Serie - Vor 380 Jahren Eine Kavalierstour mit tödlichem Ausgang

Neersen · Die Pocken setzten 1639 der gut dokumentierten Bildungsreise des Philipp Bernhard von Virmond ein jähes Ende.

 Zeichnung von der gotischen Burg Neersen vor dem Umbau zum Schloss (1661 bis 1669)

Zeichnung von der gotischen Burg Neersen vor dem Umbau zum Schloss (1661 bis 1669)

Foto: Kreisarchiv

In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts war es im deutschen Adel Praxis, die nachgeborenen Söhne auf einer ausgedehnten Bildungsreise zu wichtigen Stätten Europas, an Höfe und Universitäten zu schicken, um dort auf internationalem Parkett weltmännische Manieren, fremde Sprachen, Kenntnisse in militärischen und kulturellen Dingen zu erwerben, sich im Reiten, Fechten und Tanzen zu üben.

Das war beim niederrheinischen Adel nicht anders. Auch aus seinen Reihen trifft man im 17. und 18. Jahrhundert junge Kavaliere in Frankreich, England, Italien und den Niederlanden. „Kavalierstour“ nannte man solche Reisen, in die die Familien viel Geld investierten, zumal sie in Begleitung eines besoldeten Hofmeisters stattfanden.

Auf eine solche Reise begab sich im Jahre 1639 Philipp Bernhard, ein Spross der auf Schloss Neersen in barockem Wohlstand residierenden freiherrlichen Familie von Virmond. In jungen Jahren hatte er schon eine einträgliche Domherrenpfründe in Münster erhalten. Zusammen mit seinem vom damaligen Familienoberhaupt Adrian Wilhelm von Virmond, Philipp Bernhards ältestem Bruder, bezahlten Hofmeister Johan Pickartz brach der junge Baron im Oktober 1639 nach Amsterdam auf. In drei Tagen brachte sie die Reisekutsche über Emmerich und Utrecht in eine der damals blühendsten Städte Europas. Auch den Haag mit dem Palast und dem Garten des Prinzen von Oranien, Rotterdam und Delft standen auf dem Reiseprogramm.

 Das Bildnis von Johanna Maria von Flodorf, der Mutter von Philipp Bernhard von Virmond, hängt im Ratssaal von Schloss Neersen.

Das Bildnis von Johanna Maria von Flodorf, der Mutter von Philipp Bernhard von Virmond, hängt im Ratssaal von Schloss Neersen.

Foto: Wolfgang Kaiser

Das nächste Ziel war London, das man nach 26stündiger Fahrt mit dem Segelschiff erreichte. Viele vorher nie gesehene Dinge boten sich dem jungen Adeligen vom Niederrhein und schlugen sich im Reisebericht seines Hofmeisters wortreich nieder, so zum Beispiel der Buckinghampalast, „so mit gar schönen Schildereien und Raritäten durch und durch gezieret“, wie es in Pickartz’ Aufzeichnungen heißt. Sie sahen König Karl I. von England und Schottland beim öffentlich eingenommenen Mittagsmahl, ferner Schloss Windsor, Schloss Hampton Court und den Londoner Tower.

Nach Überquerung des Kanals erreichten sie danach über Rouen die französische Hauptstadt. Johan Pickartz war auch für die Verwaltung der Reisekasse zuständig. Von Amsterdam bis Paris waren 100 Taler verausgabt worden. Bei einem Bankier erhielten sie 200 französische Kronen und kleideten sich zunächst einmal „à la mode“ ein. Auch in Paris wurden die architektonischen Höhepunkte besichtigt. Am 11. November ging es weiter nach Orleans, und am 16. erreichten sie Bourges, wo sich Philipp Bernhard gemeinsam mit seinem Hofmeister an der Universität immatrikulieren ließ. Um seinem Bruder jede Sorge zu nehmen, versicherte Philipp Bernhard: „hoffe zu Gott dem Allmechtig, es solle bey mir kein geldt noch zeit verlohren sein.“

Doch schon wenige Tage später waren alle Pläne dahin. Philipp Bernhard war am 24. November „mit Frieren und Außwerffen leider krank und bethlegerig“ geworden. Nach vorübergehender Besserung verschlimmerte sich die Lage so sehr, dass Pickartz einen Beichtvater herbeirief, der aber aus Angst vor Ansteckung das Krankenzimmer nicht betreten wollte. Ein anderer nahm dem Todkranken die Beichte ab. Der rechte Arm war völlig „mit kleinen schwartzen Blattern gantz dick außgeschlagen“. Am Abend des 27. November starb der vorher so hoffnungsvolle Freiherr „mit Ahnruffung Jesu Maria“.

In der erst vier Wochen zuvor eingeweihten Rochus-Kapelle in Bourges wurde Philipp Bernhard beigesetzt. Pickartz hatte das Gefühl, „alß wan mir das Hertz mit Zangen auß dem Leib gerissen würde“. Zu den vielen Problemen, denen er sich jetzt zu gegenüber sah, gehörte auch der Vorwurf der Vermieter von Philipp Bernhard Quartier, die Deutschen hätten „die Kranckheit hineingebracht“. Mit tief bewegten Worten unterrichtete Pickartz seinen Auftraggeber, „das Ihr Herr Bruder“ hier mitten in Frankreich seinen Geist aufgeben und dieses vergängliche Leben „in ein ewiges Leben versetzen sollte.“

Info: Den gesamten Reisebericht hat Helmut Lahrkamp 1960 in der Schriftenreihe des Kreises Viersen publiziert.

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