Große Expressionismus-Ausstellung in Wuppertal Explodierende Farben läuten die Moderne ein

Wuppertal · Das Von der Heydt-Museum zeigt mit Werken der „Blauen Reiter“ und der „Brücke-Maler“ den Epochenbruch zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Es ist die erste Ausstellung des neuen Museumsleiters Roland Mönig.

 Alexej von Jawlensky: Mädchen mit Pfingstrosen (1909)

Alexej von Jawlensky: Mädchen mit Pfingstrosen (1909)

Foto: Von der Heydt-Museum

Ein junger Mann schläft träumend in einem Liegestuhl. Lässig räkelt sich in der Sonne, die Beine gespreizt, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, die Augen geschlossen. Es handelt sich um ein Portrait des Malers Max Pechstein, das sein Kollege Erick Heckel gemalt hat. Rot dominiert in vielen Schattierungen. Ein Rot voller Energie, ein Rot des Rausches, ein Rot des Rostes, ein Rot der Flammen, ein Abendrot, das die Türe zu einer Traumwelt aufstößt.

Die Haltung zu Farbe und Person steht für das Programm der „Brücke-Maler“, die zu Beginn des vorigen Jahrhunderts mit farbigen Paukenschlägen eine neue Sicht auf die Wirklichkeit behaupteten und die Traditionalisten im untergehenden Kaiserreich von den Kopf stießen.

Was in Dresden geschah hat eine Parallele in München, als sich dort die „Blauen Reiter“ mit vergleichbarer Verve gegen das herkömmliche Malen wendeten. Gabriele Münter portraitiert ihren Lebensgefährten Wassily Kandinsky. Die Person des Künstlers erfährt einen weniger expressive Gestaltung in dem deutlich kleinformatigeren Bild. In pastosen Farbstrichen wird ein Mann an einem Tisch sitzend sichtbar, umgeben von Bildern und Kunstwerken. Ein Denker, der malt, ein Maler, der denkt. Die intellektuelle Dimension der Erneuerung wird in diesem Gemälde gewürdigt.

Die Werkschau in Wuppertal präsentiert die Kraft des Umsturzes bisheriger Sichtweisen, den Versuch, die Realität auf ganz subjektive Weise auszudrücken. Sie spürt Energiefeldern nach, die bis dato in der deutschen Malerei unsichtbar waren. Sie zeigt Zeugen einer Epoche des radikalen Wandels. Wenn man die vielen Frauenportrait von Kirchner, Heckel, Jawlensky und Kandinsky betrachtet, die im ersten Ausstellungsraum vergleichend gehängt sind, spürt man, wie die Tradition verflüssigt wird und die Porträtmalerei sich erneuert.

Die Farbmischungen, die grüne Wange, das glühende Gelb des Hintergrund, die Pinselwirbel als Hut, die Verdichtung der Fläche bestimmen die Aussagekraft des Bildes, nicht die Ähnlichkeit mit dem Sujet. Zugleich betont die Ausstellung, dass die Frau nicht nur Muse des Malers war, sondern Frauen wie Münter und Marianne von Werefkin als Künstlerinnen und als Managerinnen ihren wichtigen Beitrag zum deutschen Expressionismus leisteten.

Das Lebensgefühl der damaligen Künstler weist Verwandtschaftsgrade zur Gegenwart des 21. Jahrhunderts auf. Das weckt Interesse und verlässt die Atmosphäre kunsthistorischer Bildungsbeflissenheit. Die Vertreter des Expressionismus erlebten bei aller Unterschiedlichkeit eine einschneidende politische Transformation. Die Monarchie zerfällt, die Demokratie von Weimar kündigt sich nur als ein Zwischenstadium zum Faschismus der Nationalsozialisten an.

In diesem Spannungsfeld entsteht der Expressionismus der „Brücke-Maler“ und der „Blauen Reiter“. Die Bilder vibrieren vor Farbe. Die Pinselstriche werden grober, die Kompositionen gewagter, dichter und flächiger. Die Bilder träumen sich aus der wilhelminischen Enge. Mit den zahlreichen Akten in freier Natur feiern die Expressionisten die Sehnsucht nach der Einheit von Mensch und Natur.

Als sie ihre Ateliers vom Land, den Seen und den Inseln in die Großstädte verlegen, setzen sie Farbe und Komposition gegen den erstarrten Realismus und kritisierten Impressionismus. Was die Expressionisten verband, drückt ein Zitat von Kirchner aus: „Jeder gehört zu uns, der unmittelbar und unverfälscht das wiedergibt, was ihn zum Schaffen drängt.“ Doch die Maler der „Brücke“ und der „Blauen Reiter“ trennen Welten, wie sich immer wieder im Vergleich herausarbeiten lässt. Kunsthistoriker benutzen dafür Begriffe wie „Sensualismus versus Intellektualismus, Leben statt Geist.“ Der Verdienst der Ausstellung ist aber, diese beiden Gruppen nicht isoliert zu betrachten.

Für die Malweise der Expressionisten gab es in Frankreich und Europa Paten – aber in München, Dresden und vor allem in Berlin in Henry Waldens „Sturm“-Galerie entwickelte sich für eine kurze Zeit eine bestehende Explosion der Erneuerungskräfte. Es wäre übertrieben zu sagen, hier gibt es so etwas wie einen Urknall der Moderne, aber eine Zündschnur wurde gelegt.

Der Knall von mehr als 100 Jahren ist in dieser Ausstellung spürbar, auch wenn es an der einen oder anderen Stelle hilfreich gewesen wäre, durch eine vergleichende Hängung mit dem Mainstream des Kaiserreiches die Eigenheiten dieser Bewegung noch deutlicher herauszustellen.

Das Merchandising hat den Zugang zu diesen Bildern fast zerstört. Marcs blauen Fuchs gibt es in jedem Museumsshops als Postkarte, Kandinsky-Motive auf Regenschirmen. Und dennoch winkt die Moderne im ungestörten Vis-a-Vis der Postmoderne zu. Kunsthistorisch lassen sich viele Linien bis ins Heute ziehen. Mit einem Teil der Expressionisten beginnt der Weg in die Abstraktion. Die Nationalsozialisten verbannten die Künstler als „entartet“. Sie gefährdete die Ideologie des faschistischen Menschenbildes. Alles „Spinner und Verrückte“, mit denen sich aber heimlich gutes Geld verdienen ließ.

Die Künstler der „Blauen Reiter“ und der „Brücke“ darf man sich nicht als eine Gemeinschaft enger Freunde vorstellen. Es gab ein Kommen und Gehen, ein Beäugen und Kritteln, ein Neiden und Verdammen. Eine Tagebuchnotiz von Kirchner verdeutlicht dies: „Klee umgeht die Schwierigkeiten. Marc ist überhaupt indiskutabel. Kitsch a la Kandinsky“.

 Franz Marc: Die gelbe Kuh. (1911 Kulturstiftung Sachsen -Anhalt.

Franz Marc: Die gelbe Kuh. (1911 Kulturstiftung Sachsen -Anhalt.

Foto: Von der Heydt-Museum

Der letzte Raum der Ausstellung zeigt, wie die Expressionisten bis weit ins 20. Jahrhundert die Malerei beeinflusste. Zu sehen ist unter anderem ein Bild von Ernst Wilhelm Nay. Eine Komposition, die wie eine Palette von Farben aussieht. Das Bild lässt sich wie eine Zuspitzung dessen lesen, worauf es den Expressionisten ankommt: Farbe erschafft eine neue Wirklichkeit.

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