Stadt Willich Seine außergewöhnlichste Pflasterarbeit

Stadt Willich · Daniel Lloyd ist Straßenbauer bei den Gemeinschaftsbetrieben der Stadt Willich. Heute verlegt er erstmals alleine Stolpersteine für frühere jüdische Mitbürger in Anrath. Für den 30-Jährigen ist das alles andere als reine Routine.

 Bernd-Dieter Röhrscheid (l.) und Daniel Lloyd legen am Kirchplatz fest, wo sie die Stolpersteine für die Angehörigen der jüdischen Familie Servos verlegen, die einstmals am Kirchplatz wohnten.

Bernd-Dieter Röhrscheid (l.) und Daniel Lloyd legen am Kirchplatz fest, wo sie die Stolpersteine für die Angehörigen der jüdischen Familie Servos verlegen, die einstmals am Kirchplatz wohnten.

Foto: Wolfgang Kaiser

Es scheint so etwas wie eine "Berufskrankheit" zu sein: Wenn Daniel Lloyd im Ausland in eine Stadt kommt, schaut der 30-Jährige, der bei der Stadt Willich als Straßenbauer beschäftigt ist, nicht auf die Häuser und touristischen Attraktionen der Stadt. Seite Augen "kleben" immer am Boden. Und seit er 2012 bei der ersten Verlegung von bislang 34 Stolpersteinen in der Stadt Willich dabei war, die der Künstler Gunter Demnig für ermordete jüdische Mitbürger ins Pflaster einlässt, geht er auch viel bewusster durch andere deutsche Städte, hält Ausschau nach diesen Erinnerungen an jüdisches Leben. Heute wird Daniel Lloyd in Anrath am Kirchplatz erstmals selbst Stolpersteine verlegen. Gunter Demnig hat sein Okay dazu gegeben. Für den jungen Straßenbauer eine große Ehre und viel mehr als nur routinierte Pflasterarbeit.

Vier der sechs Stolpersteine, die Lloyd heute ins Pflaster vor den Häusern Kirchplatz 5 bis 7 einlässt, lagen dort schon einmal. Im Dezember 2012 hatte Demnig dort die Steine verlegt, in deren Messingplatten die Namen und Lebensdaten des Ölhändlers und Mitbegründers des TV Anrath, Max Servos (* 1877), und seiner Frau Rosa (*1876) sowie ihres Sohnes Fritz Servos (* 1909)und dessen Ehefrau Charlotte eingarviert sind. Alle vier starben 1944, nachdem sie in den Jahren 1942 und 1941 deportiert worden waren. Im zweiten Halbjahr 2013, als im Zuge der Anrather Ortskernsanierung auch an dieser Stelle des Kirchplatzes das Pflaster aufgerissen und schließlich wieder erneuert wurde, nahmen Stadtarchivar Udo Holzenthal und Bernd-Dieter Röhrscheid, der mit Willicher Schülern viele Stolpersteinverlegungen betreut und die Geschichte jüdischer Bürger aus Willich recherchiert hat, die vier Steine heraus.

Nun nach der Erneuerung des Pflasters wird Daniel Lloyd die schon einmal verlegten Steine für Max und Rosa Servos sowie zwei neue Steine verlegen. Sie erinnern an Ella (*1908) und Meta (*1918) Servos, Töchter von Max und Rosa Servos. Sie flüchteten im Mai und August 1939 nach England, nachdem die Behörden gegen sie wegen des Vorwurfs ermittelten, sexuelle Beziehungen zu arischen Männern gehabt zu haben. Das Deutsche Reich erkannte ihnen 1939 und 1940 die deutsche Staatsbürgerschaft ab.

Zuverlässig hat Daniel Lloyd auch diese Verlegung vorbereitet, die Stellen, wo die Steine eingelassen werden, besichtigt. Am Dienstagnachmittag hatte er mit Udo Holzenthal und Bernd-Dieter Röhrscheid am Kirchplatz festgelegt, wo die Steine eingebaut werden. Einzelne Pflastersteine musste er dafür herausnehmen und zurechtschneiden, damit die Stolpersteine Platz finden. Das Pflasterbett wird er an der Stelle, an der die Stolpersteine verlegt werden, ein wenig tiefer ausheben als derzeit. Denn die Stolpersteine werden in ein Betonbett verlegt, damit sie nicht wackeln und keine tatsächlichen Stolperfallen bilden.

Daniel Lloyd, der 2004 bei der Stadt seine Ausbildung begann und derzeit die Meisterschule besucht, hat durch die Verlegungen von 34 Stolpersteinen, die er bislang seitens der Gemeinschaftsbetriebe der Stadt Willich begleitet hat, viel über das jüdische Leben in der Stadt gelernt. Bernd-Dieter Röhrscheid und Stadtarchivar Holzentahl hätten ihm immer über die Personen, für die bislang Stolpersteine verlegt worden seien, und über die politischen Umstände erzählt. Vorher, so gesteht er, habe er darüber nicht viel nachgedacht.

"Die Steine, die wir verlegen, sind mehr als nur Steine. Jeder hat seine eigene Geschichte", sagt Lloyd. Wenn er heute erstmals Stolpersteine alleine verlege, werde das schon etwas "spezielles und außergewöhnliches" sein, sagt er. Der Akt der Verlegung der Stolpersteine sollte seiner Meinung nach aber nur ein Anfang sein, ein Anfang einer Auseinandersetzung mit den Menschen und ihrem Schicksal, für die die Steine stünden.

(RP)
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