Schlossfestspiele Neersen Hans-Jürgen Schatz liest Prosa und Gedichte von Tucholsky

Neersen · Ein Tisch, ein Stuhl, ein wenig Licht. Mehr brauchte Hans-Jürgen Schatz nicht, um in die Welt des Kurt Tucholsky zu entführen. Vor zwei Jahren gastierte der Schauspieler mit einem Kästner-Abend im Schloss.

  Hans Jürgen Schatz schlüpfte lebendig in die verschiedenen Rollen.

Hans Jürgen Schatz schlüpfte lebendig in die verschiedenen Rollen.

Foto: Norbert Prümen (nop)

Nun las er im Rahmen der Festspiele eine Auswahl an Prosastücken und Gedichten des Journalisten, Schriftstellers, Satirikers und Gesellschaftskritikers der Weimarer Zeit.

Wenngleich Schatz für sein Gastspiel nicht die Form einer szenischen Lesung wählte, schlüpfte er doch über Sprachduktus, Betonung, Mimik und Körpersprache höchst lebendig in die unterschiedlichsten Rollen. Mit offensichtlicher Freude und der Klaviatur von feinen Nuancen bis hin zu griffigen Steigerungen entlockte er Tucholskys Texten ihren Witz, Sarkasmus, die hellseherischen Qualitäten und auch die darin schwingende Melancholie. Im differenzierten wie auch oft schwungvollen Vortrag kristallisierte er Leichtigkeit ebenso wie Ernst, Traurigkeit oder Sorge heraus. Zwischen den Texten gab Schatz Einblicke in Tucholskys Leben, das mit nur 45 Jahren 1935 endete. Ob Tucholsky den Selbstmord wählte, ist bis heute nicht geklärt. Er erlebte das Kaiserreich, den Ersten Weltkrieg, die Weimarer Republik, die Anfänge des Nationalsozialismus und warnte vor dem Erstarken der politischen Rechten wie auch vor der Bedrohung durch den Nationalsozialismus.

Zum Einstieg wählte Schatz Tucholskys Stück „Herr Wendriner geht ins Theater“. Lebhaft gab der Rezitator den Theaterbesucher, der zu spät zur Vorstellung kommt, lästert und unbefangen stört, sich aber über andere empört. Im Parforceritt durch die Klangfarben der Sprechweise empfand der Schauspieler ein durchdringendes Flüstern, Spötteln oder einen angriffslustigen Unterton nach, durchbrochen von der Rezitation des Schauspiels, das sein Protagonist kaum wahrnimmt.

Schatz wählte für die Textauswahl eine chronologische Abfolge. Mit Tucholskys kurzem „Märchen“ stellte er einen frühen Text vor, mit dem der damals 17-Jährige den Kunstgeschmack des Kaisers karikierte. Das 1919 von Tucholsky unter dem Pseudonym Kaspar Hauser veröffentlichte „Lied vom Kompromiss“ stand für dessen Reaktion auf die Unwägbarkeiten und Verhandlungen nach dem Ersten Weltkrieg.

Sehr zurückgenommen im ruhigen Tonfall gestaltete Schatz auf berührende Weise die Lesung zum Prosastück „Der Mantel“. Der Mantel wickelte ein „unglückseliges Menschenkind“ zu Appell und auf Feldzügen ein und wurde zum Zeugen von Brutalität und Not.

Ebenso las Schatz Tucholskys schwärmerischen Beitrag auf die Schauspielerin Elisabeth Bergner wie auch die im Berliner Dialekt gefasste Verehrung für den nach Tucholskys Ansicht oft verkannten Heinrich Zille.

Grandios fing Schatz den satirischen Ton der Texte zur „Ortskrankenkasse“ und „Zur soziologischen Philosophie der Löcher“ ein. Er beendete die Auswahl mit dem Klassiker vom Ehepaar, das seinem Besucher einen Witz erzählen will, sich darüber zerstreitet und schließlich den Gast mit einem halben Witz zurücklässt. Für den herzlichen Beifall dankte der Schauspieler mit zwei Zugaben. Dabei machte Tucholskys 1932 verfasstes Gedicht über Europa erneut bewusst, wie aktuell die Texte des Berliners bis heute sind.

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