Wülfrath Von der Ex-Hinterzimmercombo zum veritablen Vollblut-Orchester

Wülfrath · Der als Spielmannszug gegründete Musikverein Kalkstädter lieferte zum 60-jährigen Bestehen ein Geburtstagsständchen von technischer Brillanz.

 Zum 60-jährigen Bestehen spielten die Kalkstädter Wülfrath im Paul-Ludowigs-Haus groß auf.

Zum 60-jährigen Bestehen spielten die Kalkstädter Wülfrath im Paul-Ludowigs-Haus groß auf.

Foto: Dietrich Janicki

Oft steht das Paul Ludowigs-Haus als ungeliebtes Kind der Stadt abseits und verlassen da. Am Samstag wurde der Bau hart an die Grenze seines Fassungsvermögens von 600 Besuchern gebracht. Da blieb selbst in Wülfraths größter Hütte kein Platz mehr.

Bühnenausstattung der edelsten Art inszenierte die Gruppe im krönenden Lichte eines Musicals. Nahezu jedes Instrument wurde durch ein eigenes Mikrofon eingefangen. Der abgemischte Klang setzte sich daraus in natürlicher Harmonie zusammen, die den Einsatz der Verstärker gänzlich vergessen lies. Zum Glück wussten die Musiker diese zu einer Art Raumschiff Enterprise umgebaute Räumlichkeit auch zu bedienen und überzogen das Publikum mit einem durch Bombast paralysierenden Funkenschweif.

Noch im ersten Teil übernahm Flötistin Laura Brunswig für das sambaeske ,Baba Yetu' den Taktstock und sorgte für etwas besänftigtes Temperament des 38-köpfigen Ensembles. Zur Pause stürmten die Zuhörer die Verpflegungsstationen und ließen das geräumige Foyer schnell stickig werden. Dort war die limitierte Auflage des Jubiläumskonzert-Kugelschreibers erhältlich, mit dem beweisbar wird, dass man dabei gewesen ist.

Die traditionsbewussten Grün-Weißen hatten am Eingang eigens ein Museum der Bandhistorie eingerichtet. Dort trugen Schaufensterpuppen inzwischen antik anmutende Gardeuniformen auf. Schautafeln informierten über den Gründungsmythos. In die plaudernde Fanschar hinein rief die leidenschaftliche Moderatorin Nicole Nöske: "Der zweite Teil wird noch besser!"

Ein Auftritt der Kalkstädter bedeutet seit einiger Zeit auch immer eine unterhaltsame Nöske-Show. Die Entertainerin pflegt einen unverfälschten Schnabel. Sie ist nah an der Truppe und kennt die neusten Anekdötchen.

So verriet sie die rührige Begebenheit, wie erst am Tag der Aufführung herauskam, dass die nun von Flötist Oliver Dahm gespielte Tin Whistle vor 40 Jahren eine Anschaffung des gern erinnerten Kalkstädters Elmar Lüdecke gewesen ist.

Zurück am Pult zeigte die musikalische Leitwölfin Tanja Rödel unvergleichliche Präsenz. Mit streng hochgestecktem Haar strahlte sie Bereitschaft aus, etwas Großes zu schaffen, gleich jemandem, der entschieden seine Ärmel hochkrempelt. Trotz uhrwerkartigen Antreibens ging sie bei Bedarf hochsensibel auf Feinheiten ein.

So etwa, als die Rhythmussektion um die drei Kösters bei der triumphalen Suite "Fluch der Karibik" auf das übertriebene Schreibmaschinen-Stakkato der Originalversion abhoben.

Maestra Rödel hob nur warnend den Zeigefinger, und die Piratenschlacht ging wieder gesittet über die Bühne. Mit der "Herr der Ringe"-Melodie wurde ein weiteres filmmusikalisches Glanzlicht kontrolliert gezündet. Nun an der Flöte überzeugend, gab Laura Brunswig für ihre Mitstreiter die Lautstärke vor.

Über dem nahezu zwölftonal verschachtelten Meisterstück entfaltete sich das vielfältige Staunen darüber, wie in den vergangenen sechs Jahrzehnten aus der ehemaligen Hinterzimmercombo dieses veritable Vollblut-Orchester erwachsen konnte.

(lard)
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