Schlossfestspiele Neersen Großes Kino auf kleiner Theaterbühne

Neersen · Es war eine komplett verregnete und dennoch total gelungene Premiere: „Monsieur Claude und seine Töchter“ hat aus vielerlei Gründen das Potential, in die Geschichte der Neersener Schlossfestspiele einzugehen.

 Die Pressefotos werden bei der Generalprobe gemacht. Und da war es noch trocken. Die Premiere war weitgehend verregnet.

Die Pressefotos werden bei der Generalprobe gemacht. Und da war es noch trocken. Die Premiere war weitgehend verregnet.

Foto: Wolfgang Kaiser

Um 23 Uhr stehen – durchweicht, aber glücklich – die einen auf der Bühne und die anderen davor und beklatschen sich gegenseitig. Das Premierenpublikum von „Monsieur Claude und seine Töchter“ applaudiert den großartigen Schauspielern und dem ebenso großartigen Regisseur Matthias Freihof. Die Schauspieler und der Regisseur wiederum danken dem Publikum mit Beifall, weil es trotz widriger Bedingungen solange ausgeharrt hat. Auch Intendant Jan Bodinus kommt auf die Bühne: „Ich möchte mich persönlich bedanken, dass Ihr geblieben seid. Ihr seid das beste Publikum, das man sich wünschen kann.“

Während es in einigen Nachbarorten komplett trocken bleibt, beginnt es in Neersen um 21.10 Uhr zu regnen und hört nicht wieder auf. Die erste halbe Stunde des dritten großen Stücks ist da gerade über die Freilichtbühne gegangen. Es gibt eine Unterbrechung, in der die 490 Gäste sich unterstellen, dann entscheiden Intendant Bodinus, Regisseur Freihof und die Vorsitzende des Festspielvereins Sabine Mrosch: „Wir ziehen das durch.“ Nicht alle Zuschauer ziehen mit, aber die überwältigende Mehrheit bleibt.

Ausgestattet mit Regen-Capes, setzen sie sich wieder auf ihre Plätze und werden mit einem umwerfenden Theaterabend belohnt. Selten hat es ein Stück gegeben, in dem ausnahmslos alle Schauspieler so perfekt besetzt sind und ihre Rolle so gut ausfüllen. Da ist Kay Szacknys, der den Vater Claude Verneuil so überzeugend spielt, dass man ihn auf Französisch ansprechen möchte. Neben dem lauten, polternden Mann wirkt die schlanke Reinhild Köhncke, die die Rolle der Mutter Marie mit elegant wirkender Zurückhaltung spielt, ganz zart, was wiederum gut zum Charakter der Marie passt.

Die Töchter, gespielt von Kerstin Bruhn (Adèle), Noelle Fleckenstein (Michelle), Vanessa Frankenbach (Isabelle) und Anne Bedenbender (Laura) füllen ihre Rollen ebenfalls perfekt aus. Und auch die Schwiegersöhne Paul Brusa, der den Moslem Abderazak spielt, Slim Weidenfeld, der den Juden Abraham zum Besten gibt, Hans-Jürgen Helsig, der den aus Afrika stammenden Charles mimt, und Raphael Souza Sa als Chinese Chao Lung machen ihre Sache sehr gut.

Dabei hat Souza Sa eine besondere Erwähnung verdient, denn er hat keine asiatischen Wurzeln und schafft es dennoch, mit Gesten, Attitüde und Mimik den Chinesen glaubhaft wiederzugeben. Auch Felix Kama und Amanda Whitford, die leider nur eine kleine Kostprobe ihre Gesangs- und Tanzkünste gibt, sind als Charles’ Eltern gut besetzt und spielen ihre Parts großartig. In den verschiedensten Rollen taucht Sven Post auf und bringt ein bisschen Albernheit mit, die manchen Zuschauern zu viel ist, letztlich aber nicht stört.

Ein bisschen blass ist das Bühnenbild. Zwar erweist es sich als äußerst praktisch, denn die einzelnen Module, die Christian Baumgärtel gebaut hat, lassen sich innerhalb kürzester Zeit in einen langen Esstisch, einen Beichtstuhl, eine Gartenlandschaft und das Interieur einer psychologischen Praxis verwandeln, aber die Farben sind beliebig und die Symbole der Religionen und Kulturen sind ein zu profaner Hinweis auf den Kern des Stücks, den das Publikum nicht braucht.

Gelungen ist hingegen die Ausstattung von Nuschin Rabet, die unter anderem in Paris Kostümdesign studiert hat und es sehr gut schafft, die französische Eleganz des wohlsituierten Notars Claude, seiner Frau Marie und der Töchter einzufangen. Aber auch die afrikanischen Gewänder von Charles’ Eltern sind schön anzusehen, und bei Raphael Souza Sa unterstreicht das Kostüm den chinesischen Habitus.

Doch was sind die grandiosesten Schauspieler, der beste Regisseur und die tollsten Kostüme ohne ein gutes Stück? „Monsieur Claude und seine Töchter“ erweist sich als absoluter Glücksgriff für die Bühne. Schon als Kinofilm war die Geschichte ein großer Erfolg, auf der Neersener Bühne aber wird die Handlung komprimiert und das Wesentliche herausgearbeitet: Es geht um die menschliche Angst vor dem Fremden, die Angst vor dem, was anders ist. Und es geht darum, sich kennenzulernen, um festzustellen, dass alle Menschen sich ähnlich sind – unabhängig von Hautfarbe, Religion und Kultur.

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