Stadt Willich Von der Suche nach der Liebe der Mutter

Stadt Willich · Es gibt Lebensgeschichten, die bergen den Stoff für eine dramatische Umsetzung und großes Kino - so wie die des erfolgreichen Musikers Hans-Jürgen Hufeisen. Seine Mutter gebar ihn in einem Anrather Hotel und verschwand ohne ihr Kind. Der Journalist Uwe Birnstein hat ein Buch über "Das unglaubliche Leben des Flötenspielers Hans-Jürgen Hufeisen" geschrieben - behutsam und einfühlsam. In einer berührenden Konzertlesung stellten Birnstein und der Musiker im Dialog von gesprochenem Wort und Musik dieses Porträt in der Pfarrkirche St. Johannes vor - etwa 100 Meter entfernt von dem Ort, wo der damalige Gastwirt das Findelkind unter einer Decke fand.

 Der Musiker Hans-Jürgen Hufeisen (links) und sein Biograf, der Journalist Uwe Birnstein, bei der Konzertlesung in St. Johannes in Anrath.

Der Musiker Hans-Jürgen Hufeisen (links) und sein Biograf, der Journalist Uwe Birnstein, bei der Konzertlesung in St. Johannes in Anrath.

Foto: ACHIM HÜSKES

Dr. Erich Schmitz, der Enkel des Hoteliers, begrüßte die Zuhörer in der gut besuchten Kirche. Am Ende war er überzeugt, dass die Lesung in dieser Eindringlichkeit wohl an keinem anderen Ort möglich wäre. Obwohl das Buch bereits vor zwei Jahren, kurz vor Hufeisens 60. Geburtstag herausgegeben wurde, war es erst die zweite Lesung dieser Art. Die Anrather erlebten diese dankbar als ein besonderes Kleinod und erhoben sich am Ende zu langem Beifall von ihren Plätzen.

Birnstein las von Hufeisens Kindheit und Entwicklung zum erfolgreichen Musiker, der geprägt ist vom Wunsch, von der Mutter wahrgenommen zu werden. Als Findelkind wurde er zunächst in das Waisenhaus der Bongartzstiftung nach Lobberich gebracht, später in ein Kinderheim in Neukirchen-Vluyn. Eine Erzieherin entdeckte und förderte das besondere Flötentalent, so dass Hufeisen später an der Folkwang-Hochschule in Essen studieren konnte und als Flötist und Komponist Karriere machte.

Hufeisens Flötenspiel vertiefte den Text. Zu Passagen über seine Kindheit ließ er, unterstützt vom Pianisten Oskar Göpsert, Zitate von Kinderliedern anklingen. Die Erzieherin hatte ihn zum Versuch ermuntert, mit der Flöte Vogelstimmen zu imitieren. Im Konzert klangen diese frühen Erfahrungen sanft an. Der Kuckucksruf sollte später im reich schillernden Spiel des gereiften Künstlers noch einmal anklingen. Das virtuos und feinsinnig servierte Flötenspiel bot Hörgenuss und spiegelte zugleich anschaulich Hufeisens Auseinandersetzung mit alten Kirchenliedern, klassischen Werken und verschiedenen Religionen. Wenn der Künstler seine Flöten in verschiedenen Stimmlagen sanft und melancholisch erklingen oder reich und leicht jubilieren ließ, schien es, als sei sein Biograf - wie die Zuhörer auch - tief ergriffen. Durchgängiges Thema des Porträts war das Ringen um die Mutter, die der Sohn im Alter von 25 Jahren erstmals traf. Bei ihrer Bestattung spielte er zur Verwunderung vieler Trauergäste, die von seiner Existenz nichts geahnt hatten. Birnstein zitierte Pater Anselm Grün. Der war überzeugt, dass die Flöte Hufeisens Wunden in Perlen verwandelt habe. Die Konzertlesung klang sanft zur Melodie des Kinderliedes "Weißt du wieviel Sternlein stehen" aus. Viele Hörer sangen leise mit, auch noch, als die Flöte bereits verstummt war.

(anw)
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