Stadt Willich Politik vor schwieriger Entscheidung

Stadt Willich · Heute Abend entscheidet der Stadtrat, ob an insgesamt vier Stellen in Neersen und Schiefbahn Mehrfamilienhäuser für Flüchtlinge gebaut werden. Zahlreiche Bürger wollen in der Sitzung ihrem Protest Ausdruck verleihen.

Flüchtlinge: Zelte, Kirchen, Schiffe - hier werden sie untergebracht
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Turnhallen, Kirchen und Schiffe: Wo Flüchtlinge wohnen können

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Foto: dpa, rwe jai

Für die Mitglieder des Willicher Stadtrates wird der heutige Abend sicher kein angenehmer: Vermutlich im Beisein von weit mehr als 100 teils wütenden Bürgern werden sie eine schwierige Entscheidung treffen müssen - und dabei nicht nur an die Interessen der protestierenden Anwesenden denken, sondern im Sinne der gesamten gut 50.000 Einwohner handeln. Es geht um die Entscheidung, ob in Schiefbahn am Rubensweg und an der Fontanestraße sowie in Neersen am Niersweg und Am Bruch Mehrfamilienhäuser für Flüchtlingsfamilien gebaut werden, die sich später auch als Sozialwohnungen nutzen lassen.

Vier Standorte schlägt die Verwaltung vor, und an allen vier Standorten haben Bürger Interessengemeinschaften gegründet, um gegen die Bauten zu protestieren. Alle betonen, nichts gegen Flüchtlinge zu haben, nur seien eben gerade diese Standorte beziehungsweise die Form der Häuser ungeeignet und würden eine Integration der Flüchtlinge erschweren, so der Tenor der Einwände. Eine "Gettobildung" befürchtet beispielsweise die IG Mutschenweg/Niersweg angesichts der geplanten Unterbringung von bis zu 160 Menschen in 24 Wohnungen. Zudem kritisiert sie scharf, dass die Gebäude am Niersweg in einem Landschaftsschutzgebiet errichtet werden sollen. Etwa 50 Anwohner trafen sich am Dienstagabend im Wahlefeldsaal, um zu beraten, wie sie weiter vorgehen können. Auf jeden Fall wollen sie heute Abend in den Rat kommen und Fragen vortragen. Und sie hoffen, dass die Politiker die Entscheidung doch noch einmal verschieben, um den Bürgern mehr Zeit zu geben, sich zu informieren und Bedenken vorzutragen.

Bürgermeister Josef Heyes wird die Sitzung heute Abend unterbrechen, um die Argumente der Bürger anzuhören. Die Offenen Briefe der IGs werden als Bürgerantrag behandelt. Ob die Einwände der Anwohner an der Standortentscheidung noch etwas ändern werden, ist allerdings fraglich, denn dem Vernehmen nach ist die Mehrheit der Politiker für die vier Standorte. Gleichwohl will die CDU abwarten, ob es heute Abend neue Aspekte gibt, die zu berücksichtigen sein könnten, auch die SPD will sich noch nicht öffentlich festlegen. Hingegen sagte Karl-Heinz Koch von der FDP den Bürgern im Wahlefeldsaal: "Über Art und Größe der Bebauung kann man reden, nicht aber über die Standorte." Auch die Grünen haben sich festgelegt und teilen in einer Presseerklärung mit: "Insgesamt stellen die Pläne zusammen mit den temporären Unterkünften an der Moltkestraße in Alt-Willich eine vernünftige Verteilung auf alle Ortsteile sicher. Zudem kann durch die Baumaßnahmen vermieden werden, dass es zu einer längerfristigen Einschränkung der Hallennutzungsmöglichkeiten kommt, sodass aus Sicht der Grünen Art und Umfang sowie Standorte der Bebauung unterstützt werden."

Die Interessengemeinschaften wollen weiter für ihre Anliegen kämpfen. Mit einem konkreten Vorschlag, statt einem einfachen "Nein" prescht die IG Schiefbahn-Nord vor. Thorsten Busch lehrt unter anderem Politik an einem Krefelder Gymnasium und hat dabei auch mit Flüchtlingskindern zu tun. Dort sollen die jungen Flüchtlinge so auf die Klassen verteilt werden, dass auch in den einzelnen Schülerverbünden eine Integration und ein gemeinsames Lernen möglich sind. Dies möchte der 36-jährige Pädagoge, der an der Fontanestraße wohnt, auf sein direktes Wohnumfeld übertragen. Heute Abend will die IG daher den Vorschlag unterbreiten, dass dort eine "Integrationssiedlung" entsteht, die diesen Namen auch verdiene. Die Initiative mit Marc Puschmann hatte in ihrem Offenen Brief unter anderem die Sorge geäußert, dass neben den von der Verwaltung geplanten neun Reihenhäusern in "einem weiteren Schnellverfahren" zusätzliche Flüchtlingsunterkünfte entstehen. Was erst recht den Integrationsgedanken ad absurdum führe. Busch: "Zu unserer Sorge wurde seitens der Stadt in ihrem Antwortschreiben zu unserem Offenen Brief aber überhaupt keine Stellung bezogen."

In den vergangenen Tagen hat der "harte Kern" dieser Anwohner-Gemeinschaft stattdessen einen anderen Plan entwickelt, den gerade Architekten zu Papier bringen. Danach soll von Beginn an die etwa 12.500 Quadratmeter große Parzelle überplant und erschlossen werden - mit einer Mischung aus Reihenhäusern, Doppelhaushälften, Dreifach- und Einfamilienhäusern, die größtenteils auf dem freien Wohnungsmarkt veräußert werden könnten. Insgesamt rund 23 Wohneinheiten könnten dies dann nach den Vorstellungen der Sprecher werden. Und ähnlich wie in den Klassen des Krefelder Gymnasiums sollte die Zahl der Flüchtlinge in einem ausgewogenen Verhältnis zu den bestehenden, aber auch zu den neuen Nachbarn stehen. So könne man dort Raum für etwa 20 Flüchtlinge in vier Wohneinheiten schaffen, woraus dann später einmal Sozialwohnungen, natürlich auch für die anerkannten Flüchtlinge, werden könnten. "Nur dann kann eine wirkliche Integration gelingen, wenn von vornherein deutsche und ausländische Kinder nebeneinander aufwachsen und sich kennenlernen", bezieht Busch dies auch auf die Erwachsenen, die dann ebenfalls voneinander profitieren könnten.

Die Ratssitzung ist öffentlich und beginnt um 18 Uhr im Ratssaal des Schlosses Neersen in der ersten Etage.

(wsc)
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