover sorgte man für Abwechslung in der Setlist.

 Immer wieder traumhaft: das Spiegelzelt.

Immer wieder traumhaft: das Spiegelzelt.

Foto: Thomas Binn

Nicht wiederzuerkennen sind die Stammgäste von Bear's Den, die mittlerweile ein zweites Album im Gepäck haben und wie The War On Drugs klingen. Wer immer noch Paolo Nutini vermisst, der kann getröstet werden. Tom Grennan steckte mit seinem Auftritt im Spiegelzelt den Sänger locker in die Tasche.

 Sprung ins Glück.

Sprung ins Glück.

Foto: Thomas Binn

Erneut zu Besuch waren auch The Afghan Whigs. Leider kann man sich noch nicht daran gewöhnen, die Band ohne den kürzlich verstorbenen Gitarristen Dave Rosser auf der Bühne zu sehen. Ein tolles Finale wurde den Gästen am Samstag mit der Show von Bilderbuch geboten. Maurice Ernst machte seinem Ruf als Showmaster wieder alle Ehre. Auch wenn das aktuelle Album Magic Life nicht an den Vorgänger heranreicht, präsentierten sich Bilderbuch als unumstrittener Headliner. Lightshow, Choreographie und eine Bühnendekoration aus 900 Turnschuhen sorgten für Staunen. Doch auch das Programm im Spiegelzelt konnte sich sehen lassen. Klangstof sorgten mit dicken Synth-Bässen für eine wohlige Trommelfell-Massage, Me and Marie mit ihrem erdigen Rock für frenetischen Jubel und Idles für einen brutalen Abriss. Die fünf Briten fegten zum Abschluss des Festivals durch ihr Debütalbum Brutalism und genossen es sichtlich, die tobende Menge auf Trab zu halten.

(RP)
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