Stadt Willich Metaller trotz Hindernissen

Stadt Willich · Metallbaumeister Stephan Draack aus Anrath führt mit 23 Jahren seinen eigenen Betrieb – obwohl er eine Lese- und Rechtschreibschwäche hat. Seine Geschichte beweist auch, dass Hauptschulen kein Abstellgleis sind.

Als Stephan Draack die vierte Klasse beendet, will er keine Schule mehr von innen sehen. Er will nicht mehr gehänselt werden. Er will nicht mehr der langsamste im Diktat sein. Und er will nicht mehr diese Sonntage erleben, an denen er erst weit nach Mitternacht ins Bett geht, weil er sich vorm Montag fürchtet. Heute ist Stephan Draack 23 Jahre alt und führt als Metallbaumeister in Anrath seinen eigenen Betrieb. Seine Lese- und Rechtschreibschwäche (Legasthenie) spielt in seinem Alltag kaum noch eine Rolle, sagt er.

Keine Lust mehr auf Schule

Stephan Draacks Geschichte beginnt in der Grundschule. Fächer wie Mathe sind für ihn kein Problem, aber rasch merkt er, dass er beim Diktat schlecht mitkommt und viele Fehler macht. Dass er langsam liest und große Schwierigkeiten hat, das Gelesene zu begreifen. Fünfen und Sechsen sind die Regel. Die Mitschüler hänseln ihn, Draack beginnt an sich zu zweifeln, hat keine Lust mehr, in die Schule zu gehen. Nach der zweiten Klasse lassen seine Eltern ihn untersuchen – der Arzt diagnostiziert Legasthenie.

Doch die Grundschule ist nicht in der Lage, Draack zu fördern, die Lehrer sind offenbar überfordert. Hilfe bekommt er nur in externen Kursen. Am Ende der Grundschulzeit fragt er sich: Wozu eigentlich noch? Es droht ihm, was vielen Legasthenikern passiert: Dass sie im Vergleich zu ihren Fähigkeiten in anderen Bereichen ein deutlich geringeres Ausbildungsniveau erreichen beziehungsweise ohne Abschluss von der Schule gehen.

Doch dann kommt Stephan Draack auf die Johannesschule in Anrath und alles ändert sich. Die Hauptschule hat die Möglichkeiten, ihn zu fördern. Eine Lehrerin kümmert sich um Schüler mit Schwierigkeiten, macht mit ihnen Hausaufgaben und Übungen, verteilt Lernmaterial. Die Mitschüler sind nicht so gehässig, dafür sorgen schon Draacks Klassenlehrer. Er entwickelt Ehrgeiz und beschließt, es sich und anderen zu beweisen. Aus den Fünfen und Sechsen in Deutsch werden Dreien und Vieren, sonntags kann er ganz normal ins Bett gehen.

Nun hat er endlich Zeit, sich auch um seine Stärken zu kümmern. Durch seinen Vater Claus, ein Landwirt, findet er Spaß daran, mit Metall zu arbeiten. Und schnell weiß er, was er werden will: Metallbauer. "Da sehe ich abends, was ich geschafft habe." Nach der zehnten Klasse macht er eine Ausbildung. Mit seinem Gesellenstück, einem Mülltonnenhalter, belegt er den ersten Platz in Nordrhein-Westfalen. Er beschließt, auch die Meisterprüfung zu machen und liest Texte immer und immer wieder, bis er sie verstanden hat. Nur zwei Monate, nachdem er die Prüfung bestanden hat, eröffnet er seinen Ein-Mann-Betrieb. Doch schon denkt er darüber nach, irgendwann das Unternehmen zu erweitern und Lehrlinge auszubilden. Die Legasthenie hat in seinem Leben kaum noch eine Bedeutung – auch wenn er trotz Förderung immer Probleme mit dem Lesen und Schreiben haben wird. Doch Geschäftsbriefe lässt er gegenlesen, er schreibt viel auf dem Computer und schaltet das Rechtschreibprogramm ein.

Mein Sohn schafft das auch

Draacks Vater Claus hat gewusst, dass sein Sohn es packt. Als der Arzt bei Stephan Legasthenie feststellte, bat er Claus Draack, mal einige seiner eigenen Diktathefte herauszusuchen. Der Arzt sah sie sich an und diagnostizierte auch bei ihm eine Lese- und Rechtschreibschwäche. Das hatte vorher niemand erkannt. "Damals habe ich gedacht: Wenn ich es geschafft habe, dann schafft es mein Sohn auch."

(RP)
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