Interview zum Wahlefeldsaal Klägerin: Saalmisere durch Ignoranz

Willich · Die Klägerin gegen die Baugenehmigungen für den Wahlefeldsaal, Claudia Reiners, fühlt sich von der Stadt Willich getäuscht. Schon 2005, als sie das städtische Haus neben dem Neersener Saal erwarb, habe die Stadt unrichtige Angaben gemacht.

 Um den Wahlefeldsaal gibt es weiter Streit.

Um den Wahlefeldsaal gibt es weiter Streit.

Foto: wka

Frau Reiners, seit wann wohnen Sie unmittelbar am Wahlefeldsaal?

Claudia Reiners Wir, mein Lebensgefährte und ich, haben die Immobilie mit angrenzendem Baugrundstück im Februar 2005 gekauft. Nach einer notwendigen Sanierung sind wir im Herbst 2005 eingezogen. Vorher wurde das Haus lange Zeit als Seniorentagesstätte, Polizeidienststelle und als städtische Bürofläche genutzt. Bis zu unserem Einzug gab es also keine Privatnutzung in diesem Objekt unmittelbar neben dem Saal.

Neersener haben Ihnen vorgeworfen, dass es naiv gewesen sei, direkt neben diesen Saal zu ziehen, den es schon seit Jahren gab und sich anschließend über laute Veranstaltungen zu beklagen. Haben Sie sich vorher informiert?

Reiners Doch, das haben wir. Als Neubürger, die nach Willich zugezogen sind, haben mein Lebenspartner und ich uns selbstverständlich vor Kaufabschluss mit der Stadt über Art und Umfang der Aktivitäten unseres direkten Nachbarn informiert. Uns wurden ausschließlich das jährliche Schützenfest mit Kirmes in unmittelbarer Nachbarschaft direkt gegenüber auf dem Minoritenplatz sowie vereinsinterne Treffen und Zusammenkünfte der Bruderschaft benannt. Damit konnten wir gut leben. Warum sollten wir den Aussagen des Verkäufers, einer städtischen Behördeninstanz, keinen Glauben schenken? Hätte uns die Verwaltung damals wahrheitsgemäß über die umfängliche Vermietungsaktivität im Wahlefeldsaal in Kenntnis gesetzt, hätten wir dieses Objekt zur Privatnutzung mit Sicherheit nicht gekauft.

Ihr Ärger geht lange zurück. Bereits 2008 hatten Sie sich in der Presse öffentlich über einige laute Veranstaltungen und auch über den Lärm auf dem Parkplatz beschwert. Haben Sie darüber mit der Bruderschaft gesprochen oder den Kontakt zur Verwaltung gesucht?

Reiners Zu Anfang war es eher harmlos und wir haben hingenommen, was vom mitgliederstarken Schützenbruderhaus an Lärmimmissionen zu uns herüberkam, zumal die damalige Betriebserlaubnis nur eine vereinsinterne Nutzung zuließ - keine Fremdnutzung. Wir haben uns immer auch bemüht, den ehrenamtlichen Einsatz und das gemeindliche Engagement der Bruderschaft mitzudenken. Nachdem der Veranstaltungslärm mit jedem Jahr unerträglicher und immer unzumutbarer wurde, haben wir 2008 Beschwerdebriefe an die Bruderschaft geschickt und den Kontakt zum damaligen Referenten des Bürgermeisters und zum Leiter des Amtes für Ordnung der Stadt Willich gesucht. Es gab auch ein klärendes Gespräch bei unserem Bürgermeister gemeinsam mit der Bruderschaft im Rathaus. Außerdem wurde im Juni 2008 von mir ein Beschwerde-Schreiben mit acht Solidaritäts-Unterschriften betroffener Nachbarn, wohnhaft am Minoritenplatz, an Herrn Heyes übergeben, um auf die massiven Ruhestörungen während der gesetzlichen Ruhezeiten auch auf dem öffentlichen Minoritenplatz hinzuweisen. Ebenso hatte der Vorstand der Bruderschaft ein Gespräch mit der Technischen Beigeordneten, Frau Stall.

Mit welchem Ergebnis?

Reiners Daraus resultierte im Juli 2008 ein Schreiben der Stadt an uns mit der Zusage der Bruderschaft, die gesetzlichen Lärmschutzwerte nach 22 Uhr einzuhalten. Das ging für knapp drei Monate gut, danach wurde in schöner Regelmäßigkeit zum Teil bis tief in die Nacht, häufig mit Musik und ständig wechselnden lärmenden Gruppen auf dem Parkplatz des Saales weiter gefeiert. Als Konsequenz und weil wir es satt hatten, Müll und Unrat von fremden Leuten zu entfernen, zogen wir das gegebene Einverständnis einen Teil unseres Grundstücks als Zuwegung zum Saal zu nutzen, zurück. Nachdem unsere Beschwerden an alle uns zur Verfügung stehenden Adressaten nichts brachten, haben wir die nächsten vier Jahre wegen rücksichtslosester Verhinderung der Nachtruhe diverse Male den Notruf der Polizei zwischen Mitternacht und fünf Uhr morgens angerufen. Die Bruderschaft muss darüber unterrichtet gewesen sein, es kam von dort aber keine Reaktion.

Was sah damals die Betriebsgenehmigung für den Wahlefeldsaal vor? Wie häufig und wie lange durften die Veranstaltungen stattfinden?

Reiners Eine Betriebsgenehmigung seitens der Verwaltung, die die Vermietung des Wahlefeldsaales an andere außerhalb des Schützenvereins erlaubte, gab es überhaupt nicht. Wir wurden über Jahre ohne verwaltungsbehördliche Genehmigung mit Veranstaltungslärm terrorisiert. Über Jahre nutzten auch die Politiker und die Stadt den Saal, teilweise mit bis zu 600 Personen, ohne sich baurechtlich abzusichern.

Wie hat die Stadt reagiert?

Reiners Erst nach unseren Beschwerden im Jahre 2008 fiel der Beigeordneten mit dem Blick in die Akten ein, dass für fremde Veranstaltungen eine Betriebsgenehmigung überhaupt nicht vorlag. Und daraufhin wurde erst die Bruderschaft gebeten, eine Nutzungsänderung von "Vereinsnutzung" in "Vereinsnutzung und gewerbliche Vermietung" zu beantragen. Später in einem Presseartikel aus 2012 hatten sich selbst Vorstandsmitglieder der Bruderschaft darüber aufgeregt, dass die Stadt es so hingestellt hat, dass sie von einer frühen Fremdnutzung völlig überrascht gewesen sei. Um das einmal zusammenzufassen: Der Saal wurde mit Wissen und Eigennutzung der Stadt quasi ohne eine gültige Genehmigung ab etwa 1999 fremd vermietet. Wir wussten davon nichts, ich hätte das Objekt andernfalls nicht gekauft. Als wir das Haus 2005 kauften, waren dort nur elf interne Veranstaltungen der Bruderschaft erlaubt, darunter waren unter anderem Vorstandssitzungen und als größte Veranstaltung die Generalversammlung der Schützen mit maximal 199 Personen.

Also ist der Saal über einen langen Zeitraum ohne Genehmigung, also illegal vermietet worden?

Reiners: So hat es mein Anwalt formuliert. Nach Klageerhebung und Einsicht der Akten sagte er, ich als seine Mandantin sei regelrecht hintergangen worden, und sprach in der Presse von Gefälligkeitspolitik. Wie wir im Nachhinein wissen, wurde im Herbst 2008 als direkte Reaktion auf meine Beschwerden eine geänderte Baugenehmigung für die zusätzliche gewerbliche Nutzung vorbereitet und nachgelegt, um sich nachträglich abzusichern. Diese neue Baugenehmigung mit der Erlaubnis, an jedem zweiten Wochenende des Jahres kommerzielle Nachtveranstaltungen ohne genaue zeitliche Begrenzung durchzuführen, trat erst im Juni 2010 in Kraft. Es wurde also nach meiner öffentlichen Intervention mit Wissen und Duldung der Stadt noch über anderthalb Jahre ohne Baugenehmigung weiter an jeden vermietet, der zahlte. Mir und anderen direkten Anwohnern wurde die Kenntnisnahme dieser gravierenden Nutzungserweiterung stillschweigend vorenthalten. Warum wohl?

Welche Anhaltspunkte sprechen aus Ihrer Sicht für eine "Gefälligkeitspolitik"?

Reiners Die Verwaltung gibt zu Lasten der Anlieger falsche Daten an. Laut Frau Stall wurde von der Bruderschaft die neue Nutzungsgenehmigung auf der Basis eines angeblich vorliegenden Lärmgutachtens im Herbst 2008 beantragt. Sie und damit auch die Bruderschaft beruft sich auf ein Gutachten, das es zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch nicht gab. Dieses Lärmschutzgutachten als unbedingte Voraussetzung zur Erteilung einer lärmintensiven Nutzungserweiterung, auf das sich Frau Stall bezieht, liegt mir vor. Es ist aber nicht von 2008, sondern ist auf den 15. Dezember 2009 datiert. Ohne rechtliche Voraussetzung und ohne eine gültige Baugenehmigung hat damit die Verwaltung den Schützen ein weiteres kommerziell ertragreiches Jahr gewährt. Eine eventuelle Schutzbedürftigkeit betroffener Anlieger, deren dezidierte Lärmbeschwerden damals schon lange offiziell vorlagen, fällt ins Nirwana der Behördenablage unter die Rubrik: Papierkorb. Welcher gewöhnliche, private Gastronom käme in den Genuss einer solch großzügigen Vorzugsbehandlung zum Beispiel für seine Discothekennutzung? Mit den von Frau Stall in einem Presseartikel zitierten Kanonen schießt man nicht auf die Bruderschaft, sondern lieber auf unwichtige, einflusslose Einzelbürger-Spatzen, die keine politische Lobby oder beste Beziehungen zur obersten Stadtspitze haben. - In der vermeintlichen Gewissheit, dass der beschwerliche, langwierige Weg einer Verwaltungsklage in den seltensten Fällen beschritten wird.

Die Schützen sagen, dass Sie anfangs zu einer einvernehmlichen Regelung bereit waren. Die Rede war zum Beispiel von einer Lärmschutzwand, die an der gemeinsamen Nachbargrenze hochgezogen werden sollte. An was ist Ihre Gesprächsbereitschaft letztendlich gescheitert?

Reiners Die Schützen teilten uns Ende 2011 mit, dass sie eine Mauer oder einen dichten Lattenzaun in einer Höhe von 1,50 Metern zur Lärmabwehr an unserer Nachbargrenze errichten müssten. Auch sie hatten kein gutes Gefühl bei dieser geringen Höhe. Zu diesem Zeitpunkt boten wir privat an, uns an den Mehrkosten einer höheren Wand zu beteiligen, wenn dadurch ein nachweislich wirksamer Schutz gegen den unkontrollierbaren Veranstaltungslärm auf dem Wahlefeldgelände gewährleistet wäre. Nachdem wir bei der Stadtverwaltung die Wirksamkeit ihrer bewilligten Schutzmaßnahme in Zweifel gezogen hatten, erhielten wir Ende März 2012 ein abschlägiges Schreiben der Stadt. Die Verwaltung teilte uns mit, dass die Lärmschutzmaßnahme mit einer Wandhöhe von 1,50 Metern nach Rücksprache mit dem von den Schützen beauftragten Schallschutzgutachter allen rechtlichen Grundlagen entspräche und ausreichend sei. Im Übrigen würde auch eine Wandhöhe von 2.30 Metern laut Gutachter nicht viel mehr bringen. Sollte die genehmigte Maßnahme von uns nicht akzeptiert werden, müsse der Klageweg beschritten werden. Was später herauskam: Auch das neu erstellte Schallschutzgutachten vom TÜV Rheinland hat unter anderem die Bewertung des Gerichtsgutachters bestätigt, dass die Lärmschutzwände entlang der Grundstücksgrenzen des Wahlefeldsaales sieben bis zehn Meter hoch sein müssten, um die nachts zulässigen Immissionswerte einzuhalten.

Sie haben nicht nur Klage gegen die Stadt Willich erhoben, sondern sind auch zivilrechtlich gegen die Bruderschaft vorgegangen. Warum?

Reiners Das wichtige Bürgerrecht des Widerspruchs gegen einen Verwaltungsakt ist seit 2007 abgeschafft. Der Bürger muss innerhalb von vier Wochen klagen, um nicht unwiderrufliche Rechtsnachteile im Eigentum zu erleiden. Die Stadt wollte uns das Klagerecht absprechen, indem sie argumentierte, die Klagefrist sei abgelaufen. Dem wurde aber vom Verwaltungsgericht Düsseldorf nicht stattgegeben und die Klage als rechtmäßig anerkannt. Das Verwaltungsgericht teilte das Argument der Stadt, der Rechtsschutz wäre durch Zeitablauf verwirkt, nicht und kassierte, wie Sie wissen, den neuen Bescheid, so dass die Bruderschaft nur ihre schützeninternen Versammlungen entsprechend der alten Baugenehmigung ausrichten durfte. Bereits nach sechs Monaten entschied das Verwaltungsgericht aufgrund der Bewertung und Darlegung eines vom Gericht bestellten, unabhängigen Schallschutzgutachters. Damit nicht weiterhin während der kaum einschätzbaren Gerichtsprozess-Dauer eine emissionsträchtige Nutzung ohne Genehmigung stattfand, entschlossen wir uns, auch den Privatrechtsweg zu beschreiten. Dieser richtet sich gegen die Lärmverursacher — ganz gleich, ob eine Genehmigung vorliegt oder nicht -, während der Verwaltungsrechtsweg sich gegen die behördliche Genehmigung richtet und ausschließlich deren Beseitigung anstrebt. Wer das auseinander hält und die Vorgeschichte kennt — die lärmintensive Nutzung ohne Genehmigung -, versteht, weshalb wir beide Rechtswege beschritten. Die Schützen haben sich allerdings nach dem Spruch aus Düsseldorf an das Verwaltungsgerichtsurteil gehalten, so dass wir schließlich wegen fehlender Wiederholungsgefahr den Zivilrechtsstreit für erledigt erklären konnten.

Warum ist die neue Genehmigung für die Tagesveranstaltungen (Veranstaltungsende 21 Uhr, Betriebsende 22 Uhr) für Sie kein Kompromiss?

Reiners Die neue Genehmigung wurde auf alle Wochentage ausgeweitet. Nach dieser Erlaubnis sind Vermietungen tagsüber an 364 Tagen im Jahr ohne eine Einschränkung möglich. Dies können ab acht Uhr morgens über den gesamten Tagesverlauf private Gesellschaften, Firmenevents, Messen oder Veranstaltungen von Vereinen oder Parteien sein, mit einer möglichen Personenzahl von maximal 432. Hinzu kommt noch das Schützenfest und vielleicht im nächsten Schritt rund ein Dutzend von Saalveranstaltungen zum Teil bis ein Uhr nachts. Jeder Nörgler und Kritiker soll sich mal selbst hinterfragen, ob er in seinem eigenen persönlichen Umfeld ein solches Szenario erleben und erdulden möchte.

Zum Schluss noch eine sehr persönliche Frage: Wie haben Sie der jahrelange Stress und die gerichtlichen Auseinandersetzungen mitgenommen?

Reiners Jeder hat ein existenzielles Bedürfnis auf Privatsphäre, auf einen Rückzugsort in die eigenen vier Wände, auf körperliche und seelische Regeneration. Wenn Sie unmittelbar in Ihrer Nachbarschaft von Januar bis Dezember in der Regel am Wochenende, willkürlich über Jahre x-beliebige Feier-Gesellschaften mit zum Teil alkoholisierten Personen, häufig bis tief in die Nacht ertragen müssen, werden Sie krank. Auch, wenn Ihnen das Außenstehende auf den ersten Blick nicht ansehen. Sie leiden unter Schlaf- und Konzentrationsstörungen. Sie werden fahrig, nervös und unausgeglichen und können nicht mehr abschalten. Ihre Leistungsfähigkeit nimmt ab. Sie fühlen sich nur noch als Schatten Ihrer selbst. Burnout, Depression und Herz-Kreislauferkrankungen sind drohende Spätfolgen. Nicht ich, die eigentlichen Akteure, Politik, Verwaltung und auch die Bruderschaft haben die Neersener Saal-Misere durch Ignoranz, Fehler, Versäumnisse und durch mangelnde Vorausschau selbst verursacht.

Das Gespräch führte Willi Schöfer

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