Analyse Im Teufelskreis der Solidarität

Wülfrath · Die Stadt hat 70 Millionen Schulden, schafft 2015 wieder den Etat-Ausgleich - muss aber jetzt für andere mitbezahlen.

Kämmerer Rainer Ritsche hat einige Probleme: Steigende Sozialkosten im Kinder- und Jugendbereich, mehr Personalkosten und so gravierende Mängel in der städtischen Gebäudebewirtschaftung und -erhaltung, dass der eigentlich ruhige und zurückhaltende Fachmann von ökonomisch vertretbaren Grenzen spricht, die man erreicht habe.

Das größte Problem schlummert in seinem jetzt aufgestellten Haushalt für 2015 aber seit langem im Verborgenem und wird immer größer: Die Verschuldung, die auf 70 Millionen angewachsen ist, vor allem die immer größer werdenden Kassenkredite, welche die Stadt aufnehmen muss, um kurzfristig den Betrieb "Stadt" am Laufen zu halten. Die betragen aktuell gut 48 Millionen Euro und haben der Stadt bisher nur deshalb noch nicht das Genick gebrochen, weil Geld in Europa derzeit fast nichts kostet. Und obwohl die Stadt nach Jahren der harten Sparmaßnahmen und Haushaltskonsolidierungen endlich wieder einen ausgeglichenen Etat vorweisen kann, wird sie im nächsten Jahr wieder zur Kasse gebeten. Für den Kommunalsoli, für andere Städte also, deren Infrastruktur nicht viel weniger schlecht ist wie die zahlreichen Löcher in Wülfraths Straßen oder deren Kultureinrichtungen ebenso ums Überleben kämpfen wie Zeittunnel und Museum.

Warum ist das so? Wer beim Kommunalsoli zahlt oder nicht, orientiert sich an der Feststellung: Hat die Stadt einen Haushalt mit einer schwarzen Null? Wer also einen Ausgleich zwischen Einnahmen und Ausgaben schafft, gilt als "reich".

Niemanden außerhalb Wülfraths interessiert es, ob die Stadt auf einem Schuldenberg sitzt und von der wachsenden Kreditabhängigkeit immer stärker erdrosselt wird. Kurzum: Wülfrath hat Pech gehabt. Zwar macht die Stadt 2015 ein kleines Plus von gut 5400 Euro, doch sie muss 48 Millionen Liquiditätskredite immer wieder aufnehmen und bezahlen. Dazu kommen noch die 22 Millionen langfristig drückenden Schulden. Die grundsätzlich notwendige Solidarität wird hier zum ersten Mal falsch definiert.

Bürgermeisterin Claudia Panke und Kämmerer Rainer Ritsche ärgern sich natürlich über das Prinzip: Wer sich anstrengt, spart und schließlich einen Etatausgleich schafft, wird jetzt mit Sonderzahlungen für andere bestraft, die zum Teil nicht annähernd die Schulden haben wie Wülfrath und deren Eigenkapital in den vergangenen Jahren bei weitem nicht so sehr aufgezehrt worden ist wie in der Kalkstadt. Das ist von 60 Millionen Euro im Jahr 2006 seitdem um Zweidrittel geschmolzen.

Ursprünglich stand im Haushaltsentwurf der Verwaltung für 2015 nur ein Betrag von 50 000 Euro. Auch wenn Panke Anfang August, als die erste Meldung über die 324 000-Euro-Zahlung öffentlich wurde, voreilig sagte, es seien dafür bereits 300 000 im Etat verankert, das schnell korrigierte, bleibt die unbefriedigende Lage für Wülfrath: Der Schuldenberg von 70 Millionen bleibt ein Koloss.

Wie hoch die Belastungen sind, verdeutlichte Ritsche im Rat mit einem erschreckenden Vergleich. Das Volumen der Kassenkredite hat mit 48 Millionen Euro fast die Summe der ordentlichen Erträge eines Jahres im Etat 2015 erreicht. Anders ausgedrückt: "Bitte stellen Sie sich vor, Ihr Nachbar hätte sein Girokonto mit einem Jahresgehalt überzogen. Daneben hätte er noch seine Wohnung, in unserem Fall das Rathaus, fremdfinanziert und müsste noch einige Jahre den Kapitaldienst hierfür schultern. Ach ja, und die Unterhaltspflichten, in unserem Fall Sozialtransfers, für seine Familie hätte ich fast vergessen."

Ritsche weiß, dass der Schuldenberg derzeit nur so billig zu beherrschen ist, weil die Zinsen so niedrig sind. Steigen die aber in Zukunft, wird Politik und Verwaltung der Haushalt um die Ohren fliegen, so dass ein Nothaushalt unumgänglich ist. Deshalb würde Ritsche diese Gefahr gerne schnellstmöglich entschärfen.

Doch um die kurzfristigen und billigen Kredite langfristig und damit sicherer zu verankern, müsste Ritsche deutlich höhere Zinsen zahlen. Dieses Geld hat er aber nicht. Und trotzdem weiß er um die Direktiven des Landes und der Finanzhoheit, die gebetsmühlenhaft immer wieder die Städte ermahnen: "Baut dringend Schulden ab und das langfristig, um seriös planen zu können." Fazit: Diejenigen, die Schuldenabbau fordern, knebeln sparsame Städte mit schwarzen Zahlen zu Solidarleistungen, die sie besser in den Schuldenabbau stecken sollten.

Vor allem eins ärgert viele in der Politik in den betroffenen Städten wie Wülfrath: Der Kommunalsoli landet im konsumtiven Bereich der Empfänger-Städte.

Damit wird der dort laufende Betrieb "Stadt" am Laufen gehalten, obwohl das Geld besser langfristig und in die Zukunft nachfolgender Generationen investiert würde. Denn denen hilft wenig, wenn die heutige Generation das verfrühstückt, was erst zu den Schulden führt.

Solidarität wird da zum zweiten Mal falsch dekliniert.

(RP)
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