75 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz Zeitzeuge spricht im Gymnasium

Wülfrath · Wilfried Josef Klein war Vorsitzender Richter im Prozess gegen Gottfried Weise, den „Wilhelm Tell von Auschwitz“.

 Wilfried Josef Klein war Richter im Prozess gegen einen KZ-Aufseher. Jetzt berichtete er im Gymnasium von diesem Prozess.

Wilfried Josef Klein war Richter im Prozess gegen einen KZ-Aufseher. Jetzt berichtete er im Gymnasium von diesem Prozess.

Foto: Ja/Achim Blazy

Sie sind fast fester Bestandteil des Unterrichts für die ältesten drei Jahrgänge des Wülfrather Gymnasiums: Zeitzeugen der NS-Zeit und des 2. Weltkrieges. „Wir durften schon Überlebende und einmal auch den Sohn eines Täters begrüßen“, zählte Martin Szameitat, der Geschichte und Deutsch unterrichtet, auf. Nun gastierte Wilfried Josef Klein.

Gemeinsam mit seinem Kollegen Norbert Koep sowie Wilfried Keiluweit war er Richter am Schwurgericht in Wuppertal und führte den Prozess gegen den so genannten „Schlächter von Ausschwitz“. So wurde SS-Unterscharführer Gottfried Weise bezeichnet, der im KZ Auschwitz-Birkenau mordete. Die Richter verurteilten ihn in fünf Fällen besonders grausamen Mordes zu lebenslanger Haft. Er hatte unter anderem einen zehnjährigen Jungen gezwungen sich eine Konservendose auf den Kopf zu stellen und hatte Schießübungen – obwohl durch eine Kriegsverletzung auf einem Auge blind – auf diese Konserve gemacht und das Kind dabei erschossen.

Völlig ungläubig nahmen die Jugendlichen, die dem lebhaften Vortrag des 84-Jährigen inzwischen pensionierten Richters zuhörten, die Nachricht auf, dass der Verurteilte nur rund drei Jahre hinter Gefängnismauern verbrachte. „Er kam auf Grund eines besonderen Rechts, das in Deutschland von dem jeweiligen Ministerpräsidenten angewendet werden kann, frei. Die Verteidigung hatte das Recht auf Begnadigung bemüht, weil in der Haft eine Krebserkrankung festgestellt wurde“, berichtete der ehemalige Richter, der nicht mit seiner persönlichen Meinung zu diesem Urteil zurückhielt: „Da ist etwas ganz faul gewesen.“ Auch die jugendlichen Zuhörer konnten diese Entscheidung nur schwer nachvollziehen, wie Nachfragen zu diesem Punkt zeigten.

Die Fragestunde hatte vorsichtig begonnen, doch nachdem der 17-jährige Florian die erste Frage gestellt hatte, folgten andere Mitschüler. Auf die Frage, ob die NS-Zeit für seine Generation überhaupt noch begreifbar sei, antwortete der Schüler: „Das kommt immer auf den Einzelnen an. Ich habe mich auch schon außerhalb des Unterrichts mit der Zeit beschäftigt. Aber für viele ist es einfach zu weit weg.“

Beiden Referenten war deutlich anzumerken, wie ihr Vortrag akribisch genaue Erinnerungen hervorrief. Dazu Norbert Koep: „Meine Frau sagte, als ich  ihr erzählte, dass mich Wilfried Josef Klein gebeten hatte, zu dem Vortag mitzukommen: ‚Dann geht hoffentlich nicht alles wieder von vorn los’.“ Denn für die beiden Juristen war die Zeit der Zeugenbefragungen, die vornehmlich im Ausland stattfanden, weil von den zu befragenden Überlebenden sich viele rigoros geweigert haben, „jemals wieder deutschen Boden zu betreten“, sehr aufreibend. Vor allem, weil es beängstigend vielen in Deutschland nicht gefiel, dass der Prozess überhaupt geführt wurde. Allen voran dem Sohn des Angeklagten, der keine Gelegenheit verstreichen ließ, öffentlich dagegen anzugehen.

Auch Drohungen gegen Leib und Leben haben die Richter in dieser Zeit erhalten. „Polizeischutz habe ich abgelehnt. Wie hätte ich mein Amt ausüben können, wenn ich da nachgeben hätte“, erinnerte sich Wilfried Josef Klein. Ebenso wie Norbert Koep lieferte er als Zeitzeugen nüchtern, aber nachhaltig Zeugnis, was die anwesenden Schüler, Lehrer und Eltern nachdenklich machte.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort