Stadt Willich „Keinen Schlussstrich ziehen“

Stadt Willich · Katrin Himmler, die Großnichte des berüchtigten "Reichsführers SS" Heinrich Himmler, gedachte anlässlich der Reichspogromnacht vor 70 Jahren dem größten Massenmord der Menschheit – ehrlich und schonungslos.

Katrin Himmler, die Großnichte des berüchtigten "Reichsführers SS" Heinrich Himmler, gedachte anlässlich der Reichspogromnacht vor 70 Jahren dem größten Massenmord der Menschheit — ehrlich und schonungslos.

"Der 9. November ist ein äußerst bewegter Tag." Katrin Himmler, eine unscheinbare, zurückhaltende Frau, begann ihren Vortrag mit klaren Worten. Kein Platz für Beschönigungen, kein Raum für leere Floskeln. Die Stadt Willich und die Kreisvolkshochschule (VHS) luden bereits am Freitagabend zur Gedenkveranstaltung zur Pogromnacht vor 70 Jahren in den Ratssaal, der mit rund 250 Menschen üppig besetzt war.

Bürgermeister Josef Heyes forderte "Verarbeitung und Verantwortung", und Klaus-Peter Hufer, bei der VHS zuständig für den Bereich Politik, Geschichte und Philosophie, nannte die Veranstaltung bezüglich des Erinnerns einen "kulturellen Fortschritt".

"Radikaler Vollstrecker"

Der damalige "Reichsführer SS", Heinrich Himmler, gilt laut Spiegel als "radikalster Vollstrecker" in Hitlers braunem Sumpf. Umso erfreulicher erscheint die Tatsache, dass mit Katrin Himmler eine Großnichte als Politologin und freie Autorin Aufklärungsarbeit leistet. In ihrem vor drei Jahren veröffentlichen Buch "Die Brüder Himmler. Eine Familiengeschichte" forscht und verarbeitet sie auch "ihre" Geschichte. Trotz Heirat entschied sich Katrin Himmler bewusst dazu, ihren belasteten Mädchennamen zu behalten. Schonungslos stellt sie die moralische Schuld ihres Großonkels, dem "Herr der Konzentrationslager" dar.

Sie beginnt mit einem historischen Diskurs ab 1875, der Geburtsstunde des modernen Antisemitismus. Tiefer Hass und Sozialneid gelten als dessen Fundament. Himmler: "Doch wir wollen keinen Schlussstrich ziehen und dieses Trauma der Zerrissenheit ruhen lassen." Ihre wohlgewählten Worte belegt Himmler mit allerlei Zitaten und Quellen, arbeitet wissenschaftlich korrekt, nennt Forscher und Kollegen.

Bewältigung dauert noch

Ihre These: Die Bewältigung dieses unfassbar grausamen Genozids (allein in der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November kamen geschätzte 14 000 Menschen ums Leben) ist noch lange nicht abgeschlossen — aus Desinteresse und Nicht-Thematisierung. Dabei ist das Thema aktueller denn je. "Das Individuum sehnt sich nach Solidarität und Anerkennung", sagt Himmler. Dieses Zugehörigkeitsbedürfnis lässt viele nach einfachen Lösungen für große Probleme suchen. "Wir müssen uns um Aufklärung bemühen, am besten durch Erziehung zu demokratischem Handeln", so Himmler. Selbstkritik sei hier gefragt, aber auch Zivilcourage. Himmler ist das beste Beispiel dafür, dass aus Geschichte Fortschritt entstehen kann.

(RP)
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